Gelsenkirchen. Der verschenkte Sieg gegen die Niederlande ist der passende Abschluss eines katastrophalen DFB-Jahres. Doch Löw bleibt zuversichtlich.

Für Jubilar Thomas Müller war es „eine bittere Pille“, Bundestrainer Joachim Löw sieht trotz der späten Ernüchterung eine „gute Basis“ für das kommende Jahr. „Eine junge Mannschaft braucht manchmal eine solche Erfahrung, um es in Zukunft besser zu machen“, erklärte Löw nach dem 2:2 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zum Abschluss eines insgesamt desolaten Länderspiel-Jahres 2018. „Normalerweise muss man so ein Spiel nach Hause bringen. Aber es ist eine sehr gute Basis, auf der man aufbauen kann“, ergänzte der DFB-Chefcoach nach dem erfrischenden Auftritt im Klassiker gegen die Niederlande (8,48 Millionen Zuschauer in der ARD/18,5 Prozent Marktanteil).

Pressestimmen zum 2:2 gegen Holland

AD (Niederlande)

"Oranje steht nach einem sensationellem Comeback im Finale der Nations League. Gegen die stärkeren Deutschen zeigte Oranje Schwung und einen heiligen Glauben. Es hatte etwas Unwirkliches. Der Ausgleichstreffer fällt aus dem absoluten Nichts an einem wiederum wundervollen und erinnerungswürdigen Länderspielabend. Es beweist mal wieder: Selbst an einem schlechteren Abend hat die neue niederländische Elf das Glück an ihrer Seite."

De Volkskrant (Niederlande)

"Oranje erholt sich schnell in einem urkomischen Spiel gegen Deutschland. Die Elf, die die Zuneigung des Volkes mit Spielen zum Küssen wiedergewonnen hat, erholte sich im letzten Augenblick noch von einem Pechtag in der neuen Liebesbeziehung. In dem Augenblick, als sich für Oranje eine Niederlage abzeichnete, stand die Mannschaft in der Schlussphase mit zwei Toren wieder auf."

Telegraaf (Niederlande)

"Meisterhaftes Comeback von Oranje in Deutschland. Die niederländische Elf hat sich auf großartige Weise für die Finalrunde der Nations League qualifiziert."

Trouw.nl (Niederlande)

"Vielleicht waren die Niederlande gegen Deutschland nicht die Besten, wohl aber die Glücklichsten."

NRC (Niederlande)

"Das neue Oranje schlägt in der Schlussphase zu. Die Rückkehr Oranjes auf die Erde vollzog sich am Montagabend über die schmerzhafte Offenlegung von Machtlosigkeit, bis Quincy Promes und Virgil van Dijk zehn Minuten vor Spielende mit Toren aus dem Nichts die Finalrunde der Nations League gegen Deutschland erzwangen. In Gelsenkirchen waren die Niederlande Deutschland in allen Belangen unterlegen, und doch wurde es ein 2:2."

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Leroy Sané: "Es wächst was zusammen"

„Es konnte jeder sehen. Da wächst auf jeden Fall was zusammen“, sagte Leroy Sané, der ein Tor schoss (20. Minute) und zusammen mit seinen jungen Angriffs-Kollegen Timo Werner sowie Serge Gnabry die Niederländer in der Schalke-Arena 80 Minuten lang vor erhebliche Probleme gestellt hatte. Doch auch beim Jungstar von Manchester City wurde die Freude durch die zwei späten Tore der Holländer stark getrübt. „Wir müssen uns auch belohnen, gerade wenn wir so spielen“, betonte Sané. Die lange Zeit dominierende und erfrischend agierende deutsche Nationalmannschaft hatte gleich mehrere beste Chancen auf das 3:0 vergeben.

Gary Lineker wandelt seinen Spruch ab

„Das ist sehr ärgerlich. Es muss ein 2:0 auch mal reichen“, erklärte Routinier und Ex-Weltmeister Toni Kroos. „Da müssen wir hinkommen. Hinten raus ist es für uns natürlich sehr, sehr bitter.“

Der überraschende Einbruch veranlasste schließlich auch Gary Lineker, seinen legendären Spruch über das stets siegreiche Deutschland abzuwandeln. "Wer auch immer gesagt hat, dass Fußball ein Spiel ist, bei dem 22 Spieler 90 Minuten lang den Ball treten und am Ende gewinnen immer die Deutschen, der hat keine Ahnung und sollte absteigen", twitterte der frühere englische Nationalspieler.

Deutschland muss auf Portugal hoffen

Das DFB-Team schließt die Top-Gruppe 1 der Nations League ohne Sieg als Gruppenletzter ab und muss in die Division zwei absteigen. Und bei der kommenden EM-Qualifikation droht nun eine schwierige Gruppe, da der Platz in Lostopf eins in arger Gefahr ist. Nur wenn Portugal gegen Polen am Dienstagabend gewinnt, rückt Deutschland noch in die Gruppe der gesetzten Teams.

Geknickter Jubilar Thomas Müller

„Am Ende ist das Ergebnis natürlich enttäuschend. Aber ich habe viel mehr Positives als Negatives gesehen“, sagte Löw. Sein langjähriger, aber derzeit schwächelnder Tore-Garant Müller war nach dem Abend vor 42.186 Fans in Gelsenkirchen zwiegespalten. „Es ist die bittere Pille, die ich schlucken muss“, bemerkte der 29-Jährige, der als 14. deutscher Spieler in den exklusiven Club der Hunderter einzog. „Die Kollegen haben mir gratuliert, und der Bundestrainer auch.“ Er sei aber hergekommen, „um das Spiel zu gewinnen und das Glücksgefühl des Sieges zu erfahren“, meinte Müller.

Oliver Bierhoff verweist auf die Psychologie

Oliver Bierhoff verwies auf „den psychologischen Aspekt“ nach einem so unbefriedigendem Jahr. Die Negativserie wirke schon. „Die junge Mannschaft geht das sehr gut an. Und dann kann man Vertrauen daraus schöpfen. Und dann sind zwei Tore ein Dämpfer. Für heute überwiegt für mich das Kompliment für die Mannschaft, wie sie das gemacht hat“, sagte der Manager. Müller hielt nach seinem 100. Spiel für Deutschland fest: „Wir haben einen neuen Schwung entfacht. Wir sind noch nicht zurück in der Weltspitze, aber man hat gesehen, was möglich ist.“

Schlechteste Bilanz seit 33 Jahren

Nichtsdestotrotz ist der Blick auf das abgeschlossene Länderspiel-Jahr ernüchternd, denn erstmals seit 33 Jahren steht für eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Ende eine negative Bilanz. Von 13 Spielen gewann Löws Mannschaft lediglich vier. Mit sechs Niederlagen gab es so viele wie noch nie in einem Jahr in der deutschen Länderspiel-Geschichte. Unter Teamchef Franz Beckenbauer lautete die Bilanz 1985: Vier Siege, zwei Unentschieden, fünf Niederlagen.

Löw setzte insgesamt 33 Spieler ein und verhalf fünf Neulingen zum Debüt im DFB-Trikot. In den 13 Spielen erzielte das deutsche Team lediglich 14 Tore (2017: 43 in 15 Spielen). Einzig Toni Kroos, Timo Werner und Leroy Sane trafen doppelt.

Die Länderspiel-Statistik 2018 im Überblick

Eingesetzte Spieler (33)

Manuel Neuer, Marc-Andre ter Stegen, Kevin Trapp, Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger, Niklas Süle, Jerome Boateng, Mats Hummels, Jonas Hector, Matthias Ginter, Marvin Plattenhardt, Thilo Kehrer, Nico Schulz, Sami Khedira, Ilkay Gündogan, Toni Kroos, Sebastian Rudy, Thomas Müller, Leon Goretzka, Mesut Özil, Julian Brandt, Emre Can, Kai Havertz, Lars Stindl, Julian Draxler, Leroy Sane, Marco Reus, Timo Werner, Mario Gomez, Sandro Wagner, Serge Gnabry, Nils Petersen, Mark Uth

Tore (14)

Kroos (2), Werner (2), Sane (2), Müller, Reus, Özil, Brandt, Schulz, Gnabry, Süle, Othman (Saudi-Arabien/Eigentor)

Elfmeter (1)

Kroos

Gelbe Karten (7)

Hummels (2), Müller, Rüdiger, Ginter, Kimmich, Kroos

Gelb-Rote-Karten (1)

Boateng

Neulinge (5)

Petersen, Kehrer, Schulz, Havertz, Uth

Die 13 Spiele (vier Siege, drei Unentschieden, sechs Niederlagen):

23. März 2018: Deutschland - Spanien 1:1 (1:1)27. März 2018 Deutschland - Brasilien 0:1 (0:1)02. Juni 2018: Österreich - Deutschland 2:1 (0:1)08. Juni 2018: Deutschland - Saudi-Arabien 2:1 (2:0)16. Juni 2018: Deutschland - Mexiko 0:1 (0:1)23. Juni 2018: Deutschland - Schweden 2:1 (0:1)27. Juni 2018: Südkorea - Deutschland 2:0 (0:0)06. September 2018: Deutschland - Frankreich 0:009. September 2018: Deutschland - Peru 2:1 (1:1)13. Oktober 2018: Niederlande - Deutschland 3:0 (1:0)16. Oktober 2018: Frankreich - Deutschland 2:1 (0:1)15. November 2018: Deutschland - Russland 3:0 (3:0)19. November 2018: Deutschland - Niederlande 2:2 (2:0)

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