Hamburg. Am Böllenfalltor befreite sich der HSV schon einmal aus einer misslichen Lage. Klappt es am Freitag erneut? Ein Blick zurück nach vorn

    Christian Titz musste kurz nachdenken, als er am Mittwochvormittag auf das ungewohnte öffentliche Training zwei Tage vor einem Spiel angesprochen wurde. Der Chefcoach des HSV hatte sich dazu entschieden, die vorletzte Einheit vor der Partie bei Darmstadt 98 am Freitag (18.30 Uhr) – anders als sonst – vor Zuschauern auszutragen. Nach kurzem Nachdenken sagte Titz schließlich: „Ich habe da gar nicht groß drüber nachgedacht. Wir hatten nichts zu verheimlichen und wollten unsere ballorientierte Arbeit am Offensivspiel gerne vor den Fans trainieren“, sagte Titz. Und so kamen am Tag der Deutschen Einheit rund 300 Gäste in den Volkspark und setzten ein Zeichen der Einheit. „Pro Titz“ stand auf einem Plakat am Spielfeldrand.

    Die Fans hatten natürlich mitbekommen, dass es hinter den Kulissen des HSV mal wieder rumort und eine Debatte über den Trainer intern wie extern in Gang getreten ist. Sportvorstand Ralf Becker hatte den Druck auf Trainer und Mannschaft nach drei sieglosen Spielen erhöht und in Darmstadt einen Sieg gefordert. Kann sich das Team aus dieser schwierigen Situation befreien?

    Letzte Ausfahrt Darmstadt – so ähnlich lautete die Ausgangslage bereits vor dem bislang letzten Spiel des HSV am Böllenfalltor. Am 4. Dezember 2016 reiste der HSV mit vier Punkten aus zwölf Spielen als Tabellenletzter zu den Hessen. Es war die letzte Chance, noch vor der Winterpause die Wende einzuleiten. Und der HSV kriegte mit dem ersten Saisonsieg, einem 2:0, tatsächlich die Kurve. Michael Gregoritsch und Matthias Ostrzolek mit seinem ersten Bundesligator hatten den Erfolg herbeigeführt. Trainer Markus Gisdol, der nach sieben sieglosen Spielen schon zur Diskussion stand, rettete zunächst sich und am Ende der Saison auch den HSV.

    Damals wie heute litt der Club unter einer fehlenden Geschlossenheit. War es vor zwei Jahren Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, der unter Beschuss stand, ist es diesmal zur Abwechslung wieder der Trainer, der um seinen Job kämpft. „Diese Situation ist eine Extremsituation, die das Fundament im HSV zum Wackeln bringt“, hatte Beiersdorfer vor zwei Jahren gesagt. Obwohl der Club damals die Wende schaffte, musste Beiersdorfer wenige Wochen später gehen.

    Dass heute auch Titz am Scheideweg steht, hat weniger mit der bisherigen Punkteausbeute des Trainers zu tun. Vielmehr wird immer deutlicher, dass der Vorstand in Person von Ralf Becker und Bernd Hoffmann insbesondere nach dem 0:5 gegen Regensburg das Vertrauen verloren hat, dass Titz die alternativlose Mission Wiederaufstieg schon irgendwie schaffen wird. Die Clubbosse sprechen dem Trainer keine unbedingte Rückendeckung aus, weil sie wissen, dass ausbleibender Erfolg das HSV-Fundament ins Wackeln bringen könnte, wie Beiersdorfer es vor zwei Jahren formulierte. Nur mit überzeugenden Siegen kann der Trainer ein Stück Vertrauen zurückgewinnen.

    Vor zwei Jahren hatte Gisdol mitten in der Krise diverse Maßnahmen innerhalb der Mannschaft ergriffen. Er machte Gotoku Sakai anstelle von Johan Djourou zum Kapitän, holte sich einen Psychologen in das Team und veränderte die Anwesenheitszeiten an den Trainingstagen.

    Gisdols Nach-Nachfolger Titz vertraut in der ersten schweren Phase seiner bisherigen Amtszeit den gewohnten Abläufen. Er sucht die Nähe zu den Fans, setzt auf seine Führungsspieler und führt viele Einzelgespräche. Beim Training am Mittwoch waren gleich alle Kollegen aus seinem Trainerstab damit beschäftigt, immer wieder den Dialog mit einzelnen Spielern zu führen. Mit dem zuletzt phasenweise frustrierten Stürmer Pierre-Michel Lasogga sprachen die Trainer bereits vor einigen Tagen und versuchten ihm, ihre Sicht der Dinge zu erklären.

    Die Zuschauer am Mittwoch im Volkspark konnten beobachten, dass Titz aller Voraussicht nach auch in Darmstadt an seinen erfahrenen Spielern festhält. Sowohl Sakai als auch Kapitän Aaron Hunt und sein Stellvertreter Lewis Holtby spielten durchgehend in der Stammformation. Alle drei hatten mit ihrer Formschwäche dazu beigetragen, dass der HSV innerhalb von zehn Tagen von Tabellenplatz eins auf den vierten Rang gerutscht war.

    Mit Darmstadt 98 wartet auf den HSV nun eine Mannschaft, die es in der englischen Woche mit der Punkteausbeute noch bescheidener meinte als der HSV. Drei Niederlagen in Folge mit zusammen zehn Gegentoren haben zu einer kleinen Krise geführt. Trainer Dirk Schuster fehlte beim jüngsten 2:4 in Kiel „die Liebe am Verteidigen“. Die Gegentore habe man „brutal einfach“ bekommen. Auch in Darmstadt hofft man auf die Wende. Dem SV 98 komme es „gelegen, sich mit der besten oder vielleicht zweitbesten Mannschaft der Liga zu messen“, sagte Schuster am Mittwoch.

    Dass der HSV neben Köln zu den zwei „Leadern der Liga“ gehört, wie Darmstadts Trainer noch hinzufügte, muss der Club aus dem Norden nun beweisen. Die Findungsphase, wie sie Lew­is Holtby nach der Derbyenttäuschung als Ausrede bemühte, zählt nicht mehr. „Natürlich gibt es das sogenannte Manöver des letzten Augenblicks“, sagte der ehemalige Kontrollchef des HSV, Karl Gernandt, vor zwei Jahren in der großen Krise vor dem Darmstadt-Spiel.

    Der HSV von heute ist nun gefragt, das richtige Manöver zu fahren, um die Wende einzuleiten. Oder anders ausgedrückt: Um sich aus der ersten Krise der Zweiten Liga zu manövrieren.