Hamburg. Die jüngste Mannschaft der Zweiten Liga soll und muss noch viel lernen – auch abseits des Platzes. Dabei versuchen Titz und sein Trainerteam auch ungewöhnliche Dinge aus. Ein Kabinenreport

    henrik Jacobs

    Auf dem Plan der HSV-Profis, der in der Kabine im Volksparkstadion aushängt, sind in dieser Woche nach der Eroberung der Tabellenspitze in Dresden zwei Termine eingetragen, die bei den Fußballern erhöhte Aufmerksamkeit auslösten. Nummer eins am gestrigen Donnerstag: frei. Der ganze Tag. Mitten in der englischen Woche. Und Nummer zwei: am heutigen Freitagnachmittag. Ein Impulsvortrag. 45 Minuten lang. Über Ernährung. Gleich nach dem Training.

    Nun gibt es keine repräsentative Umfrage unter den Profis, ob die Aussicht auf den freien Donnerstag oder auf den Vortrag über die richtige Ernährung an diesem Freitagnachmittag besser in der Mannschaft ankam. Co-Trainer Maik Goebbels ist sich dennoch einigermaßen sicher, dass die Spieler beidem etwas Gutes abgewinnen können. „Das erste Feedback aus der Mannschaft ist positiv“, sagt Goebbels im Hinblick auf den von ihm organisierten Vortrag. „Der eine oder andere Spieler ist schon neugierig.“

    Christian Titz' Assistenztrainer ist der festen Überzeugung, dass der HSV auch als Tabellenführer noch viel lernen muss – auf, aber genauso auch abseits des Platzes. „Wir haben den jüngsten Kader der Liga. Da finde ich es sehr wichtig, dass wir auch ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen“, sagt der 41 Jahre alte Belgier, der seit diesem Sommer das Trainerteam des HSV verstärkt. Und weil es Goebbels nicht nur bei Worten belassen wollte, hat er nun eine monatliche Vortragsreihe im Volkspark initiiert.

    Die Kabine wird zum Klassenzimmer. Den Anfang macht an diesem Freitag Jens Freese, der Geschäftsführer der Trainerakademie in Köln, der auch als Ernährungsberater für Profisportler arbeitet. „Besonders in den Teamsportarten ist das Thema Ernährung in den Kinderschuhen. Deswegen finde es ich es auch so lobenswert, dass der HSV seine Profis nicht nur in Taktik und Technik weiterbildet“, sagt Freese, der in Köln Sportwissenschaft und in Barcelona Neuroethnologie studiert hat. „Er hat sicher Anregungen, auf was unsere Jungs achten sollten“, sagt Goebbels, der die Sinne auch außerhalb des Stadions schärfen will.

    Auch das Thema des nächsten Vortrags steht bereits fest. Im Oktober soll ein Hamburger Gastredner über den richtigen Umgang mit Stress referieren und mentale Strategien aufzeigen, wie man kritische Situationen übersteht. „Wir wollen nur Impulse geben“, sagt Goebbels, der aus den Vorträgen keine Pflichtveranstaltungen machen will. „Ich würde mir wünschen, dass auch der eine oder andere Spieler ein Thema anregt, zu dem wir dann einen Vortrag vorbereiten“, sagt der Trainer.

    Es ist erst ein paar Monate her, als der Freiburger Nationalstürmer Nils Petersen in ganz Fußball-Deutschland eine Diskussion in Gang gesetzt hat, als er sagte: „Salopp gesprochen, verblöde ich seit zehn Jahren, halte mich aber über Wasser, weil ich ganz gut kicken kann.“ Sein zentraler Vorwurf: „Die Fußballbranche ist oberflächlich. Wir Fußballer sind nicht so belesen. Manchmal schäme ich mich, weil ich so wenig Wissen über die Welt besitze.“

    Nun wollen Goebbels und Cheftrainer Titz keine Mannschaft voller Denker und Dichter formen. Aber ganz grundsätzlich ist das Trainerteam von der These überzeugt, dass es den Fußballern auch auf dem Platz guttut, wenn sie sich auch außerhalb des Platzes weiterbilden. „Wir wollen die Horizonte unserer Jungs erweitern“, sagt Goebbels, der zudem im Ruhebereich der Profis eine kleine Bibliothek mit Lektüre über sportwissenschaftliche Inhalte einrichten will. Auch die Teilnahme der Spielerfrauen an den Sprachkursen soll forciert werden.

    Erstaunlicherweise möchte man beim HSV das Thema aber nicht zu sehr an die große Glocke hängen. Die Sorge, dass bei der nächsten Pleite „die HSV-Bücherwürmer“ medial durch den Kakao gezogen werden, ist groß. Nicht ganz ohne Grund. Als vor anderthalb Jahren der frühere HSV-Profi Matthias Ostrzolek dem Abendblatt ein Interview über seine Ernährungsgewohnheiten gegeben hat, dauerte es genau eine Niederlage, ehe in der „Sportbild“ geächzt wurde: „Ostrzolek trinkt nach dem Aufstehen ein großes Glas Wasser und isst einen Löffel Manuka-Honig“, schrieb ein Mitglied der Chefredaktion in seinem Kommentar und zog das vernichtende Fazit: „Sie quatschen viel, nur mit den Taten hapert es.“

    Die Profis sollen einmal im Monat Vorträge bekommen

    Puh. Vor derartigen Reaktionen ist man natürlich nicht einmal als Tabellenführer geschützt. Doch Trainer Titz und Co bleiben überzeugt, dass ihrer jungen Mannschaft der eine oder andere Exkurs guttut. „Die Tabelle ist ein schönes Nebenwerk“, sagt Titz. „Aber natürlich ist uns auch klar, dass wir noch sehr viel zu lernen haben.“

    Vor allem die Theorie in die Praxis umzusetzen. Und wenn möglich, gerne schon am letzten Termin, der für die HSV-Klasse auf dem Kabinen-Wochenplan eingetragen ist: Sonntag, 13.30 Uhr. Heimspiel gegen Regensburg.