Hamburg. Beim Handball-Final-Four in Hamburg feiern Trainer Alfred Gislason und der THW Kiel einen 28:24-Sieg im Endspiel.

Er kann einfach nicht aus seiner Haut. Noch eineinhalb Minuten vor Spielende war Alfred Gislason voll in seinem Element: als akribischer Trainer des THW Kiel an der Seitenlinie. Auch der letzte Angriff sollte schließlich mit System zu Ende gespielt werden. Als ihn seine Spieler im sicheren Gefühl des Sieges nicht erhörten, griff sich der Isländer Nikola Bilyk und erklärte dem Rückraumlinken wild gestikulierend was der 22-Jährige hätte besser machen können. Dass das Pokalfinale des THW gegen den SC Magdeburg vor 13.200 Zuschauern in der Barclaycard-Arena längst entschieden war, spielte für Gislason in diesem Moment keine Rolle.

Es ist eine Szene, die beschreibt, warum der 59-Jährige, der zum Saisonende nach elf Jahren als dienstältester Bundesligacoach bei Deutschlands größtem Handballverein seinen Dienst quittiert, selbst zu einem der größten seiner Zunft wurde. Nach dem 28:24 (14:13)- Endspielsieg im Rewe Final Four sogar zum Rekordpokalsieger: Sechs Mal trat Gislason mit dem THW zum Finalwochenende in Hamburg an, sechs Mal gelang der Triumph (2019, 2017, 2013, 2012, 2011, 2009). Einmalig in der 45-jährigen Historie des DHB-Pokals. Mehr Pokalsiege hat kein anderer Trainer vorzuweisen, zusammen mit seinem Vorgänger Noka Serdarusic (5 Erfolge) bringen es beide auf elf Pokalsiege mit den Schleswig-Holsteinern. Ebenfalls Bestwert.

Das Finale um den EHF-Cup steht bevor

„Es ist unbeschreiblich. Ich bin unglaublich stolz auf die Jungs“, sagte Gislason, dem es nach zwei titellosen Jahren und dem eingeleiteten Umbruch beim THW „unglaublich wichtig“ war, „heute hier nicht leer ausgegangen zu sein“. Teil eins seiner Abschiedstour ist in der Hansestadt gelungen, noch können die „Zebras“ auf die Meisterschaft hoffen, sofern sich Nordrivale SG Flensburg-Handewitt bei vier Punkten Vorsprung noch zwei Niederlagen erlaubt. Noch steht Gislason das Finale um den EHF-Cup bevor, in eigener Halle, vor den eigenen Fans.

„Es ist traurig, das nie wieder auf der Fläche zu erleben, sondern nur noch als Zuschauer“, sagte der Isländer dann doch noch etwas wehmütig. So wie er zuvor den Weg zur „weißen Wand“, dem Block mit den Kieler Fans in der Arena, gesucht hatte. Im Zusammenspiel mit seiner Mannschaft, die den Coach bei den Feierlichkeiten in der Halle immer wieder in die vorderste Reihe drängte, und den Zuschauern schmolz der lebende Eisblock und zeigte unbekannte Gefühle. „Wie er sich vor die Fans stellt. Ich habe ihn noch nie so einen Pokal in die Luft stemmen sehen. Ich habe ihn noch nie so vor den Fans gesehen“, sagte TV-Experte Stefan Kretzschmar, selbst einst Spieler unter Gislason in Magdeburg.

„Glückwunsch an Alfred"

Das Traumfinale mit seinem Ex-Club, das der Ligazweite THW am Sonnabend mit einem 24:22 (13:7)-Erfolg über die Füchse Berlin erreicht hatte und in das sich der SCM, Ligadritter, in letzter Sekunde beim 30:29 (15:11)-Sieg gegen Außenseiter TSV Hannover-Burgdorf warf, hatte Gislason unmittelbar nach dem Halbfinale vorbereitet. Noch während der Pressekonferenz wertete er den Spielberichtsbogen aus, schrieb sich Notizen und überraschte am Sonntag seinen Ex-Spieler auf der Magdeburger Bank mit Taktik und Personal. „Glückwunsch an Alfred. Der THW ist der verdiente Pokalsieger“, gratulierte SCM-Trainer Bennet Wiegert (37), fünf Jahre von 1999 bis 2004 Profi unter Gislason.

Im Finale war es der THW, der zunächst ohne einige Stars wie dem Ex-Hamburger und Kapitän Domagoj Duvnjak (30) auflief und Tempo machte. Gislason verteilte die Kräfte seiner Akteure im zweiten Spiel binnen 19 Stunden geschickt. Nach zwei Ligasiegen in dieser Spielzeit gegen den THW und insgesamt neun Erfolgen in Serie konnte der SCM die angedachte Rolle als Favoritenschreck und Mannschaft der Stunde nicht ausfüllen. Vier verworfene Siebenmeter sind nur ein statistischer Beweis. Zwar stellten die Magdeburger mit dem Dänen Michael Damgaard, der allein mit 15 Treffern gegen Hannover für einen neuen Bestwert sorgte, den besten Torschützen (21) und Spieler des Final Fours.

Auf Kieler Seite überragte jedoch Torhüter Niklas Landin. 19 Paraden (45 Prozent gehaltene Bälle) waren für den dänischen Weltmeister jeweils im Finale und Halbfinale notiert. Deutschlands Nationaltorwart Andreas Wolff kam bei einem Siebenmeterstrafwurf zum Einsatz. Mit zwei 5:0-Läufen führten die Kieler nach 45 Minuten mit acht Toren (24:16). Die Entscheidung.

Insgesamt 26.400 Zuschauer kamen

„Ich liebe das Final Four in dieser geilen Arena, in dieser geilen Atmosphäre“, sagte Spielmacher Duvnjak, der an alter Wirkungsstätte als Anführer und Heißsporn vorweg ging. Insgesamt 26.400 Zuschauer kamen, das 26. Final Four in Hamburg war in so frühzeitig ausverkauft wie nie. Bis 2022 läuft der Vertrag mit der Barclaycard-Arena.

Gefeiert werden sollte beim Italiener in Kiel – und nur kurz: Die Nationalspieler reisen heute zu ihren Auswahlen weiter, die Deutschen treffen Kanzlerin Angela Merkel. Alfred Gislason konnte den Abend ohne Rücksicht auf Verluste genießen. „Er kann ganz gut feiern und seine Leber funktioniert auch gut“, verriet Abwehrchef Patrick Wiencek.