Leipzig. Ein wenig Tischtennis in der Ukraine, ein wenig Fußball in Nicaragua und Weißrussland. Die Corona-Krise macht den Sportwetten-Fans der Welt gerade mächtig zu schaffen. Doch deutlich schlimmer als die Tipper trifft es die Anbieter.

Crashtest für den Milliardenmarkt: Die eigentlich boomende Sportwettenbranche steht angesichts der Coronavirus-Pandemie vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte.

"Wir sind ganz erheblich in Sorge. Das Geschäft ist quasi auf null runter. Nicht nur in den Wettbüros, die geschlossen bleiben müssen. Sondern auch online, weil kaum noch irgendwo etwas stattfindet. Es ist ein globaler Shutdown. Das Umsatzvolumen ist um über 90 Prozent zurückgegangen", sagt Mathias Dahms, Präsident des Deutschen Sportwettenverbandes, der Deutschen Presse-Agentur.

Sportwetten waren über Jahre so etwas wie eine rauschende Abfahrt mit dem Rennrad. Die Hände fest am Lenker, der warme Wind weht um die Nase, der Radcomputer klettert auf über 80 km/h - und aus dem Nichts knallt jemand einem einen Stock zwischen die Speichen. Noch ist die Branche im Sturzflug. Wie hart der Aufprall wird, kann niemand sagen.

Allein im vergangenen Jahr betrugen die Wetteinsätze in Deutschland knapp 9,3 Milliarden Euro. Innerhalb von wenigen Jahren hatte sich das Volumen fast verdreifacht. Jetzt geht es mit Schwung nach unten, nicht nur bei den Umsätzen. Die Aktie von Bet-at-home stand Anfang März noch bei gut 40 Euro. Am 18. März war der bisherige Tiefpunkt mit etwa 18 Euro erreicht. Die Papiere der GVC Holdings, der Muttergesellschaft von Bwin, sackte im selben Zeitraum von gut 9 Euro auf 3,50 Euro ab.

Die Anbieter behelfen sich, so gut sie können. Einige versuchen, Kunden in den Casino-Bereich zu locken. Andere nehmen virtuellen Sport ins Programm. Dazu zählt neben komplett von Computern simulierten Pferderennen auch der E-Sport. Ein Ersatz für echten Sport ist das mitnichten. "Das Sportwettgeschäft galt immer als krisenresistent. Seit Corona gilt dieser Satz leider nicht mehr", sagte Interwetten-Vorstandssprecher Dominik Beier der "Bild". "Wenn im Mai nicht wieder der Ball rollt, werden sich viele überlegen müssen, wie man weitermachen kann."

Auch für die Wetter steht die Welt Kopf. Der Brite Ersen Guven lebt von Sportwetten, setzt auf Wettbörsen mit Livewetten normalerweise sechs bis sieben Millionen Pfund pro Monat um. Derzeit verzeichnet er einen Rückgang von 80 Prozent. Und was gerade passiert, ist für Guven bisweilen schlicht wahnsinnig.

Als Beispiel führt er im dpa-Gespräch die noch laufende weißrussische Liga an. "Da stecken in den Märkten der Spiele über eine Million Euro. Das zeigt die Verzweiflung der Wetter. Sie suchen schlicht etwas, auf das gewettet werden kann", sagt Guven. Er selbst setzt derzeit auch in Weißrussland, von Freundschaftsspielen lässt der frühere Psychiater die Finger. "Da gab es zu viele absurde Resultate."

Abgesehen von möglichen Spielmanipulationen haben Wettanbieter das Problem, dass sich die Ausgaben nicht problemlos senken lassen. Die IT muss unterhalten werden, die Kosten bleiben hoch. Große Sorgen bereiten Dahms zudem die Wettbüros. Die dürfen aktuell nicht öffnen, stehen auf der Einnahmenseite bei null. "Große internationale Anbieter haben vielleicht ein Polster oder werden von den jeweiligen Regierungen unterstützt", meint Dahms. In Großbritannien wurde die Aufnahme des Wett-Dachverbands in den 350 Milliarden Pfund schweren Rettungsfonds gerade abgelehnt.

Hinzu kommt ein Problem, das den Sport selbst noch lange nach Corona beschäftigen könnte. Denn Wettanbieter sind längst wichtige Sponsoren und finanzieren die nun lahmgelegte Sport-Show mit. So ziemlich jeder Fußball-Bundesligist kooperiert mit einem Wettanbieter. In der 3. Liga ist das Unternehmen Sunmaker gleich bei sieben Clubs Trikotsponsor. "Sie haben für diese Saison all ihre Verpflichtungen schon erfüllt", sagte Jens Rauschenbach, Präsident des Halleschen FC, der "Mitteldeutschen Zeitung".

Was die kommende Saison betrifft, sind derzeit keine validen Aussagen möglich. "Die Sportwettbranche ist hinter der Automobil-Branche und der Telekommunikation eine der größten werbetreibenden Branchen. In diesem Bereich wird es massive Einschnitte geben", sagt Interwetten-Mann Beier. Zudem schlägt die Verlegung von Fußball-EM und Olympia massiv ins Kontor. Fakt ist, es muss bald weitergehen. Zur Not ohne Zuschauer, denn die spielen maximal bei der Berechnung der Quoten eine Rolle. Gehe es im Mai weiter, so heißt es in der Branche, komme man vielleicht mit einem blauen Auge davon.