Hamburg. Sie kämpft mit der ersten unabhängigen Athletenvertretung in Deutschland für mehr Rechte für Leistungssportler.

Mit ihrer weißen Bluse und der leisen Sprechstimme wirkt Silke Kassner wie die Geschäftsentwicklerin der Macromedia-Hochschule, als die sie in Vollzeit arbeitet. Dass sie auch rebellisch kann, beweist die Wildwasserkanutin allerdings nicht nur in ihrem Sport. Im Oktober 2017 gründete die 42 Jahre alte Rheinländerin mit Fechter Max Hartung (28) den Verein Athleten Deutschland, die erste unabhängige Vertretung für Leistungssportler in Deutschland. Als dessen Vizepräsidentin kämpft die Betriebswirtin seitdem um Akzeptanz, Finanzierung und die Stärkung von Athletenrechten.

Frau Kassner, im Deutschen Olympischen Sportbund gibt es eine Athletenvertretung. Warum war es richtig, eine neue zu gründen?

Silke Kassner: Die Anforderungen und Problemstellungen im Spitzensport sind so gewachsen, dass wir die Arbeit der Interessenvertretung für die Athleten professionalisieren mussten. Die bestehende Struktur war nicht mehr zeitgemäß. Deshalb gab es einen einstimmigen Entscheid der Athleten, den neuen Verein zu gründen. Er ist im Übrigen ein Zusatzangebot, kein Ersatz. Die Athletenkommission im DOSB bleibt bestehen, allein schon, weil das eine Forderung des Internationalen Olympischen Komitees ist.

Der Eindruck eines Gegeneinanders von Dachverband und Sportlern entsteht. Hätte man nicht in den DOSB-Strukturen die Athletenkommission neu aufstellen können?

Kassner: Es gibt viele Fragen und Probleme rechtlicher oder sozialer Natur, die einen unabhängigen Ansprechpartner für die Athleten nötig machten. Es gibt diverse Themen, in denen Athleten anderer Meinung sind als ihre Verbände. Bei solchen Interessenskonflikten ist es schwierig, wenn Budget und Arbeitskraft vom Verband getragen werden. Wir haben gemerkt, dass kein Athlet über seine Sorgen frei mit einem Verbandsvertreter reden möchte. Deshalb wollen wir ein unabhängiger Ansprech-
partner sein.

Welche Themen sind vorrangig?

Kassner: Erstens die finanzielle und soziale Absicherung, damit die Athleten wissen, dass es sich lohnt, all die Belastungen des Leistungssports auf sich zu nehmen. Zweitens die Schaffung eines international unabhängigen Antidoping-Managements. Das ist eine Herkulesaufgabe, aber wir müssen sie angehen, weil die internationalen Kontrollen nach wie vor von den Verbänden verantwortet werden. Und drittens den Rechtsstatus der Athleten zu klären, wenn es um Themen wie Antidoping, Abtretung von Werberechten oder sexualisierte Gewalt geht. All das muss transparenter und verständlicher werden, da ist zu viel Willkür im Sport-System, es herrscht weder Augenhöhe noch Waffengleichheit zwischen Athleten und Verbänden.

Versteht der Großteil der Sportler Ihre Anliegen, oder kämpfen Sie nur für einen kleinen, elitären Teil?

Kassner: Im Gegenteil, die Athleten stehen dahinter und sind diese Initiative gemeinsam angegangen. Nun gilt es die Arbeit so aufzustellen, dass den Athleten in ihrem komplexen Alltag geholfen werden kann. Wir befassen uns zum Beispiel mit der Abtretung von Persönlichkeitsrechten. Die Athleten verpflichten sich während Olympischer Spiele, auf individuelle Sponsoren zu verzichten, ohne dafür aus entsprechenden Werbeeinnahmen kompensiert zu werden. Ihre individuelle Wirtschaftlichkeit und damit die Möglichkeit, zum wichtigsten sportlichen Zeitpunkt Geld zu verdienen, ist eingeschränkt. Sie wollen nicht reich werden, aber Wertschätzung erfahren. Für die Veränderung solcher Bedingungen braucht es eine unabhängige Vertretung, die für alle mit den Verbänden verhandelt. Die Athleten sollen sich auf ihre Kernaufgabe, Topleistung möglich zu machen, konzentrieren können. Genau das ist aktuell für viele schwierig, weil sie sich weder mitgenommen noch gut vertreten fühlen.

Bei der Gründung 2017 schlug Ihnen heftiger Widerstand aus dem DOSB entgegen. Ist das Verhältnis nun entspannter?

Kassner: Der DOSB hat als Dachverband sehr viele wichtige Aufgaben. Generell kann man sagen, dass sich die Verbände auf die Athleten zubewegen, einige mehr, andere weniger. Uns werden mehr Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt, die wir nun wahrnehmen müssen.

Können Sie denn verstehen, dass der DOSB Bedenken hat? Schließlich sind Sie ein neuer Mitbewerber um Finanzmittel des Bundes. Das Innenministerium hat Ihnen 225.000 Euro zur Finanzierung des Vereins zugesagt. Geld, das der DOSB sicherlich gern selbst verwaltet hätte.

Kassner: Aus der Position des DOSB heraus kann ich die Bedenken verstehen. Die Athleten lehnen sich auf und werden durch professionelle Arbeit ein ernstzunehmender Stakeholder im Sport. Das ist zweifelsohne störend. Die Athleten wollen aber als Gesprächspartner auf Augenhöhe ihre Interessen wahrnehmen.

Wie waren die Reaktionen aus der Gesellschaft? Versteht man Ihr Anliegen in der Politik und der Wirtschaft?

Kassner: Es gibt tatsächlich in allen Bereichen die Einsicht in die Notwendigkeit dieses Vereins. Die Politik hat mit ihrer finanziellen Zusage deutlich gemacht, dass sie uns unterstützt. Die meisten Reaktionen waren eher der Art, dass niemand wusste, dass es bislang keine unabhängige Athletenvertretung gab. Dass dieses Thema, auch dank der Unterstützung durch die Medien, jetzt öffentlich diskutiert wird, ist nicht nur für den Sport wichtig, sondern für die Gesellschaft, denn es geht um Dinge wie Teilhabe und Gleichberechtigung.

International gibt es keine vergleichbare Bewegung. Fühlen Sie sich als Vorreiter?

Kassner: Tatsächlich sind wir der sogenannte Präzedenzfall, entsprechend groß ist das Interesse im Ausland. Das IOC sieht uns sicher kritisch, die Wada dagegen unterstützt uns sehr. Wir können nun ein breites Netzwerk schaffen. Die Athletenvertretung im IOC vertritt nur die Olympiateilnehmer. Aber der Leistungssport ist viel, viel größer, er hat so viele Facetten. Unser Ziel ist es, eine Systematik zu schaffen, die alle Athleten vereinigen kann. Aber ob das international in Gang gebracht werden kann, muss man abwarten. Wir müssen nun erst einmal auf nationaler Ebene unsere Arbeit machen, uns Netzwerke schaffen und herausfinden, wie und wo wir am besten helfen können.

Kürzlich waren Sie als Verein beim IOC geladen, um über Ihre Arbeit zu diskutieren. Wurden Ihre Anliegen ernst genommen?

Kassner: Ja. Immerhin war Präsident Thomas Bach mit seinem Führungsstab anwesend, alle waren sehr gut vorbereitet. Wir haben von 9.30 bis 16 Uhr über alle brisanten Themen wie den Antidoping-Kampf oder die finanzielle Beteiligung von Athleten an den IOC-Einnahmen diskutiert. Insbesondere Sportdirektor Kit McConnell schien unsere Belange sehr ernst zu nehmen.

Haben Sie Ergebnisse erreichen können?

Kassner: Nein, aber das war auch nicht zu erwarten. Wir konnten darstellen, wofür wir stehen, was unsere Ziele sind. Das IOC akzeptiert unsere Positionen und spürt, dass wir etwas bewegen wollen.

Wann sind Sie denn bereit, die Arbeit richtig aufzunehmen? Es fehlt momentan noch an Strukturen.

Kassner: Das ist richtig, wir suchen aktuell nach einer Geschäftsstelle im Rheinland und nach festem Personal, um die Arbeit richtig anschieben zu können. Wir stellen gerade den Projektantrag beim Bundesinnenministerium, um die zugesagten Finanzmittel anfordern zu können. Wie lange es dann bis zur Genehmigung dauert, kann ich nicht einschätzen, wir hoffen aber, zum Jahresende umfänglich in die Arbeit einsteigen zu können.

Wie ist der Zulauf?

Kassner: Sehr ermutigend. Auch vonseiten ehemaliger Athleten oder von Freiwilligen aus allen Teilen der Gesellschaft gibt es große Resonanz. Derzeit haben wir 360 Mitglieder, im Juni waren es noch 280. Aber wir stehen ja erst am Anfang, werden die Arbeit für die Vernetzung der Athleten angehen.