Hamburg. Die einstige Profiboxweltmeisterin arbeitet an einem eigenen Trainingskonzept. Ihre Karriere im Ring will sie aber noch nicht beenden.

Man muss nicht seine Kindheit in Flüchtlingsunterkünften verbracht haben, in ständiger Angst, ausgewiesen zu werden aus dem vermeintlich sicheren Deutschland, um in einer sorgenbeladenen Zeit wie dieser Coronakrise seinen Optimismus behalten zu können. Aber es hilft, sagt Susi Kentikian, die genau diese Erfahrungen gemacht hat, als sie Ende der 90er-Jahre mit ihren Eltern und ihrem Bruder aus Armenien nach Deutschland gekommen war. „Natürlich ist das gerade eine sonderbare Zeit. Aber wir werden sie gemeinsam überstehen“, sagt die 32 Jahre alte Hamburgerin, die in diesen Zeiten den Wert der Familie neu schätzen gelernt hat. „Ich bin dankbar und froh, dass ich meine Eltern und meinen Bruder habe und wir mit der Nähe, die Corona allen aufzwingt, bestens zurechtkommen.“

Kontaktsportarten wie das Boxen, in dem es die Fliegengewichtlerin zu Weltmeisterehren brachte, haben es aktuell besonders schwer. Wann wieder Wettkämpfe erlaubt sein werden, ist nicht abzusehen. Susi Kentikian belastet diese Ungewissheit indes kaum, schließlich ist ihr letzter Einsatz im Ring fast vier Jahre her. Am 30. Juli 2016 feierte sie in der Sporthalle Hamburg gegen die Kroatin Nevenka Mikulic den letzten ihrer 36 Profisiege. Seitdem hat sich die Krise im deutschen Frauenboxen verschärft, gute Angebote für ein Comeback gab es nicht.

Susi Kentikan hält sich per Home-Work-out fit

Dennoch hat die 1,53 Meter kleine Athletin bislang den letzten Schritt gescheut und ihr Karriereende noch nicht bekannt gegeben. Und bis zu ihrem 35. Geburtstag will sie sich auch alle Optionen offen halten. „Ich glaube weiterhin, dass das Feuer in mir noch brennt. Aber ich würde nur noch einmal kämpfen, wenn es ein ganz besonderes Angebot wäre. Außerdem möchte ich, dass der Kampf im Fernsehen übertragen wird. Wenn alles passt, werde ich noch einmal boxen“, sagt sie.

Um die körperlichen Voraussetzungen dafür nicht einzubüßen, trainiert die ehemalige WBO-, WBA- und WIBF-Championesse regelmäßig. Aktuell zwar nicht im Kampfsportstudio, sondern per Home-Work-out, „aber ich bin weiterhin gut in Form“. Angepasst hat sie vor allem ihre Ernährung. „Ich kann nicht mehr so viel essen wie in der aktiven Phase im Hochleistungssport, aber daran habe ich mich gewöhnt“, sagt sie. Dazu komme, dass sie in den Hochzeiten ihres Sports gute Kampfbörsen verdient habe und deshalb auf ein Comeback nicht angewiesen sei. „Ich muss mich nicht mehr für Geld schlagen, sondern kann frei entscheiden, ob ich es noch einmal will“, sagt sie.

Sie treibt ihre Karriere nach dem Leistungssport mit Hochdruck voran

Ausgesorgt hat Susi Kentikian allerdings mitnichten, deshalb treibt sie die Karriere nach dem Leistungssport auch mit Hochdruck voran. Auftritte in TV-Formaten wie „The Masked Singer“, „Ewige Helden“ oder „Let’s Dance“ waren interessante Ausflüge, weitere hält sie für möglich, wenn die Coronakrise beherrschbar geworden ist. „Angebote gibt es immer wieder, ich wähle aber nur das aus, was wirklich zu mir passt. Die Mischung aus Sport und Show ist mein Ding“, sagt sie. Eine angedachte Karriere als Sängerin verfolgt sie dagegen erst einmal nicht weiter.

Wichtig sei ihr, nicht aus den Augen zu verlieren, was sie am besten könne. „Und das ist nun einmal das Boxen.“ Deshalb lässt sie sich von Unternehmen für Motivationsvorträge und Trainingskurse buchen und arbeitet aktuell an einem Konzept, um daraus eine Haupterwerbsquelle zu machen. „Meine größte Stärke war es immer, dass ich mental stark war. Deshalb will ich Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch stark machen“, sagt sie. Die Inhalte ihrer Vorträge und Work-outs erarbeite sie allein, für die Vermarktung habe sie sich professionelle Hilfe geholt. „Und wenn Corona vorbei ist, dann starten wir richtig durch.“ Würde dieses Durchstarten mit einer letzten Landung im Ring enden, wäre es das passende Ende einer bemerkenswerten Sportkarriere.