Hamburg. Vor der Olympiaqualifikation spricht der Kapitän der deutschen Hockeyherren über die Krise seines Teams und mögliche Auswege.

Deutsche Hockey-Nationalspieler sind Amateure, auch wenn sie unter Profibedingungen trainieren. Insofern überrascht es kaum, dass Mats Grambusch fünf Tage vor den wichtigsten Spielen des Jahres an seiner Kölner Fachhochschule erscheinen musste, um eine Klausur in Steuerrecht zu schreiben. „War zum Glück nicht so schlimm“, sagt der 26 Jahre alte BWL-Student von Rot-Weiß Köln, der die deutschen Herren an diesem Wochenende in seiner Geburtsstadt Mönchengladbach als Kapitän in den Qualifikationsspielen gegen Österreich (Sa, 18.30 Uhr; So, 16.30 Uhr) zu den Olympischen Sommerspielen 2020 nach Tokio führen soll.

Herr Grambusch, es gibt viele Menschen, die nicht glauben, dass deutsche Hockeyherren gegen Österreich scheitern könnten. Trotz des notwendigen Respekts: Warum werden Sie sich am Wochenende für Tokio qualifizieren?

Mats Grambusch Weil wir Österreich nicht unterschätzen. Wir wissen alle, worum es geht, und brauchen deshalb für das große Ziel Olympia keine Extramotivation. Wir werden eine sehr gute Teamleistung bringen und die Qualität zeigen, die in unserer Mannschaft steckt. Und wenn wir das tun, dann werden wir uns durchsetzen.

Was hat Österreich, das Ihnen gefährlich werden könnte? Immerhin ist der Weltranglisten-20. Hallenweltmeister.

Und im Feld haben sich die Österreicher auch deutlich verbessert. Das ist eine sehr eingespielte Mannschaft mit individuell starken Spielern. Sie haben neun Bundesliga-Legionäre, die alle in Hamburger Clubs spielen, dazu mit dem früheren HTHC-Spielmacher Benjamin Stanzl einen Weltklassemann, der in der niederländischen Topliga spielt. Die Österreicher werden alles reinwerfen, was sie haben. Sie werden auf Konter lauern und darauf setzen, Strafecken zu holen, bei denen uns ihr Eckenspezialist Michael Körper vom HTHC gefährlich werden kann. Es wird auf keinen Fall eine leichte Aufgabe.

Nun darf sich Deutschland aber auch nicht kleiner machen, als es ist. Der Anspruch muss für einen viermaligen Olympiasieger sein, sich gegen eine Nation, die 1952 letztmals bei Sommerspielen am Start war, deutlich durchzusetzen. Liegt Österreichs größte Chance darin, dass Ihre Mannschaft mit dem Druck nicht klarkommt?

Das glaube ich nicht, denn das würde der Qualität des Gegners ebenso nicht gerecht wie unserem Anspruch. Wir haben uns mit der Favoritenrolle nicht viel beschäftigt. Wir nehmen sie an und wissen damit umzugehen, wollen uns aber auf das konzentrieren, was uns stark macht.

Was ist es denn, das Sie stark macht? Fakt ist, dass Sie mit Ihrem Team seit dem Bronzespiel bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 kein Entscheidungsspiel mehr gewonnen haben. Und nun müssen Sie in zwei Spielen auf den Punkt in Topform sein. Warum glauben Sie, auf diesen Druck vorbereitet zu sein?

Wir kennen diese Bilanz und wissen, dass wir in den vergangenen Jahren nicht den Anspruch formulieren konnten, zur absoluten Weltspitze zu zählen. Diese besteht aktuell aus Welt- und Europameister Belgien und Australien. Dahinter kommen die Niederlande, gegen die wir bei der EM im August zweimal verloren haben, und dann kommen wir gemeinsam mit drei, vier anderen Teams. Dennoch haben wir noch immer ausreichend Qualität, um jeden Gegner zu schlagen. Ich bin sicher, dass wir unsere Qualität gegen Österreich abrufen werden, weil die Vorbereitung optimal lief.

Das fällt nicht leicht zu glauben, schließlich mussten Sie sich nach der EM auf einen neuen Trainer einstellen. Was hat Markus Weise in der kurzen Zeit getan, was Stefan Kermas nicht hätte tun können?

Veränderung ist immer ein Neuanfang, und ich denke, dass uns dieser nach der EM gutgetan hat. Frischer Wind war notwendig, nachdem wir diese Serie an Misserfolgen in Entscheidungsspielen erlebt haben. Seit Markus da ist, wurden alle Dinge, die sich verändern mussten, klar angesprochen. Wir haben an vielen Kleinigkeiten gearbeitet, aber letztlich das getan, womit wir uns gut fühlen. Die Vorbereitung war deshalb zwar kurz und turbulent, auf der anderen Seite aber auch sehr klar und strukturiert.

Sie haben unter Weise, dem erfolgreichsten deutschen Olympiacoach im Teamsport, 2011 Ihr Länderspieldebüt gegeben. Wie hat er sich verändert und welche Rolle spielt er nun in der Entwicklung der Mannschaft?

Markus hat von Beginn an deutlich ge-sagt, dass er coachingtechnisch nicht auf dem neuesten Stand ist. Er hat seit 2015 für den Deutschen Fußball-Bund dessen Nachwuchsakademie entwickelt und in den vier Jahren kaum Hockey gesehen, geschweige denn gecoacht. Aber er ist ein hervorragender Teamführer, der genau weiß, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Und mit André Henning und Matthias Becher hat er zwei exzellente Fachleute in sein Trainerteam geholt. Diese Mischung ist eine optimale Kombination, die uns sehr, sehr guttut.

Zur Wahrheit der bitteren Bilanz gehört auch, dass Sie bei der EM 2017 und 2019 jeweils im Halbfinale sowie bei der WM 2018 im Viertelfinale jeweils an Belgien gescheitert sind, der aktuell besten Mannschaft der Welt. Wie weit ist Deutschland aktuell von Belgien entfernt?

Wenn wir uns das Halbfinale der dies-jährigen EM anschauen, dann muss man sagen, dass wir bis zehn Minuten vor Schluss absolut auf Augenhöhe waren. Wir haben mit zwei Toren geführt und es dann versäumt, das dritte Tor zu machen. Dann wurde uns ein Siebenmeter nicht gegeben, das hat Belgien zurück ins Spiel gebracht. Was dann kam, war kein Gegenwind, sondern ein Gegensturm. Dem konnten wir nicht standhalten und haben noch 2:4 verloren. Da haben uns Ruhe und Cleverness gefehlt, aber auch Coaching und Führung von außerhalb und intern. Deshalb müssen wir zugeben, dass wir aktuell ein Stück weg sind von den Belgiern.

Woran liegt das?

Wir suchen nicht nach Ausreden und wissen, dass wir alle gefordert sind, mehr Verantwortung zu übernehmen und härter zu arbeiten. Aber wenn wir nach Erklärungen suchen, dann darf man nicht vergessen, dass Deutschland die einzige Top-acht-Nation ist, in der Hockey nicht professionell betrieben wird. Alle anderen Nationalteams trainieren dauerhaft zusammen, die Belgier zum Beispiel von Montag bis Donnerstag, jede Woche. Außerdem spielen alle Top-acht-Nationen außer uns kein Hallenhockey, was die Feldsaison entzerrt und für Erholungspausen sorgt, die wir in der Bundesliga nicht haben.

Was also muss sich Ihrer Ansicht nach ändern, um Deutschland wieder dauerhaft
titelfähig zu machen?

Es muss im gesamten System, aber auch bei jedem Einzelnen ein Umdenken stattfinden. Wir müssen gemeinsam mit den Clubs und der Verbandsspitze darüber diskutieren, wie es gelingen kann, die Nationalmannschaft zum Nonplusultra zu machen, ohne dass die Vereine, die wichtige Arbeit leisten, zu sehr darunter leiden, dass die Auswahlspieler oft nicht da sind. Wir müssen uns fragen, ob wir weiter Amateursport bleiben oder den Weg in Richtung Profitum mitgehen wollen.

Aber in Deutschland ist eine Zentralisierung der Nationalspieler ebenso wenig erwünscht wie die Abkehr vom dualen System mit Ausbildung und Sport.

Das mag sein, und wir fahren damit ja auch gut. Wir werden sicherlich niemals Vollprofis im deutschen Hockey haben. Aber man muss das dezentrale Training besser steuern und bessere Trainer anstellen, was im Zuge der Leistungssportreform ja bereits passiert. Und die Kooperation zwischen Vereinen und Verband muss besser werden. Man hatte in den vergangenen Jahren oft das Gefühl, dass gegen- statt miteinander gearbeitet wurde. Und die Sportler sind die, die es ausbaden müssen. Das darf so nicht sein.

Stimmt es, dass der heutigen Generation der Teamgedanke abhanden gekommen ist, weil es in der Gesellschaft heute wichtiger ist, als Individuum wahrgenommen zu werden? Gibt es auch im Hockey mittlerweile zu viele Ich-AGs, die dem Teamerfolg nicht mehr alles unterordnen wie frühere Generationen?

Das höre ich manchmal, würde es aber nicht so beschreiben. Natürlich ist es wichtiger geworden, individuell zu glänzen. Aber es gab früher auch Egomanen. Ich glaube, dass wir uns untereinander heute fast besser verstehen als frühere Generationen. Dort gab es oft mehr Gruppenbildung. Was aber stimmt: Die einzelnen Gruppen waren sich auf dem Platz einig über das gemeinsame Ziel. Wir haben als Team diese Mentalität, in entscheidenden Spielen Topleistung bringen zu können, in den vergangenen Jahren etwas eingebüßt. Das kreiden wir uns an, da müssen wir deutlich besser werden.

Wie funktioniert das?

Tatsächlich muss man auch das Gewinnen lernen. Dieses Selbstverständliche, auf jeden Fall den Sieg zu holen, fehlt uns. Das müssen wir uns erarbeiten, und das geht am besten über Erfolge. Wenn wir gegen Österreich bestehen, dann bin ich überzeugt davon, dass wir schon in Tokio wieder in der Lage sein werden, die Besten zu besiegen.

Denken Sie manchmal darüber nach, was es für Sie bedeuten würde, Kapitän der deutschen Hockeyherrenauswahl zu sein, die erstmals seit 1948 die sportliche Qualifikation für Olympia verpasst hat?

Nein. Ich stelle mich gern der Verantwortung als Kapitän. Aber wir sind ein Team von 18 Spielern, das gemeinsam das Ticket für Tokio holen will. Und ich mag es auch nicht, den Teufel an die Wand zu malen, sondern bin ein positiv denkender Mensch. Ich mache mir klar, dass es auch schiefgehen kann. Aber das hemmt mich nicht, sondern motiviert mich. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass wir es gemeinsam schaffen werden.