Hamburg. St. Paulis Siegtorschütze von Ingolstadt fühlt sich nach langer Leidenszeit auch bereit für die Startelf

    Auch dem umjubelten Schützen des entscheidenden Tores blieb am Tag nach dem 1:0-Sieg des FC St. Pauli beim FC Ingolstadt eine scheinbar lästige Pflicht nicht erspart. Ryo Miyaichi musste am späten Nachmittag mit den Kollegen, die am Abend zuvor entweder gar nicht oder weniger als 45 Minuten gespielt hatten, am sogenannten Spielersatztraining auf der Anlage an der Kollaustraße teilnehmen.

    Nach unterhaltsamen Torschussübungen aus vollem Lauf folgte bei Wind und Sprühregen noch ein intensiver Kick mit fünf gegen fünf Feldspielern auf deutlich verkleinertem Spielfeld. Hier sprühte Miyaichi vor Spielfreude, erzielte ein paar Treffer und bekam dafür immer wieder das Lob seiner Mitspieler. „Klasse, Ryo“, schallte es über den Platz. Auch Trainer Markus Kauczinski hatte helle Freude an den Aktionen des 25 Jahre alten Japaners.

    Dabei schwang ganz offensichtlich die Hoffnung mit, dass der Auftritt des in Ingolstadt in der 70. Minute eingewechselten Miyaichi nun endlich der Beginn eines erfreulichen Kapitels in dessen Karriere war. Bisher ist das Dasein des Japaners als Fußballprofi bekanntlich fast nur eine Leidensgeschichte gewesen. Ein Kreuzbandriss im Sommer 2015 kurz nach seinem Wechsel vom FC Arsenal zu St. Pauli sowie ein erneuter Kreuzbandriss im Sommer 2017 stehen neben anderen Blessuren in seiner Krankenakte. Als er im April dieses Jahres sein Comeback in St. Paulis Regionalliga-Mannschaft gab, war nach wenigen Minuten schon wieder Schluss für ihn. „Verdacht auf Re-Ruptur des Kreuzbandes“, lautete die erneut niederschmetternde Dia­gnose. Der Operationstermin in Straubing war schon gebucht, als sich Miyaichi anders entschied, auch weil er plötzlich nahezu keine Schmerzen mehr hatte. Er flog in seine Heimat, ließ sich dort bei einem Arzt seines Vertrauens erneut untersuchen und beschloss, auf eine Operation zu verzichten und stattdessen mit gezieltem Muskelaufbau das rechte Knie zu stabilisieren. Während seine Mitspieler noch den Urlaub genossen, trainierte der Offensivspieler schon wieder eifrig bei einem Privatcoach in Tokio und postete Videos von seinen Sprints auf der Tartanbahn. Pünktlich zum Trainingsauftakt seines Teams Ende Juni war er zurück in Hamburg und bereit, voll mitzutrainieren. Damit hatten in dieser Form auch Sportchef Uwe Stöver und Trainer Kauczinski nicht gerechnet. Diesmal hielt das Knie nicht nur im Training, sond ern auch in den Einsätzen in der U-23-Mannschaft, bei denen er wieder Wettkampfpraxis sammelte. „Ryo hat diese Spiele gut angenommen. Es ist einfach ganz toll, wie er mit den ganzen Niederschlägen umgegangen und wie er auch jetzt wiedergekommen ist“, sagte Trainer Kau­czinski nach dem Sieg in Ingolstadt. „Ich freue mich total für den Jungen.“

    Erfreut kann er selbst nun auch darüber sein, dass ihm eine vollwertige Alternative mehr in der Offensive zur Verfügung steht. Miyaichi ist quasi ein Neuzugang, für den es jetzt keines Transfers bedurfte. St. Paulis Führung hatte den Vertrag mit Miyaichi nach dessen Kreuzbandriss im Sommer 2017 vorzeitig um ein Jahr bis Juni 2019 verlängert, damit er sich während der Reha keine Zukunftssorgen machen musste. „Ich bedanke mich für all die Unterstützung, die ich bekommen habe, und auch ganz besonders dafür, dass man meinen Vertrag verlängert hat“, sagte Miyaichi nach seinem märchenhaften Comeback. „Noch vor wenigen Monaten hatte ich Sorge, dass ich meine Karriere beenden muss.“

    Jetzt könnte es sich allerdings auch für St. Pauli als clever erweisen, Miyaichi trotz dessen Verletzungshistorie weiter an sich gebunden zu haben. Der Japaner traut sich zu, künftig auch von Beginn an zu spielen. „Aber es ist auch weiter eine gute Option, später ins Spiel zu kommen, um dann mein Tempo zu nutzen“, sagte er. Das war ihm beim Tor in Ingolstadt gelungen, als er schneller als Torwart Marco Knaller an den Ball kam und ihn per Kopf überlupfte. „Ich hatte kurz nachgedacht, ob ich den Fuß nehmen soll, aber zum Glück habe ich mich für den Kopf entschieden, als ich sah, dass der Torwart rauskommt“, beschrieb Miyaichi die entscheidende Situation.

    Für Mittelfeldspieler Johannes Flum war die Szene ein klarer Beleg dafür, dass Miyaichi auch keine Angst mehr vor einer erneuten Verletzung verspürt. Schließlich hatte er neben den Kreuzbandrissen auch schon eine Gehirnerschütterung erlitten. „Es ist sensationell, dass Ryo so dahin geht, wo es wehtut. Das machen Offensivspieler nicht immer gern, wenn sie keine Brecher sind. Der Torwart hätte ihm auch den Kopf wegschädeln können. Das spricht für sein Vertrauen in seinen Körper“, sagte Flum. „Ich freue mich wahnsinnig für ihn. Er hat das total verdient.“

    „Das ist jetzt nur der Anfang, wir haben noch viele Spiele vor uns“, sagte Ryo Miyaichi. So klingt wohl eine Kampfansage eines überaus höflichen und freundlichen Menschen, der auch in schlechtesten Situationen sein Lächeln immer behalten hatte. Gerade einmal neun Startelfeinsätze in der Zweiten Liga stehen bisher für ihn seit 2015 zu Buche, 14-mal wurde er eingewechselt. Bleibt er jetzt endlich längere Zeit gesund, wird er diese Bilanz deutlich ausbauen.

    Nach einem freien Sonntag startet St. Paulis Team an diesem Montag um 15 Uhr mit der Vorbereitung auf das Heimspiel gegen den SC Paderborn am Mittwoch (18.30 Uhr).