Singapur. Der Monegasse Charles Leclerc wird in der kommenden Formel-1-Saison zweiter Pilot im Ferrari-Rennstall

    Der neue Nebensitzer von Sebastian Vettel spürt bereits ein halbes Jahr vor seinem ersten Rennen im Ferrari, was es bedeutet, vollwertiges Mitglied der „Gestione sportiva“ zu sein. „Ich weiß, dass für eine Menge Menschen ein großes Fragezeichen hinter meiner Verpflichtung steht“, sagt der 20 Jahre alte Charles Leclerc, der vor dem Abflug zum Nachtrennen nach Singapur (So, 14.10 Uhr/RTL) zum Nachfolger des Finnen Kimi Räikkönen erklärt wurde. Doch der rasende Azubi aus dem Sauber-Team ist ein Mann, der Ausrufezeichen setzen kann.

    Nach 14 Rennen und 13 WM-Punkten in die rote Zone der Formel 1 katapultiert zu werden ist eine Beschleunigung, die sich kein junger Rennfahrer zu erhoffen wagt. Leclerc ist alles andere als ein Träumer. Er erinnert in Auftritt, Fahrweise und Rennintelligenz stark an den jungen Michael Schumacher. Da, wo er künftig sitzt, hätte sein bester Freund landen sollen – der Franzose Jules Bianchi war einer seiner Vorgänger in der Ferrari-Fahrerakademie, bis er im Herbst 2014 nach einem Unfall in Suzuka mit schweren Kopfverletzungen in ein Koma versetzt wurde, aus dem er nie mehr erwachte.

    Es war nicht die einzige Begegnung für Leclerc mit Leben und Tod. Im vergangenen Jahr, er war auf dem Weg zum Titel in der Formel 2, starb sein Vater Hervé. Ihm widmete er nach der befreienden Nachricht aus Maranello in dieser Woche seine erste öffentliche Reaktion auf die Beförderung: „Danke an eine Person, die nicht mehr auf dieser Welt ist, aber der ich alles verdanke, was mir widerfährt, Papa!“

    Auf der Rennstrecke für seine kompromisslose Vorgehensweise bekannt, versucht sich Leclerc in Singapur auch als Diplomat, als die Frage nach seiner Reife gestellt wird: „Ich kann selbst schwer beurteilen, ob ich reif genug bin, aber ich glaube schon. Wenn man sich Lewis Hamilton ansieht – er fuhr gleich in seinem ersten Jahr an die Spitze.“ Der aktuelle Titelverteidiger in der Formel 1 kam 2007 zu McLaren-Mercedes, wurde auf Anhieb Vizeweltmeister und im Jahr darauf Champion. Daraus folgert Leclerc: „Erfahrung ist immer ein Plus, aber wer für gut befunden wird, in die Formel 1 zu kommen, der kommt auch mit einem Sitz in einem Topteam klar.“

    Trotzdem fährt der Monegasse zunächst auf Bewährung. Im Gegensatz zum Tauschpartner Räikkönen, der für zwei Jahre bei Sauber fix ist, hat Leclercs Manager Nicolas Todt zunächst nur einen Ein-Jahres-Kontrakt aushandeln können. Die Herausforderung nimmt der Beförderte gern an: „Sollten meine Ergebnisse nächste Saison nicht gut genug sein, dann verdiene ich den Platz bei Ferrari auch nicht. Ich weiß, dass mir kein Lernjahr eingeräumt wird, das habe ich in dieser Saison. Ich muss bei Ferrari sofort Ergebnisse liefern.“

    Vergangenes Jahr hatte er bereits ausgiebig im Rennsimulator von Ferrari gesessen, fuhr jeden Grand Prix virtuell nach und konnte den Stammpiloten häufig wichtige Erkenntnisse für die richtige Fahrzeugabstimmung liefern – wofür ihm der neue Partner Vettel sogar vom Podium aus dankte. „Sebastian war immer nett zu mir“, sagt Leclerc, der in Singapur zum ersten Mal direkt mit seinem künftigen Arbeitskollegen sprechen konnte. Vettel hält Leclerc für einen „guten Jungen“, auch wenn er mit einem ehrgeizigen Talent schon einmal sportlich schlechte Erfahrungen gemacht hatte – als ihn in seinem letzten Red-Bull-Jahr Daniel Ricciardo mit 3:0-Siegen die Saison vermieste.

    Momentan hat Ferrari das beste Auto im Feld, was Leclerc mehr Freude als Angst macht: „Sollte das auch im nächsten Jahr so sein, dann muss ich um den Titel fahren können.“ Übermut ist das wohl nicht: „Mein Ziel muss es sein, den bestmöglichen Job zu machen, auch wenn das ein wirklich großes Ding ist. Aber man verbessert sich als Fahrer nur, wenn man immer das bestmögliche Resultat anstrebt.“ Den Schritt vom Tabellenachten zum Tabellenzweiten hält er für nicht ganz so groß wie den in diesem Winter mit dem Sprung aus der Formel 2 in die Formel 1: „Bei Ferrari erwartet mich das Gleiche, nur eine Dimension größer. Da muss ich mehr anpassen als neu lernen.“

    Vom ersten Rennen an will er Vettel angreifen, falls ihn die Stallregie lässt. „Eine Menge Leute denkt, dass jetzt ein mächtiger Druck auf meinen Schultern lastet. Aber das stimmt nicht, wirklich nicht. Ich besitze eine Mentalität, die alle Belastungen von mir fernhält. Ich kann mich ganz auf mich selbst konzentrieren.“ Das Ego von Charles Leclerc scheint durchaus schon weltmeisterlich.