Hamburg. Bundestrainerin Barbara Rittner über die neue deutsche Turnierlandschaft und die Hoffnung auf Angelique Kerber und Julia Görges.

Wer im Deutschen Tennis-Bund (DTB) als „Head of Women’s Tennis“ den weiblichen Leistungsbereich verantwortet, zudem als Expertin für den Spartensender Eurosport Grand-Slam-Turniere begleitet, der ist terminlich gut ausgelastet. Barbara Rittner hat sich für 2020 dennoch eine weitere Aufgabe vorgenommen. Beim neuen Rasenturnier in Berlin fungiert die 46 Jahre alte Rheinländerin als Turnierdirektorin. Wie sie diese Herausforderung angeht, was die Lehren aus der Saison 2019 sind und was sie vom Tennisjahr 2020 erwartet, verrät sie im Interview.

Hamburger Abendblatt: Frau Rittner, nur ein Einzelsieg auf der WTA-Tour von Julia Görges im Januar in Auckland, im Fedcup das Erstrundenaus gegen Weißrussland – das deutsche Damentennis hatte 2019 ein schwieriges Jahr. Können Sie dennoch ein Highlight nennen?

Barbara Rittner: Es mag für Sie komisch klingen, doch die unglückliche Nieder­lage von Julia Görges im Achtelfinale der US Open gegen Donna Vekic war spielerisch ein absoluter Höhepunkt. Darüber hinaus habe ich mich am meisten darüber gefreut, dass die von Jasmin Wöhr betreute U16 bei der Team-WM Bronze geholt hat. Das hat unseren Eindruck bestätigt, dass im 2003er-Jahrgang einige das Potenzial haben, vorn mitzuspielen. Die 15- bis 17-Jährigen lassen uns hoffen.

Sie haben in den vergangenen Monaten mehrfach die Lücke angesprochen, die in Deutschland zwischen den U-18-Talenten und den aktuellen Topspielerinnen jenseits der 30 Jahre klafft. Woran liegt das?

Die Förderung des DTB war niemals so intensiv wie heute. Aber unsere Jugend ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Der Wille, alles auf eine Karte zu setzen, und die absolute Leidenschaft, für eine Sache zu brennen, ist nicht mehr oft zu beobachten. Das Verlassen der Komfortzone, das Spielerinnen wie Angelique Kerber, Julia Görges, Andrea Petkovic, Sabine Lisicki oder Anna-Lena Grönefeld so stark gemacht hat, ist nicht mehr modern. Die Jugend ist teilweise zu bequem, viele Eltern nehmen ihre Funktion als Förderer und Antreiber nicht mehr ausreichend oder zu intensiv wahr. Auf dem Platz quälen sich alle, aber auch abseits 100 Prozent in das Ziel zu investieren, das man sich gesteckt hat, fällt vielen immer schwerer. Da fehlt die Konstanz. Aber das ist nicht nur im Tennis so.

Muss man hoffen, dass die Generation Kerber noch fünf Jahre durchhält, um die Durststrecke einigermaßen zu überbrücken?

Grundsätzlich hoffe ich, dass die etablierten Mädels so lange wie möglich spielen und vor allem auch Spaß und Erfolg damit haben. Und ich wehre mich auch dagegen, alles negativ zu sehen. Ich traue der Hamburgerin Tamara Korpatsch (24) zu, dass sie sich in den Top 100 stabilisiert. Anna-Lena Friedsam hat die besten Jahre ihrer Karriere wegen zwei schweren Schulteroperationen verloren, sich aber 2019 zurückgekämpft. Sie kann genauso für Überraschungen sorgen wie Antonia Lottner. Es wird weiter gutes Damentennis in Deutschland geben, in der breiten Spitze jedoch sicher weniger als in den vergangenen Jahren.

Kerber oder Görges, wem trauen Sie 2020 eher zu, zu alter Stärke zurückzufinden?

Beiden. Die Entscheidung des DTB, Fedcupchef Jens Gerlach für die Arbeit als Cheftrainer von Jule freizustellen, fand ich sehr gut, denn ich glaube, dass beide menschlich und fachlich harmonieren werden. Bei Angie kann ich es nicht sagen, da ich ihren neuen Trainer Dieter Kindlmann nicht ausreichend kenne. Ich hoffe für beide, dass es der letzte Trainerwechsel ihrer Karrieren war.

Angelique Kerber hatte nach dem Superjahr 2016 mit den Grand-Slam-Siegen in Melbourne und New York 2017 einen ähnlichen Durchhänger wie 2019, nach der tollen Saison 2018 mit dem Wimbledon-Triumph. Glauben Sie, dass sie noch einmal so fulminant zurückkommen wird?

Das Potenzial und die Erfahrung dafür hat sie. Sie weiß, was es braucht, um erfolgreich zu spielen, und sie wird sich die Entscheidung für Kindlmann gut überlegt haben. Aber es wird deutlich schwerer, noch einmal zurückzukommen, weil im Damentennis sehr viel in Bewegung ist. Die Qualität der neuen Generation ist unheimlich hoch, das ist noch einmal eine andere Klasse an Geschwindigkeit und Selbstvertrauen. Deshalb glaube ich, dass diese im positiven Sinn ausgelebte Respektlosigkeit der neuen Generation viele Erfolge bringen wird.

Wer aus der neuen Generation hat Sie 2019 am meisten begeistert?

Allen voran Naomi Osaka und Bianca Andreescu mit ihren Grand-Slam-Erfolgen. Natürlich auch eine Coco Gauff, auch wenn ich mit dem Begriff Wunderkind sehr reserviert umgehe. Simona Halep, Ashleigh Barty, Karolina Pliskova und Petra Kvitova, die zur Generation zwischen Jung und Alt zählen, haben eine großartige Saison gespielt. Auch Dajana Jastremska, Elina Switolina, Aryna Sabalenka und Amanda Anisimowa halte ich für sehr ambitioniert.

Das gilt auch für Rainer Schüttler. Warum wird einer, der im Damentennis kaum Trainererfahrung hat und mit Kerber sportlich gescheitert ist, neuer Chef des Fedcupteams?

Rainer war mein Wunschkandidat. Ich wollte einen, der Erfahrung im Tennis hat, der positiv rüberkommt, Teamgeist vermittelt, der keine Angst hat, mit gestandenen Größen zu arbeiten. Insofern glaube ich, dass diese Kombination gut funktionieren wird. Für ihn ist es nicht so einfach mit den Reisen nach Australien im Januar und zum Erstrundenduell nach Brasilien im Februar, weil er Anfang März noch mal Papa wird. Aber er strahlt aus, dass er die Aufgabe mit vollem Elan angehen wird.

Die Regeländerungen, die es in der Saison 2019 im Daviscup der Herren gab, betreffen 2020 auch den Fedcup der Damen. Erstmals wird es ein Finalturnier im April in Budapest statt K.-o.-Runden geben. Wie finden Sie das?

Man muss offen sein für Änderungen, meine Sympathie haben diese Formate nicht. Der Weltverband ITF und sein Präsident David Haggerty haben den Ursprungsgedanken dieser Teamwettkämpfe zerstört. Und schon im April eine Team-WM zu spielen, ist absurd. Aber Geld regiert die Welt, deshalb sind jetzt alle ruhig und tun, als wären sie zufrieden.

Auch in der Turnierlandschaft gibt es Änderungen, von denen Deutschland zu profitieren hofft. In der Rasensaison vor Wimbledon gibt es 2020 in zwei aufeinander folgenden Wochen im Juni Damenturniere in Bad Homburg und Berlin. Muss man angesichts des fortgeschrittenen Alters der deutschen Topspielerinnen befürchten, dass diese Turniere fünf Jahre zu spät kommen?

Trotz der Erfolge der vergangenen Jahre ist hierzulande ein Tennisboom ausgeblieben. Mit zwei solchen Turnieren wird die Aufmerksamkeit für unseren Sport aber deutlich erhöht. Wenn man weiß, wie lange es dauert, solche Lizenzen zu erhalten und die Organisation anzuschieben, muss man zugreifen, wenn ein Big Player wie Wimbledon die Zusammenarbeit anbietet. Es bleibt jedoch eine große Herausforderung, diese Turniere zum Erfolg zu führen.

Sandra Reichel, die neue Direktorin des Herrenturniers im Juli am Rothenbaum, möchte mittelfristig auch ein Damenturnier anbieten. Mit den zwei neuen deutschen Rasenturnieren und dem Verkauf der Nürnberger Damenturnier-Lizenz an einen nationalen Bewerber scheint dieses Ziel kaum erreichbar, oder?

Es ist jedenfalls nicht einfacher geworden, zumal es Hamburg verpasst hat, mit der Umrüstung von Sand- auf Hartplatz als Kick-off-Event für die im August startende amerikanische Hartplatzsaison einzusteigen. Aber ich schätze Sandra Reichel sehr, und auch der Rothenbaum als Standort eines Damenturniers bis 2002 bringt bei mir viele schöne Erinnerungen zurück. Ich hoffe daher sehr, dass es ihr gelingen wird, auch in Hamburg wieder ein Damenturnier zu etablieren.