Hamburg. HSV-Profi kritisiert die Kritik an Trainer Titz. Sportchef Becker hält den Druck nach drei sieglosen Spielen hoch

    Das Derby war bereits einige Minuten vorbei, als Lewis Holtby im Bauch des Volksparkstadions seine Hände fest zusammenklatschte und dann zu einer Generalkritik ansetzte. „Das macht mich aggressiv“, schimpfte der Vizekapitän des HSV, „da kriege ich das Kotzen.“ Was Holtby derart in Rage brachte, wurde erst im Laufe des Gesprächs deutlich. „Es gibt immer so schnell Gegenwind hier. Erst ist alles super, weltklasse. Man ist der Heilsbringer. Und auf einmal ist alles wieder schlecht.“

    Holtbys Ausbruch hatte hauptsächlich mit der jüngsten öffentlichen Diskussion um Trainer Christian Titz zu tun. „Zwei Pleiten könnten für ihn schon das Aus bedeuten“, hatte die „Bild“-Zeitung einen Tag nach dem 0:5-Debakel gegen Regensburg geschrieben. Eine Woche später hat der HSV sowohl in Fürth als auch gegen St. Pauli 0:0 gespielt. Holtbys Ärger über die Trainer-Debatte war aber noch nicht verflogen. „Ein 0:5 ist natürlich scheiße, aber wir müssen jetzt in Ruhe arbeiten. Das wird aber immer schwieriger, weil von außen immer so viel kommt, so viel Negatives“, sagte Holtby.

    Emotionen, die man zuvor eigentlich auf dem Spielfeld gegen St. Pauli erwartet hatte. Doch nach dem höhepunktarmen Derby musste auch Holtby einsehen, dass der HSV in ein Leistungsloch gefallen ist. „Ich bin sehr enttäuscht. Vor allem von den letzten 15 Minuten. Da haben wir uns dem Spiel des Gegners angepasst und nur noch nach vorne gebolzt“, sagte der Mittelfeldmann. Holtbys Analyse: „Wir waren dominanter. Ich habe uns als besser empfunden. Aber nach vorne fehlt uns momentan etwas.“

    Und genau diese fehlende Offensivpower ist es, die dazu führt, dass rund um den Volkspark weiterhin über das Spielsystem von Trainer Titz diskutiert wird. Oder wie Torhüter Julian Pollersbeck sagte: „Wir haben vorne fünf Wahnsinnsspieler, die alle auch Bundesliga spielen könnten. Ich bin mir sicher, dass wir bald auch wieder unsere Tore schießen. Manchmal gibt es aber solche Phasen.“

    Die Phase der Torlosigkeit dauert beim HSV nun bereits schon drei Spiele an. War es nach dem 0:5 gegen Regensburg insbesondere die defensive Anfälligkeit, die den Clubbossen missfiel, wird nun über die mangelnde Durchschlagskraft im Angriff diskutiert. „Wir schaffen es im Moment einfach nicht, unsere Qualität, die wir haben, so auf den Platz zu bringen, dass wir uns genug Torchancen erarbeiten“, sagte Sportvorstand Ralf Becker.

    Der 48-Jährige, der seine Mannschaft und auch Trainer Titz nach der Regensburg-Blamage in die Pflicht genommen hatte, hält den Druck weiter hoch. „Das Gefühl der Zufriedenheit ist nie gut. Wir müssen die Themen ansprechen, um alles dafür zu tun, dass wir am Ende der Saison unser Ziel erreichen.“ Mit der zurückgewonnen Stabilität in den Spielen gegen Fürth und St. Pauli war Becker zufrieden. Nun müsse der nächste Schritt erfolgen. „Wenn wir in Darmstadt gewinnen, und das müssen wir, dann war es die richtige Reaktion“, so Becker.

    Der Sportchef war bemüht, das HSV-Glas „halb voll“ zu bewerten. Ganz leicht fiel ihm das angesichts der Leistungskurve nicht. „Wir haben schon einiges abgestellt. Wir haben uns in die Liga gekämpft. Jetzt müssen wir die richtige Mischung finden“, sagte Becker. Eine Mischung aus defensiver Stabilität und offensiver Power.

    Gegen St. Pauli wirkten die Offensivbemühungen des HSV verkrampft und ideenlos. Auch weil mit Kapitän Aaron Hunt und Vizekapitän Lewis Holtby die Führungsspieler der Achse schwächeln. Ausgerechnet die beiden Routiniers, die im Frühjahr unter dem neuen Trainer Titz wieder aufblühten und anschließend mit neuen Verträgen ausgestattet wurden. In den vergangenen zwei Wochen wirkten die beiden Kreativspieler müde und ideenlos.

    „Wir haben eine Tingeltangeltour hinter uns, sind erst vor zwei Tagen aus Fürth wiedergekommen. Es waren intensive Wochen“, rechtfertigte sich Holtby und warb für Verständnis. „Man darf nicht vergessen, dass wir eine sehr junge Mannschaft haben, die sich auch noch finden muss.“ Vom eigenen Kurs und der Spielidee wollen sich die HSV-Profis nicht abbringen lassen. „Wir haben einen Plan. Wir wissen, was wir können und jeder Spieler steht hinter diesem Plan“, sagte Verteidiger Rick van Drongelen. „Wir wissen, dass wir mit unserem Plan wieder Spiele gewinnen können.“ Ähnlich sieht es Torhüter Pollersbeck: „Wir halten an unseren Dingen fest, weil wir davon überzeugt sind.“

    Und Trainer Titz? Der war zumindest zufrieden mit der Defensivleistung seiner Mannschaft, vermisste aber den Mut im Vertikalspiel in der Offensivbewegung. „Es hat den Anschein gemacht, dass uns etwas die Leichtigkeit abhanden gekommen ist. Daran werden wir arbeiten, damit wir uns auch wieder mehr Torchancen erarbeiten.“

    Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und das möglichst in Ruhe. Das wünscht sich auch Holtby. „Unsere jungen Spieler kriegen natürlich mit, wenn hier Unruhe herrscht. Wir älteren Spieler sind gefordert, Ruhe reinzubringen. Es geht jetzt nicht darum alles infrage zu stellen, das wäre absoluter Nonsens.“

    Helfen würden dem HSV dafür vor allem Leidenschaft, Spielfreude, Torchancen und in der Konsequenz dann Tore und Siege. Nur so können Mittelfeldmann Holtby und Trainer Titz es schaffen, wieder für Ruhe und Geschlossenheit im und um den Club herum zu sorgen. Oder wie Holtby am Ende seines Ausbruchs sagte: „Jetzt ist Zeit, wieder Spiele zu gewinnen.“ Und bis dahin? Holtby: „Beine hochlegen, weiter arbeiten, Mund halten.“