London. Mit einer Kampfansage richtet der junge Deutsche den Blick steil nach vorne. Dabei stand seine Tenniskarriere schon vor dem Aus.

Der Mann, den sie „Pitbull“ nennen, gab sich nach dem größten Sieg seiner bisherigen Tenniskarriere handzahm. „Es fühlt sich unglaublich an“, sagte Dominik Köpfer, nachdem er bei den All England Championships in Wimbledon durch einen 6:3, 4:6, 7:6 (11:9), 6:1-Erfolg über den Serben Filip Krajinovic sein Bleiberecht um mindestens zwei Tage verlängert hatte. Auf große Jubelgesten oder eine ausschweifende Party verzichtete der 25-Jährige, obwohl er dazu allen Grund gehabt hätte. Schließlich erlebt er in London gerade sein ganz persönliches Sportmärchen; eine Geschichte, wie sie besser nicht passen könnte zum prestigeträchtigsten und bekanntesten Tennisturnier der Welt.

Als Dominik Köpfer am 23. Juni das Finale des Challengerturniers im englischen Ilkley gewann, da war das, als wäre Weihnachten für ihn um ein halbes Jahr vorgezogen worden. Der Titel bescherte dem Schwarzwälder, dessen Name zuvor nur ausgewiesenen Brancheninsidern bekannt gewesen war, eine Wildcard für das Hauptfeld von Wimbledon. 2018 hatte er seinen Traum, einmal auf dem heiligen Rasen an der Church Road aufzuschlagen, um Halmesbreite mit einer Niederlage im Qualifikationsfinale verpasst. „Seit meiner Kindheit habe ich Wimbledon im Fernsehen geschaut, es ist das beste Turnier der Welt, hier wollte ich immer spielen“, sagte er.

Köpfer: Ausbildung statt Tennisprofi

Dass er es überhaupt nur in Schlagweite eines Grand-Slam-Turniers bringen würde, war lange Zeit undenkbar gewesen. Als Jugendlicher spielte er lieber Fußball oder ging Ski laufen, Tennis war ein Hobby, das er zweimal wöchentlich betrieb. Erst als er 2010 aus dem Nichts deutscher U-16-Vizemeister wurde, wuchs das Interesse. Doch Köpfer schaffte es in der Jugendrangliste nie höher als Platz 15 und entschied deshalb, der Ausbildung Vorrang zu geben. Das ist für deutsche Sportler keine außergewöhnliche Entscheidung, es gab schon früher Spieler wie den Saarländer Benjamin Becker, die über ein US-College den Weg ins Profitennis fanden.

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Obwohl seine Eltern ihn finanziell unterstützen konnten, wollte Köpfer das Zehntausende Dollar teure Studium über ein Stipendium absichern. Über Kontakte seiner Jugendtrainer Oliver Heuft und Jürgen Müller wurde Mark Booras, Coach des Collegeteams der Tulane University in New Orleans, auf den Deutschen aufmerksam. Er sah in dem bulligen Kämpfertypen, der bei 180 Zentimeter Körperlänge 79 Kilogramm Kampfgewicht aufweist, großes Potenzial.

Nach einem dreitägigen gemeinsamen Probetraining in Villingen beschloss Dominik Köpfer, sein Glück in New Orleans zu suchen. Parallel zu seinem Studium des Finanzmanagements trainierte er im Collegeteam. Dabei kamen ihm die Eigenschaften, die ihm seinen Spitznamen eingebracht hatten, zugute: Der Wille, sich durchzubeißen, und ein unerschütterlicher Kampfgeist, den er selber stets aufs Neue austestete.

Ein Sieg zur finanziellen Absicherung

„Ich war selbstzerstörerisch, habe mich bei kleinsten Fehlern sofort beschimpft und fertiggemacht“, sagt er. Erst eine Empfehlung von Booras brachte ihn zur Besinnung. Vor Trainingseinheiten sollte er Puzzles mit 1000 und mehr Teilen legen, um Konzentration und Geduld zu schulen. Das wirkte. 2015 wurde er US-Collegemeister in der Halle, 2016 schloss er das Studium mit einem Bachelor ab, siedelte nach Tampa (Florida) um, wo er heute noch 90 Prozent seines Lebens verbringt, und wagte den Schritt in die Knochenmühle der Challengertour.

Puzzles legt er seit einem Jahr nicht mehr, seinen Lohn streicht er trotzdem – und sicherlich auch deswegen – ein. Mit dem Sieg über Krajinovic (27), als 52. der Weltrangliste 78 Plätze besser notiert als sein Bezwinger, hat er 72.000 Pfund (gut 80.000 Euro) Preisgeld sicher – fast halb so viel, wie er bislang in seiner ganzen Karriere verdient hat (223.639 Dollar). „Damit kann ich eineinhalb Jahre meinen Trainer finanzieren und noch die eine oder andere Woche einen Physiotherapeuten buchen“, sagte er.

Gelingt Köpfer gegen Sandplatzspezialist Diego Schwartzman die nächste Sensation?
Gelingt Köpfer gegen Sandplatzspezialist Diego Schwartzman die nächste Sensation? © imago / Matrix

Und wer sagt denn, dass das schon alles gewesen sein muss? Am Donnerstag geht es im zweiten Grand-Slam-Match seines Lebens gegen den Argentinier Diego Schwartzman. Der 26-Jährige, an Position 24 der Welt notiert, ist zwar ein ausgewiesener Sandplatzspezialist wie so viele Südamerikaner, auf Rasen aber dennoch durchaus bezwingbar für den Linkshänder aus Furtwangen, der sich zum Ziel gesetzt hat, bis zum Jahresende in den Top 100 zu stehen.

„Und die Top 100 und die Top 50 sind relativ nah beieinander“, sagte er zum Abschluss des Gesprächs, es ist der einzige Satz, den man als eine Art Kampfansage werten kann. Etwas dünn für einen Pitbull, könnte man meinen. Aber Hunde, die bellen, beißen nicht. Und beißen, das wird Dominik Köpfer, so lange und so fest er kann.