Hamburg. Im Herbst 2016 saß der Ex-Schwimmer erstmals in einem Ruderboot. Nun ist er Deutschlands Toptalent im Einer

    Den Witz hat er früher oft gehört, und lustig fand er ihn nie. Wäre nicht so schlimm, wenn er kentere, sagten Spötter gern über Oliver Zeidler, als ehemaliger Leistungsschwimmer könne er problemlos selbst für seine Rettung sorgen. Das stimmt zweifelsohne, aber der 22-Jährige ist viel zu ehrgeizig, um über ein Scheitern, das das Kentern im Rudern darstellt, lachen zu können. Mittlerweile sind die Spötter ja auch längst verstummt, was daran liegt, dass aus Oliver Zeidler Deutschlands größte Einer-Hoffnung geworden ist. Bei der WM in Plowdiw (Bulgarien) hätte er am Mittwochnachmittag zum Viertelfinale antreten sollen, das wegen starken Winds auf heute verlegt wurde.

    Niemand hatte mit solch einer Leistungsexplosion gerechnet, als Zeidler im Oktober 2016 erstmals in seinem Leben ein Ruderboot bestieg. Als Schwimmer hatte er auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio hintrainiert. „Doch weil sich meine Trainingsgruppe in München auflöste, sah ich im Schwimmen keine Perspektive mehr“, sagt der mehrfache deutsche Freistil-Jahrgangsmeister. Es im Rudern zu versuchen, war bei 2,03 Metern Körperlänge und der familiären Vorbelastung – sein Großvater Hans-Johann Färber war 1972 im Vierer Olympiasieger, seine Tante Judith Zeidler 1988 im Achter, sein Vater und Trainer Heino Zeidler WM-Teilnehmer – nicht abwegig. „Dennoch habe ich mich anfangs unwohl gefühlt und bin tatsächlich mehrmals ins Wasser gefallen“, erinnert er sich.

    Erst die deutschen Meisterschaften auf dem Ergometer im Februar 2017, als er Bestzeiten pulverisierte und sogar Doppelvierer-Olympiasieger Tim Grohmann schlug, gaben dem Deutschen Ruderverband (DRV) die Gewissheit, es mit einem Ausnahmetalent zu tun zu haben. „Das waren Werte, die wir lange nicht hatten. Da sind wir hellhörig geworden“, sagt Markus Schwarzrock, beim DRV als Bundestrainer für den Skullbereich verantwortlich. Nie zuvor habe er jedoch erlebt, dass sich ein Neueinsteiger so schnell auch die notwendige Rudertechnik aneignen konnte. „Man darf schon sagen, dass Oliver ein Ausnahmetalent ist.“

    Die rasanten Fortschritte, die das Kraftpaket machte, führten auch dazu, dass der DRV sich während der Nominierungsphase gegen den ebenfalls hoch gehandelten Hamburger Tim Ole Naske (22/RG Hansa) entschied, obwohl dieser als deutscher Meister eigentlich die Startberechtigung erkämpft hatte. Weil Zeidler beim Weltcupfinale in Luzern Zweiter wurde und Naske, der in Linz drei Wochen zuvor als Zweiter noch einen Rang vor seinem Rivalen gelegen hatte, als Sechsten klar distanzierte, bestimmte der Verband den Bayern als WM-Fahrer. Eine Entscheidung, die Naske nicht öffentlich kommentieren mag. „Für ihn tut es mir sehr leid, wir verstehen uns gut, und ich kann nachvollziehen, dass er sauer ist“, sagt Zeidler. „Tim Ole bleibt ein Mann der Zukunft, aber er hatte im Frühjahr mit Krankheit und Verletzungen gekämpft, deshalb sprach die Form beim letzten Weltcup für Oliver“, sagt Schwarzrock.

    Der neue Hoffnungsträger weiß um die Erwartungen, die ihn nach Bulgarien begleitet haben. „Mir ist bewusst, wie groß die Fußstapfen von Athleten wie Peter-Michael Kolbe, Thomas Lange und Marcel Hacker sind, die das Einerrudern in Deutschland geprägt haben. Aber ich lasse den Druck nicht an mich heran. Ich bin Anfänger, habe nichts zu verlieren“, sagt er. Der Finaleinzug sei das gemeinsam gesteckte Ziel, „dann ist alles möglich.“ Mit Hacker, der 2013 als letzter deutscher Einerfahrer mit Bronze eine WM-Medaille holte, hat er regelmäßig Kontakt, „er sagt, ich solle mich nicht verrückt machen lassen“. Oliver Zeidler glaubt, dass „noch sehr viel Optimierungspotenzial bei mir da ist“. Wenn er es ausschöpft, wird er der sein, der am Ende lacht.