Frankfurt/Main. Nun fehlt der deutschen Davis-Cup-Mannschaft im Erstrundenmatch gegen Ungarn nur noch ein Punkt zum Einzug ins Finale.

Es wäre eine Überraschung, hatte Ungarns Daviscup-Teamchef Gabor Koves vor dem Erstrundenduell mit Deutschland gesagt, wenn seine Auswahl einen Satz gewinnen würde. Am Freitagabend hätte Zsombor Piros aus einer Überraschung fast ein Wunder gemacht. 151 Spielminuten brauchte die Nummer 32 der Welt, Philipp Kohlschreiber, um den 19 Jahre alten Weltranglisten-371. 6:7 (6:8), 7:5 und 6:4 niederzuringen und die deutschen Tennisherren in der ausverkauften Fraport-Arena 1:0 in Führung zu bringen. Anschließend brauchte der Weltranglistendritte Alexander Zverev nur 67 Minuten, um mit dem 6:2, 6:2 über den im Ranking aktuell nicht einmal geführten Peter Nagy (26) die Stimmung weiter anzuheizen.

Selbstverständlich ist Zverevs Engagement nicht. An diesem Wochenende ist der 21 Jahre alte Hamburger der einzige Top-Ten-Spieler, der für sein Land im Daviscup antritt. Die Reform des Teamwettkampfes, die nach den Erstrundenduellen nur eine Finalwoche mit 18 Teilnehmern vom 18. bis 24. November in Madrid vorsieht, hat die Spitzenkräfte nachhaltig verärgert. Auch Zverev hat seine Reise in die spanische Hauptstadt abgesagt. In Frankfurt wollte er aber unbedingt aufschlagen. „Ich liebe es, mit dem Team Zeit zu verbringen. Die Stimmung ist Wahnsinn, es macht viel Spaß“, sagt er.

Die Laune im Daviscup-Team ist so gut wie selten

Tatsächlich ist die Laune im Team so gut wie selten. Dazu trägt auch Kohlschreiber bei, der in der Vergangenheit mit seinen Kapriolen bisweilen die Atmosphäre trübte und 2012 vor dem Abstiegsendspiel in Hamburg gegen Australien vom damaligen Teamchef Patrik Kühnen gar aus der Mannschaft gestrichen wurde. Im aktuellen Team spielt der 35-Jährige die Rolle des Routiniers jedoch gern. Dem Augsburger ist anzumerken, dass er Zverev als sportliche Nummer eins akzeptiert, ohne ihm die Erfolge zu neiden. „Ich habe über die Jahre schätzen gelernt, dass der Daviscup etwas Besonderes ist“, sagt er.

Auf der Suche nach dem Kitt, der die Individualisten zusammenhält, sind zwei Namen entscheidend: Boris Becker und Michael Kohlmann. Die Verpflichtung des dreimaligen Wim­bledonsiegers Becker als Head of Men’s Tennis war dem Innenverhältnis ex­trem zuträglich. Wer den 51-Jährigen dabei beobachtet, wie er beim Training mit kleinen Tipps und lockeren Sprüchen den Zugang zu den Spielern findet, der spürt die Magie, die er auf die Profis ausstrahlt. Wer ihn während der Einheit, schwer humpelnd wegen seiner operierten Gelenke, aufs Feld schleichen sieht, wo er – zumeist vergeblich – versucht, Zverevs Aufschläge zu returnieren, der kann nachfühlen, warum Becker nicht ohne Tennis kann und das Tennis nicht ohne ihn.

DTB-Sportdirektor lobt Boris Becker

„Ich finde Boris einfach cool“, sagt Kohlschreiber. Jan-Lennard Struff (28/Warstein), der an diesem Sonnabend (12 Uhr/DAZN live) im Doppel mit Lokalmatador Tim Pütz (31) gegen Gabor Borsos und Nagy den entscheidenden dritten Punkt holen will, sagt: „Wenn er spricht, hört einfach jeder zu.“ Klaus Eberhard (61), Sportdirektor des Deutschen Tennis Bundes, hält Beckers Rolle deshalb für entscheidend. „Es ist beeindruckend, in welchem Ausmaß er sich einbringt. Er vermittelt den Spielern Spaß, und er ist nie Konkurrent zu Michael, sondern eine Ergänzung.“

Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch Kohlmanns Arbeit. Der 45 Jahre alte Hagener, der im Daviscup vor allem an der Seite von Alexander Waske im Doppel erfolgreich war, ist ein anerkannter Fachmann, der dank seiner so ausgleichenden wie bestimmten Art der Führung die Eitelkeiten seiner Stars in den Griff bekommen hat.

Zverevs Liebe zum Team hat Grenzen

„Michael ist ein sehr, sehr guter Kapitän. Es macht viel Spaß, mit ihm zu reden, weil er genau weiß, was er sagt“, beschreibt Zverev seinen Teamchef, der im Februar 2015 das Amt von Carsten Arriens übernahm und noch bis Jahresende an den Verband gebunden ist. „Er hat eine große Akzeptanz bei den Spielern, strahlt viel Ruhe aus und ist immer positiv. Im Moment könnten wir mit der Konstellation nicht zufriedener sein“, sagt Eberhard.

Umso trauriger, dass nach diesem Sonnabend das Thema Daviscup 2019 für die aktuelle Mannschaft beendet ist. Erst in Madrid werden sie sich, sofern die Ungarn keine Sensation schaffen, wieder zusammenfinden, ohne Zverev allerdings. So weit, dass er sein persönliches Fortkommen gefährden würde, geht die Liebe zum Team dann doch nicht.

So liefen die Partien:

Kohlschreiber hadert mit sich – und seinem Gegner Zsombor Piros

Am Ende dieses erstaunlichen Daviscupmatches gab Philipp Kohlschreiber einen tiefen Einblick in sein Seelenleben. „Wenn ich zu Beginn so eines Spiels auf dem Court stehe, die Nationalhymne höre und dieses Kribbeln spüre, frage ich mich manchmal, warum ich mir das noch antue“, sagte der Augsburger. Diese Frage musste man sich auch als Beobachter stellen am Eröffnungstag des Erstrundenduells der deutschen Tennisherren mit Ungarn. 151 Spielminuten brauchte der 35 Jahre alte Weltranglisten-32, um Ungarns Topspieler Zsombor Piros mit 6:7 (6:8), 7:5 und 6:4 niederzukämpfen und sein Team mit 1:0 in Führung zu bringen.

Die Leistung, die die deutsche Nummer zwei dabei über weite Strecken zeigte, war schwach. Kohlschreiber fehlte es an allem: An Lauf- und Beinarbeit, Länge und Druck in den Grundschlägen, sauberen Volleys, vor allem aber an Mut und Selbstvertrauen, um gegen den an Position 371 der Weltrangliste eingestuften 19-Jährigen den Klassenunterschied nachzuweisen, den man hätte erwarten müssen. Doch erst, als Piros, der 2017 das Juniorenturnier der Australian Open gewonnen hatte und sein Talent mehrfach aufblitzen ließ, im dritten Satz wegen einer Verletzung am linken Bein deutlich an Kraft verlor, war ansatzweise zu sehen, wer denn nun die Nummer 32 der Welt war.

Als Erklärung für seine Vorstellung führte Kohlschreiber die Aufregung und den couragierten Auftritt seines Gegners an. „Ich muss ihm ein Kompliment machen, er hatte nichts zu verlieren und hat entsprechend frei aufgespielt. Ich war sehr nervös und konnte das über fast zwei Sätze nicht ablegen“, sagte er. Warum das einem 35-Jährigen passieren kann, der seit 2007 in 30 Einzelmatches im Daviscup Erfahrungen gesammelt hat, wusste er nicht zu erläutern. „Aber in zwei Tagen spricht keiner mehr darüber. Es war sicherlich nicht mein bester Tag, aber wichtig ist am Ende nur der Punkt“, sagte er.

Zverev wird der Favoritenrolle gerecht – und dankt Peter Nagy

Wie man seiner Favoritenstellung gerecht wird, unterstrich im zweiten Einzel der 21 Jahre alte Weltranglistendritte Alexander Zverev aus Hamburg, der gegen den im Ranking nicht einmal gelisteten Peter Nagy (26) für seinen 6:2, 6:2-Sieg nur 67 Minuten brauchte, um die 2:0-Führung zu sichern.

„Es ist normal im Daviscup, dass Spieler, die sonst nicht so gut spielen oder nicht so hoch in der Rangliste stehen, für ihr Land unglaublich spielen. Deshalb bin ich froh, dass ich mein Match klar gewinnen und uns 2:0 in Führung bringen konnte“, sagte Zverev, der – vollkommen zu Recht – die mäßige Atmosphäre in der mit 5000 Zuschauern ausverkauften Fraport-Arena monierte. „Nichts gegen unsere Fans, ich liebe es, in Deutschland zu spielen. Aber ich würde mir wünschen, dass die Zuschauer manchmal lauter wären und etwas mehr machen würden, als nur zu klatschen“, sagte er.

Zum Schluss sorgte er mit einer kuriosen Geschichte für Erheiterung. 2013 hatte er bei einem Futureturnier in Florida gegen Nagy in drei Sätzen verloren. „Das Match fand abends statt, im dritten Satz haben wir unter Flutlicht gespielt, und ich habe die Bälle nicht mehr gesehen. Nach diesem Match bin ich zum ersten Mal zum Augenarzt gegangen, und seitdem spiele ich mit Kontaktlinsen“, sagte er – und dankte seinem Kontrahenten „dafür, dass ich dieses Match verloren habe und seitdem weiß, dass ich eine Sehschwäche habe".