Paris. Der Profi des FC Bayern wirkt derzeit nicht wie das Vorbild, das er immer war – Löw setzt auf den Keeper

    Wenn bisher von Manuel Neuer die Rede war, dann in etwa so: Der Torwart macht Sachen, die nur er kann: ein Spiel elegant eröffnen, gegnerischen Stürmern fern des eigenen Tores den Ball vom Fuß grätschen und auch sonst jeden Ball mit verstörender Selbstverständlichkeit halten. Bis jetzt zumindest. Der hochbegabte Kapitän der Nationalelf und des FC Bayern München muss sich mit seinen 32 Jahren – so wirkt das zumindest – mit den Problemen des irdischen Lebens befassen: mit der eigenen Fehlbarkeit zum Beispiel.

    „Im letzten Spiel sah es etwas unglücklich aus“, räumte Neuer ein. Die 0:3-Niederlage in den Niederlanden hatte er mit einem Fehler beim ersten Tor auf den Weg gebracht. Weil das nicht irgendein Spiel war, sondern es derzeit um die Wiederherstellung deutscher Fußball-Reputation geht, wird alles infrage gestellt. Nun auch Neuer.

    Hatte er nicht zuletzt in der Bundesliga schon defizitäre Leistungen gegen Augsburg (1:1) und Mönchengladbach (0:3) erbracht? Weist ihn nicht die mit heiligem Ernst geführte Noten-Rangliste des Fachmagazins Kicker als derzeit drittschlechtesten Torhüter der Bundesliga aus? Nur Fabian Bredlow (Nürnberg) und Fabian Giefer (FC Augsburg) stehen bislang schlechter da. Ist das noch der Manuel Neuer?

    Lothar Matthäus, Rekordnationalspieler und Sky-Experte, hat die Antwort schon gefunden. Neuer habe aktuell „nicht die Form und die Sicherheit“. Es sei daher so, dass Marc-André ter Stegen, Neuers sechs Jahre jüngerer Widersacher vom FC Barcelona, „langsam die Chance verdient hätte, ein wichtiges Spiel von Anfang an zu bestreiten“.

    Das Spiel am Dienstag gegen Frankreich ist wichtig. Für den bei der WM abgestürzten Weltmeister geht es gegen den Abstieg aus der Gruppe A der Nations League. Und überhaupt darum, verloren gegangenes Vertrauen wieder zu gewinnen. Das gilt mittlerweile auch für Neuer persönlich. Aber trotz der Krise vertraut Löw dem Ältesten in seinem Kader: „Er wird morgen im Tor stehen.“

    Löw handelte in all den Jahren immer lieber nach grundsätzlichen Überzeugungen als nach Eindrücken des Moments. Vielleicht müsste er sich ansonsten tatsächlich anders entscheiden. Neuer war fast ein Jahr lang am Fuß verletzt, kehrte gerade rechtzeitig zur WM, aber ohne Spielpraxis ins Tor zurück. Leistungsprinzip? Ausgesetzt. Bitter ist das vor allem für ter Stegen. Tatsächlich gibt es im deutschen Fußball keinen Reservisten, der so sehr in eine nationale Startelf gehört wie er. Möglich, dass er jetzt seine Chance wittert. Neuer wirkt gerade nicht wie ein Souverän.

    Der frühere Schalker teilt diesen Eindruck indes nicht. „Abgesehen von der Situation vor dem ersten Tor bin ich zufrieden mit mir gewesen“, sagt Neuer und beklagt seinerseits mangelndes Spielglück gegen die Niederländer. Tatsächlich hätte er das zweite Tor beinahe verhindert. Aber eben nur beinahe. So fängt das Ende ja manchmal an: schleichend, als eine Frage von Zentimetern. „Ich bin topfit und in guter Form“, sagt Neuer in einer wortreichen Verteidigungsrede am Tag vor dem Spiel. Er mache nun einmal seriös seinen Job und „kein Showfliegen“ damit „man sehen kann: Manuel Neuer ist da“.