Euphorie plus Abwehrbollwerk: Die Erfolgsformel der deutschen Handballer ist vielversprechend. Auch dank einer Überraschung.

Köln. Bundestrainer Christian Prokop rieb sich in der Kölnarena verwundert die Augen, beim gemeinsamen Abendessen seiner Spieler herrschte prächtige Stimmung. Durch eine völlig unerwartete Niederlage Kroatiens gegen Brasilien (26:29) heißt es am Montag: erster Matchball Deutschland. Mit einem Sieg gegen die Kroaten (20.30 Uhr/ZDF) hätte der Co-Gastgeber bei der Heim-WM vorzeitig das Halbfinale in Hamburg erreicht.

Vor ihrer gemeinsamen Mahlzeit um 19.30 Uhr im Fünf-Sterne-Hotel Hyatt am Kölner Rheinufer verfolgten Kapitän Uwe Gensheimer und Co. die erste Turnierniederlage des zweimaligen Olympiasiegers am Fernsehen, während Prokop ein paar hundert Meter weiter in der Halle überraschende Schwächen der Kroaten vor Ort notierte.

„Zusammen mit 20.000 Fans können und wollen wir am Montag ein großes Kapitel Handball-Geschichte schreiben. Wir brennen auf dieses Spiel, wir brennen auf das Halbfinale. Wenn es uns einer vor dem Turnier gesagt hätte, dass wir es nun sogar vorzeitig schaffen können, hätten wir ihn für verrückt erklärt“, sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning.

Deutsche Kampfansage an Kroatien

Schon vor der Schützenhilfe der Brasilianer war die Stimmung im deutschen Team nach dem Traumstart in die Hauptrunde gegen Island (24:19) glänzend gewesen. In der Schulsporthalle Köln-Ostheim zeigten Torhüter Andreas Wolff und seine Mitspieler am Mittag beim Training ihre Basketballkünste. Nur Schlussmann Silvio Heinevetter schaute dabei ein bisschen ratlos, da sein Ball am Korb hängen geblieben war.

„Wir haben uns alle erträumt und erhofft, dass es zu so einem Tag, zu so einem Spiel kommt, in dem sich vieles entscheiden wird“, sagte Prokop: „Wir vertrauen in unsere Stärke und in unser Können. Ich will da nicht in Kroatiens Haut stecken.“ Nationalspieler Kai Häfner war derselben Meinung: „Ich glaube, die Kroaten spielen am Montag nicht gerne gegen uns.“

Bei aller Lockerheit wissen die deutschen Spieler, was sie gegen die durch die Niederlage gereizten Kroaten um Kiels Superstar Domagoj Duvnjak, einst bei den HSV-Handballern aktiv, erwartet. „Jetzt kommen die richtig harten Brocken auf uns zu. Aber wir sind gewappnet“, sagte Gensheimer selbstbewusst.

Prokop fordert „emotionales Feuerwerk“

Prokop, der nach dem emotionalen Hauptrundenauftakt vor 19.250 Zuschauern von einem „Highlight des Lebens für uns alle“ gesprochen hatte, fordert ein weiteres „emotionales Feuerwerk“ und eine „Steigerung in der Angriffsleistung“.

Prokop befindet sich im Tunnel. Schon morgens hatte er seine Spieler zum Videostudium gebeten. Sorgen wegen einer möglichen Überlastung macht sich Prokop keine. Die inzwischen sechs Turnierspiele an zehn Tagen seien für das Team kein Problem.

„Aufgrund unseres tollen Komforts, den wir hier bekommen, und der Energie der Zuschauer ist das Thema Belastung ganz weit weg“, versicherte der 40-Jährige. Mit allen Spielern sei am Montag „zu hundert Prozent zu rechnen“.

Die Abwehr ist das Prunkstück

Zum entscheidenden Trumpf soll wieder das deutsche Abwehrbollwerk werden. „Momentan ist es ziemlich schwierig für die gegnerischen Mannschaften, Tore zu werfen. Wir legen unseren größten Wert auf die Abwehr. Das ist das, was uns momentan stärkt“, sagte der gegen Island überragende Patrick Wiencek.

Die Defensive ist bislang das Prunkstück im deutschen Spiel. Mit enormer Wucht und ganz viel Emotionen ließen „Vorkämpfer“ Wiencek (O-Ton DHB-Vizepräsident Bob Hanning) und seine Nebenleute die isländischen Angreifer reihenweise abprallen. „Die Mauer von Berlin steht jetzt in Köln“, titelte ntv am Sonntag.

Keeper Wolff war beinahe beleidigt, dass er „nur“ zwölf Bälle abwehren durfte. „Die sollen mich mitspielen lassen“, scherzte Wolff und sprach seinen „phänomenalen“ Vorderleuten ein dickes Lob aus: „Unsere Abwehr hat grenzenloses Potenzial, manchmal ist mir fast langweilig, weil nix auf mein Tor kommt.“

Island glaubt an deutschen WM-Sieg

Prokop beobachtet die stete Entwicklung mit Wohlwollen. Er hatte schon vor dem Turnier immer betont, welchen Stellenwert die Defensive für den Erfolg der Medaillenmission hat. Die Zahlen nach sechs Spielen sind beeindruckend: Das deutsche Team hat während der gesamten WM erst 129 Gegentore bekommen, im Schnitt sind das mit 21,5 pro Spiel die wenigsten nach Olympiasieger Dänemark (insgesamt 125).

„Wenn sie weiter so gut spielen und vielleicht noch etwas besser, dann können die Deutschen Weltmeister werden“, sagte Islands genialer Spielmacher Aron Palmarsson voller Bewunderung für das deutsche Spiel.

Zwölf Jahre nach dem letzten WM-Titel träumen auch die Fans längst von einem Wintermärchen 2.0.