New York. Nach seinem Finalsieg bei den US Open über del Potro rückt der Serbe auf Rang drei der Weltrangliste vor

    Als Novak Djokovic im März in Miami seine Koffer packte, als bitterer Masters-Auftaktverlierer, war er noch immer nicht Novak Djokovic. Jedenfalls nicht annähernd der Djokovic, der zum Dominator der Tenniswelt aufgestiegen war. Und der sogar die Titanen der Branche, Roger Federer und Rafael Nadal, überholt und distanziert hatte. Zwischenzeitlich, auf dem Höhepunkt seiner Machtfülle, hatte Djokovic sogar einmal alle vier Grand Slam-Pokale in seinem Besitz gehalten – im Juni 2016, als er den letzten fehlenden Majortitel in Paris gewann. Das hatte im modernen Tennis keiner vor ihm und nach ihm geschafft.

    Dann kam die große Krise. Es kamen Ängste, es kamen Zweifel, es kamen private Probleme. Es kam der Rausschmiss enger Vertrauter. Es kam der freiwillige Abgang von Chefcoach Boris Becker. Es kamen Verletzungen. Es kam die Sinnfrage. Es kam auch das Grübeln, ob sich alles noch lohne, die Plackerei, der mühsame Comeback-Anlauf. „Miami, dieses Jahr, das war ein schweres Tief, ein schwerer Augenblick. Ich dachte, wenn du jetzt nicht was unternimmst und noch einmal alles auf den Prüfstand stellst, dann war’s das vielleicht mit deiner Karriere“, sagte Djokovic. Er sagte es am Sonntagabend, im Herbst 2018, nur ein halbes Jahr nach dem desillusionierenden Gastspiel im Süden Floridas. Er sagte es als strahlender, schier unbezwingbarer US-Open-Champion, als meistenteils unangefochtener 6:3, 7:6 (7:4), 6:3-Triumphator über den Argentinier Juan Martin del Potro (29). „Nein“, sagte Djokovic in dieser großen Siegernacht, „ich hätte es nicht für möglich gehalten, was in den vergangenen Monaten passiert ist. Aber ich habe manchmal davon geträumt. Das hat mich als Tennisspieler wahrscheinlich am Leben gehalten.“

    Auf der größten Tennisbühne der Welt, im Arthur-Ashe-Stadion, war er jedenfalls wieder der Alte, in ganzer Stärke, in voller spielerischer Konsequenz. Und wenn Djokovic auf der Höhe seiner Kunst ist, kann ihm keiner vorbeikommen, auch nicht einer wie der wiedererstarkte del Potro. Neun Jahre nach seinem spektakulären US-Open-Sieg im Finale gegen Federer als aufstrebender Youngster zerstoben del Potros Träume im formidablen Showauftritt des 31-jährigen Serben. Del Potro­ machte, wie so viele Kollegen im Tourcircuit, eine frustrierende Erfahrung gegen Djokovic: Wo immer einer seiner Schläge auch landete im Feld des „Djokers“, war der wie selbstverständlich schon da. Mit Intuition, gewiss, aber vor allem auf unheimlich schnellen Beinen – in der Attitüde des unzweifelhaft derzeit besten Defensivspielers. „Ich bin zwar bedrückt, dass ich verloren habe“, sagte del Potro, „aber wenn ich einem den Sieg gönne, dann Novak. Er ist mein Idol.“

    Djokovic hatte später im Frühjahr, nach den Pleiten nicht nur in Miami, sondern auch in Indian Wells (Erstrunden-Knock-out gegen Taro Daniels/ATP 109) vor allem eins realisiert: Um wieder in Reichweite der Weltelite zu kommen, brauchte er den Rückhalt seiner gewohnten Tennisfamilie. Steffi-Graf-Ehemann Andre Agassi (USA) und der Tscheche Radek Stepanek, vorübergehend im Einsatz an seiner Seite, waren immer Fremdkörper in der Djokovic-Entourage geblieben. Als Erster kehrte dann der Slowake Marijan Vajda zurück, der treueste aller Begleiter Djokovics – dann folgte auch noch Gebhard Gritsch, der österreichische Ernährungs- und Fitnesspapst. Das Projekt Gipfelaufstieg nahm seinen Lauf, die French Open in Paris blieben noch eine Zwischenstation – aber in Wimbledon schlug das „Team Nole“ dann erstmals zu, mit dem vierten Titel im All England Club. „Die alte Sicherheit, das Selbstbewusstsein – es war alles zurück“, sagte Vajda, der Trainer, am Sonntag in New York.

    Djokovic kann dieses Jahr wieder Nummer eins werden

    Nun ist Djokovic auch noch der König im Big Apple, ein Sieger, der bei seiner Kampagne nie wirklich in Gefahr geriet. Beflügelt durch den Dreh, den er seiner Karriere wieder gegeben hatte. Inspiriert auch durch einen anderen Erfolg in diesem Sommer, in Cincinnati – dort hatte er das Kunststück geschafft, als erster Profi überhaupt alle Masterstitel im Tennis wenigstens einmal zu gewinnen. Djokovic rückt nach dem New Yorker Coup jetzt wieder auf Platz drei der Weltrangliste vor, die Größten der letzten anderthalb Jahrzehnte sind damit unter sich: Nadal, Federer und er, der aktuelle Champion der US Open.

    Plötzlich steht ihm die Tenniswelt wieder überall und immer weit offen. Djokovic kann auch noch die Nummer eins der Saison 2018 werden, er hat nichts zu verteidigen bis zum Rest des Jahres, anders als Federer (37) und Nadal (32). Beiden merkt man das Alter an, Nadal droht mit seinen fast schon chronischen Kniebeschwerden sogar längere Zeit auszufallen. Und wer wollte ihm in der neuen, alten Statur als Capitano die Chance absprechen, einst Nadal und Federer auch als Titeljäger bei den Grand Slams zu überholen? 14 Majorsiege hat Djokovic jetzt, genauso viele wie Pete Sampras (USA), sein Vorbild als Tenniskind. Und der nächste Erfolg könnte schon im Januar kommen, bei den Australian Open, die er bereits sechsmal als Gewinner verließ. An ihm, dem Djoker, müssen sich wieder alle orientieren. Er, eben noch der rätselhafte Krisen-Djoker, ist aufs Neue das Maß im Herrentennis.