Pro und Kontra: In Deutschland wird heftig über den Plan des Profifußballs diskutiert, die Saison fortzusetzen.

Pro:

Der Fußball geht keinen Sonderweg – er will sich retten

Kritik an den DFL-Plänen ist häufig einseitig und populistisch.

Ah, ist ja klar, werden Sie jetzt denken: Wenn ein Sportredakteur für die Wiederaufnahme der Bundesliga- und Zweitligaspiele plädiert, ist das ungefähr so, als wenn ein von der Zigarettenindustrie beauftragter medizinischer Experte herausfindet, dass Rauchen doch nicht gesundheitsschädlich ist. Aber ist nicht gerade die Kritik, die in den sozialen Netzwerken auf die Deutsche Fußball Liga (DFL) prasselt, teilweise ex-trem einseitig und populistisch?

Halb- oder Unwahrheiten haben in Coronazeiten Hochkonjunktur, das erleben wir derzeit auch in der Diskussion um den Fußball. Nehmen wir die rund 25.000 Tests, die für den Profibereich während der sechs- bis achtwöchigen Restspielzeit nötig wären. Nimmt der Fußball einer anderen Institution dadurch Kapazitäten weg? Mitnichten! Kein anderes Land weltweit verfügt über so viele (freie) Testkapazitäten. Sollte sich ein Engpass ergeben, hat DFL-Chef Christian Seifert schon vor Wochen der nationalen Gesundheit Priorität eingeräumt: „Wenn nötig, werden wir aufhören zu testen und zu spielen.“

Alexander Laux leitet das Sportressort des Abendblatts.
Alexander Laux leitet das Sportressort des Abendblatts. © Andreas Laible

Bei einem Punkt des Hygienekonzepts der DFL, der Quarantäne-Regelung, bleiben Fragen, sicher. Aber auch da steht es doch den Gesundheitsämtern jederzeit frei, die Freigabe wieder zu kippen. Das Gleiche gilt für den Fall, dass sich Fangruppen trotz Verbots anlässlich der Spiele treffen, auch wenn es dafür, fragt man die Fanvertreter, keinerlei Anhaltspunkte gibt.

Was derzeit einfach nur noch nervt ist, wenn Politiker in Talkshows über die nicht angemessene Sonderrolle des Fußballs schwadronieren, nach dem Motto: Der Fußball müsse jetzt zurücktreten. So ein Quatsch. Was ist daran verwerflich, wenn ein Wirtschaftsunternehmen ein Konzept entwickelt und vorlegt, um seinen Geschäftsbetrieb zu retten? Wem ist ein Schaden zugefügt? Volkswagen stellt ja auch nicht solidarisch seine Autofertigung ein, bloß weil die Gastronomie noch nicht öffnen darf.

Fußball ist Unterhaltung, eindeutig. Ist der Sport lebensnotwendig? Nein, natürlich nicht. Und verdienen die Fußballer viel zu viel Geld? Selbstverständlich. Willkommen im Kapitalismus. Warum aber niemand das System des (maßlosen) Wachstums je ernsthaft infrage gestellt hat, ist schnell beantwortet: Weil es von einer überwältigenden Mehrheit nachgefragt wurde. Es braucht jetzt gar keinen moralischen Zeigefinger: Durch die Mindereinnahmen werden automatisch die Gehälter der in unserer Neidgesellschaft gerne so titulierten „Millionarios“ sinken, Corona kann zu einer Selbstreinigung führen und zu einer wichtigen Debatte über Auswüchse.

Wer einen Abbruch fordert, forciert das Aus der Clubs

Wer aber die sofortige Einstellung des Spielbetriebs fordert, der erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Clubs in finanzielle Schieflage geraten, wenn z.B. Sponsoren ihr Geld zurückfordern. Viele Traditionsclubs könnten in diesem Jahr von der Bildfläche verschwinden oder in ihrer Eigenständigkeit gefährdet sein, weil Investoren die Geldnot ausnutzen. Wer es als Kommerzkritiker jetzt dem Fußball „heimzahlen“ möchte, wird seinen einst heiß geliebten Sport noch weniger nach der Krise wiedererkennen.

Und vergessen wir nicht: Es geht auch im Fußball um viele Arbeitsplätze. Nein, nicht nur die der Profis, die einen zehnprozentigen Gehaltsverzicht leicht verschmerzen können. Es geht um tausende Geringverdiener in den Clubs und in der ganzen Fußballindustrie. Auch deshalb lohnt es sich, für Spiele noch in dieser Saison zu kämpfen. Alexander Laux

Contra:

Der Kommerzsport hat den Bezug zur Realität verloren

Der Fußball ist verlogen und nimmt sich zu wichtig.

Jetzt haben sie es also auch in Frankfurt gemerkt. So spät, und das verwundert natürlich gar nicht. Die DFL ist, wie eigentlich alle Institutionen des Profifußballs, blind gewesen für die Glaubwürdigkeitsprobleme eines Sports, bei dem es nur noch ums Geschäft geht. Nun will man also, weil langsam dämmert, dass doch einiges im Argen liegt, eine Task Force einrichten. „Für die Zukunft des Fußballs“, heißt es. Gehaltsobergrenzen für Spieler, Deckelung von Beraterhonoraren, das sind jetzt so die Themen. Klingt erstmal gut.

Die Task Force ist aber halt auch gerne mal die Pseudo-Eingreiftruppe, wenn es um die fixe Beschwichtigung der Öffentlichkeit geht. Und in diesem Fall außerdem speziell darum, unbedingt das eigentliche Ziel der DFL, der Kritik am Kommerzprodukt Fußball bislang herzlich egal war, durchzudrücken, nämlich die Saison auf Biegen und Brechen zu beenden. Mit Spielen ohne Zuschauer, prophylaktischen Quarantänemaßnahmen, aber keinerlei Plan, was passiert, wenn ein Spieler dann tatsächlich positiv auf Corona getestet wird.

Thomas Ande ist Redakteur im Kulturressort.
Thomas Ande ist Redakteur im Kulturressort. © Michael Rauhe

Ich bin vehement gegen die Wiederaufnahme der Bundesligasaison. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass der professionelle Fußball unter Realitätsverlust leidet und ein mehr als beklagenswertes Bild abgibt, dann ist es das zwischen peinlicher Lobbyarbeit und penetranter Selbstverherrlichung angesiedelte Verhalten der Seiferts, Watzkes und Rummenigges in den vergangenen Wochen. Der Fußball nimmt sich viel zu wichtig, und er verwechselt diese angebliche Wichtigkeit mit rein egoistischen Beweggründen.

So wird jetzt vor allem deutlich, mit welcher Anmaßung gesellschaftliche Bedeutung eben auch einhergehen kann. In Zeiten, in denen Arbeitnehmer nicht wissen, wie sie Kinderbetreuung und Job unter einen Hut bringen sollen, in denen Spielplätze noch geschlossen sind, Großeltern ihre Enkel nicht sehen können und die Testkapazitäten nicht ausreichen, um jeden zu testen, wäre eine Bevorzugung einer nicht-systemrelevanten Unternehmung wie der Bundesliga eine Zumutung.

Man wünscht dem Sport fast den Zusammenbruch

Das Milliardengeschäft Fußball hat sich zuletzt vollends demaskiert: Zum Beispiel durch die im Grunde armseligen Gehaltsverzichte hoffnungslos überbezahlter Profis, die sich mit ihren freiwilligen Zehn-Prozent-Einbußen doch wirklich lächerlich machen. Ja, die Fußballvereine geraten dieser Tage „unverschuldet“, wie sie nicht müde werden zu betonen, in finanzielle Schieflage. Ja, die Bemühungen, das wirtschaftliche Abschmieren der Vereine durch die Bundesligafortsetzung zu verhindern, ist ein rational zu verstehendes Vorhaben. Aber emotional bin ich fast soweit, dieser von Gier getriebenen Interessensgemeinschaft den kompletten Zusammenbruch zu wünschen. Das Leder ist längst wund; der Fußball-Leistungssport war schon vor Corona eine unerträglich verlogene Veranstaltung mit korrupten Entscheidern und Big Money, von der man sich mit Grausen abwenden möchte. Und der soll jetzt einen Freischein bekommen?

Der moderne Kommerzfußball müsste kaputt gehen, damit der Herzfußball, wie wir ihn alle lieben, wieder von vorne anfangen kann, ohne astronomische Gehälter, ohne skandalöse WM-Vergaben, RB Leipzig und Hirngespinste wie eine europäische Superliga. Traurig, aber wahr, dass sich am Ende nichts ändern wird. Eher noch werden sich bestehende Zustände verstärken, ob nun wieder angepfiffen wird oder nicht. Thomas Andre