Hamburg. Die Sportpsychologin Anett Szigeti über Chancen und Risiken.

Auf ihrem Weg zum olympischen Gold in Rio 2016 setzten die Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst auf die Dienste von Anett Szigeti. Die erfahrene Psychologin betreut zahlreiche Spitzensportler, auch beim Olympiastützpunkt Dulsberg. Und hat über Monate die vier Hamburger Atlantik-Ruderinnen auf ihre Mission mental eingestellt.

Hamburger Abendblatt: Frau Szigeti, bis zu zwei Monate werden die vier Frauen auf einem Boot mit zehn Quadratmeter Fläche verbringen, nonstop unterwegs auf dem Atlantik. Wie hält man diesen Verlust an Privatsphäre aus?

Anett Szigeti: Menschen in anderen Kulturen leben auch oft zu viert oder gar zu sechst oder acht in nur einem Zimmer. Wir sind das nicht gewohnt. Aber der Mensch schafft das. Es ist ja nur eine begrenzte Zeit. Und dieser Raum kann auch Geborgenheit und Sicherheit geben.

Gibt es Regeln, um zu verhindern, dass man sich total auf die Nerven geht?

Szigeti: Ja. Wir haben etwa mit den Frauen ein Codewort vereinbart. Spricht eine Ruderin dieses Wort aus, wissen die anderen, dass sie für mindestens 30 Minuten in Ruhe gelassen werden möchte. Zudem gibt es an Bord zwei Schlafkabinen. Zwei Frauen können sich also jeweils in eine Kabine zurückziehen, während die anderen beiden rudern.

Wie bekämpft man Eintönigkeit an Bord?

Szigeti: Viele Menschen geben sehr viel Geld dafür aus, um einmal vollständig abzutauchen. Ohne Smartphone, ohne Mails, ohne Anrufe. Dieses komplette Abschalten, dieses Leben im Einklang mit der Natur kann sehr glücklich machen. Zudem haben die vier Musik und Hörbücher dabei. Und sie singen sehr gern.

Anett Szigeti ist Coach und Sportpsychologin. Sie berät das Ruder-Team.
Anett Szigeti ist Coach und Sportpsychologin. Sie berät das Ruder-Team. © Privat | Privat

Es können extrem hohe Wellen auftreten, das Boot kann mit einem Container oder einem Wal kollidieren. Kann man solche eventuell lebensbedrohlichen Situationen im Training simulieren?

Szigeti: Nur begrenzt. Es wäre sicherlich gut, wenn die Crew vor dem Start auf La Gomera im Atlantik das Boot gezielt zum Kentern bringt, um zu spüren, dass sich das Boot immer sofort wieder aufrichten wird. Aber es wird auch helfen, dass sich die Frauen auf jeweilige Rollen geeinigt haben. Es gibt etwa eine Spezialistin für den technischen Bereich, eine für das Rudern. Und eine Frau übernimmt die Rolle der Kapitänin. Und bitte nicht vergessen: Die Crew ist exzellent vorbereitet, physisch wie psychisch.

Wird im Boot demokratisch abgestimmt, etwa über einen möglichen Abbruch der Mission?

Szigeti: In den ersten Tagen kann ein Segelschiff die Teilnehmer noch einsammeln, wenn diese es möchten und sich bei der Leitung der Regatta melden. Dann kann jede Frau entscheiden, dass sie aussteigen möchte. Dann können die anderen entscheiden, ob sie die Mission ganz abbrechen oder zu dritt oder gar zu zweit weitermachen. Später ist dies nicht mehr möglich. Aber auch dann hat jede Frau das Recht, sich zurückzuziehen, wenn sie nicht mehr kann und eine Pause braucht. Dies muss jedoch unbedingt kommuniziert werden.

Die Konstellation an Bord ist sehr speziell. Zwei Frauen, die seit vielen Jahren sehr eng befreundet sind. Und eine Mutter mit ihrer Tochter. Kann das zum Problem werden?

Szigeti: Das ist eher eine Chance. Wenn man sich sehr gut kennt, kennt man auch die Macken des anderen und weiß mit ihnen umzugehen. Sowohl Mutter und Tochter als auch die engen Freundinnen können sich noch einmal ganz anders kennenlernen. Diese Erfahrung werden sie nie wieder zusammen machen. Diese Mission bedeutet den ultimativen Schritt aus der Komfortzone. Mit Heimweh, Schlafentzug, Seekrankheit, hoher körperlicher Belastung. Dies wird alle vier wachsen lassen.