Hamburg. Sie sind einmalig im Hamburger Amateurfußball: Furkan, Gürkan und Resul Vardar haben es als Referees in die Oberliga geschafft.

Den ersten Härtetest haben sie bestanden. Im April dieses Jahres leiteten Furkan, Resul und Gürkan Vardar gemeinsam ihr erstes Oberligaspiel. Die Partie zwischen dem HEBC und dem SC Victoria auf dem Reinmüller-Platz an der Tornquiststraße endete 2:3 und war der bisherige Karrierehöhepunkt einer ganz besonderen Schiedsrichter-Kon­stellation. Drei Brüder als Referees und dann noch als Leitung in einem Spiel – diese familiäre Konstellation ist im Hamburger Amateurfußball einmalig.

An die 100 Spiele brachten die drei Vardars von Rot-Weiß Wilhelmsburg bislang über die Bühne. Furkan (21) ist mit der Pfeife in der Hand der Chef auf dem Platz, Resul (29) und Gürkan (18) sind mit ihren Fahnen seine Assistenten an den Linien. Seit 2017 schon arbeitet das Brüdergespann zusammen, damals fragte Furkan seine Brüder, ob sie ihm assistieren wollen. Gemeinsam begannen sie in der Kreisliga. „Da kommen die drei Brüder“, heißt es seither bei den Spielansetzungen, die sie begleiten. „Wir sind tatsächlich ziemlich bekannt“, sagt Furkan Vardar.

Der Mittlere der Brüder gilt als eines der größten Hamburger Schiedsrichter-Talente. Bereits mit 20 Jahren gelang ihm im Sommer 2018 der Sprung vom Nachwuchskader in den neunköpfigen Förderkader des Verbands-Schiedsrichter-Ausschusses. Deren Chef ist DFB-Schiedsrichter Norbert Grudzinski (42), ein erfahrener Zweitliga-Referee und von Beruf Groß- und Außenhandelskaufmann. Er trainiert die Talente einmal die Woche auf dem Gelände des Fußballverbands an der Jenfelder Allee.

Die Söhne sollten es einmal besser haben

„Furkan hat ein sehr gutes Auge für Zweikämpfe, ist lauffreudig und besitzt eine gute Kommunikation auf dem Platz. Wenn es nötig ist, zieht er auch klare Grenzen“, lobt Grudzinski. Vardars Individualcoach Andreas Bandt, der früher bis zur Regionalliga Nord pfiff, hebt zusätzlich „das Stellungsspiel“ seines Schützlings heraus. „Insgesamt hat sich Furkan stark verbessert, auch wenn er wie jeder junge Schiedsrichter Potenzial nach oben hat“, urteilt Bandt. Am meisten angetan sind die Ausbilder von seiner Eigenmotivation: Furkan Vardar sei „lernwillig“ und „wissbegierig“.

Diese Eigenschaften liegen bei den Vardars in der Familie. Vater Mehmet (58) floh 1980 vor dem dritten Militärputsch in der Türkei nach Hamburg. 1982 lernte er seine Frau Emine (53) kennen. Gemeinsam hat das Paar vier Söhne: Muhammet (35), Resul, Furkan und Gürkan. Die sollten es im Leben einmal besser haben, weshalb die Eltern eine gute Ausbildung des Nachwuchses in den Mittelpunkt ihres Lebens stellten. „Wir sind sehr stolz auf alle unsere Kinder“, sagt Vater Mehmet heute. Immer wenn die Familie es einrichten kann, sehen sie sich die Fußballspiele an. Dann sind sechs Vardars auf dem Sportplatz: drei auf dem Feld, drei als Zuschauer.

Die Antithese zu manchen Klischees über Wilhelmsburg

Muhammet und Resul sind inzwischen in guten Jobs tätig, Furkan studiert, Gürkan ist in der Ausbildung zum Verfahrenstechnologen. Entsprechend eloquent ist ihre Sprache. Wenn Resul beispielsweise von Disziplin und seinem Lieblingsspruch in der Ausbildung schwärmt („Ein jedes Ding an seinem Ort erspart viel Mühe, Zeit und Wort“), wirken die Vardars in ihrem gemütlichen Familienhaus wie die Antithese zu manchen Klischees über Wilhelmsburg und Mitbürger mit Migrationshintergrund. „Es geht immer darum, sich zu verbessern. Das ist nicht nur in mir, das ist in uns allen einfach drin“, erklärt Furkan die ehrgeizige Familienphilosophie.

Auch deshalb gehen die Brüder kritisch miteinander um. Welpenschutz und Sich-selbst-Beweihräuchern ist nicht angesagt. Jedes Spiel wird zusätzlich zu Feedback und Tipps von Gru­dzinski, Bandt und den jeweiligen Beobachtern familienintern ausgewertet. „Wir beschäftigen uns dabei sehr intensiv mit den Sachen, die nicht so gelaufen sind“, sagt Gürkan. „Es geht uns immer darum, mit unserer Leistung zu einem guten Spiel beizutragen“, ergänzt Resul.

Neid ist für dieses Gespann kein Thema

Ein Vorbild ist DFB-Schiedsrichter Deniz Aytekin (40). „Von ihm schaue ich mir wahnsinnig viel ab“, sagt Furkan Vardar. „Seine Ruhe, seine Ausstrahlung, seine Akzeptanz bei den Spielern, all das beeindruckt mich sehr.“ Auch Aytekin hat türkische Wurzeln. Zudem gilt er in der Branche als jemand, der mit wenig Verwarnungen auskommt. Das passt zu Furkan Vardars Vorstellung von einem idealen Fußballspiel. „Ich bin eher ein Schiedsrichter der großzügigen Linie. Ich lasse das Spiel gerne laufen. Natürlich nur so lange das möglich ist.“

Sein nächstes Ziel sind weitere, viele gute Oberligaspiele, in denen er auf sich und seine Qualitäten aufmerksam machen kann. Gelänge dies, käme der Aufstieg in die Regionalliga Nord als nächster Schritt. „Den Sprung dahin kann er schaffen“, sagt Individualcoach Bandt. Förderkader-Chef Grudzinski glaubt gleichfalls, dass es „für Furkan höher hinausgehen kann“. Offensiver noch geht Bruder Resul mit dem Thema um: „Das Ziel meines Bruders sollte die Bundesliga sein. Er hat das drauf, wenn er weiter so hart an sich arbeitet.“

Der Haken dabei: Schon bei einem Aufstieg Furkan Vardars in die nächste Klasse, also die Regionalliga Nord, wird das brüderliche Trio gesprengt. Resul und Gürkan Vardar pfeifen selbst keine Spiele, dürfen daher nur bis zur Oberliga Hamburg an der Linie assistieren. Doch Neid ist für dieses Gespann kein Thema. „Wenn Furkan in der Regionalliga Nord oder höher pfeift, werden wir zu jedem Spiel als Zuschauer kommen, zu dem wir es schaffen“, sagt Gürkan Vardar. „Und mit unseren Herzen werden wir als Familie sowieso immer bei ihm auf dem Platz sein.“