Sinsheim. Bundestrainer Joachim Löw sucht aber weiter auch zwei spielstarke Außenverteidiger

    Joachim Löw war schon dabei, die Arena in Sinsheim zu verlassen, als ihm ein kleiner Junge im Jogginganzug eine Frage stellte. Der Nachwuchskicker wollte wissen, wie der Bundestrainer seine Spieler bestraft, wenn sie beste Chancen leichtsinnig auslassen. Ob sie dann zehn Liegestütze machen müssten? Löw schmunzelte. „Ab Oktober machen wir das“, versprach er und verschwand in die Nacht. Zurück ließ er die Vorstellung, dass seine offensiven Nationalspieler wegen der neuen Art der Sanktionierung alsbald Schwerathleten sein könnten.

    Es war die erste gemeinsame Woche der Nationalmannschaft nach dem Debakel bei der WM. Es ist aufgearbeitet, abgehakt. Oder wie Timo Werner sagt: „Irgendwann hat man sich auch mal ausgeärgert.“ Das Nations-League-Spiel gegen Frankreich (0:0) und der Test gegen Peru (2:1) sollten der erste Schritt sein in eine bessere Zukunft. Aber wo steht der deutsche Fußball jetzt? Eine der drei wichtigsten Erkenntnisse ist, dass der Mannschaft ein Stürmer fehlt. Hätte die Liegestütz-Sache schon am Sonntagabend Anwendung gefunden, Timo Werner und Marco Reus, die sich in der Sturmspitze abwechselten, würden am heutigen Montag über einen veritablen Muskelkater im Oberkörperbereich klagen. Zusammen ließen sie ein halbes Dutzend bester Chancen gegen Peru ungenutzt. Ein wiederkehrendes Muster.

    Im Länderspieljahr 2018 produzierte die Nationalelf acht Treffer in neun Spielen. Zu wenig. Die Suche nach dem, der die Tore macht, geht weiter. „Kaltschnäuzigkeit würde uns gut tun. Es ist selten, dass wir mal mit den ersten ein, zwei Chancen in Führung gehen“, monierte Offensivmann Thomas Müller. Er kennt das Muster: vorne Chancen liegen lassen, hinten einen Konter fangen. So war’s bei der WM.

    Allein Nils Petersen wärederzeit eine echte Nummer 9

    „Wir haben viele Spieler, die ähnlich sind, die besser sind, wenn sie aus der Tiefe kommen“, sagte Löw über seinen Kader an tollen Spielern, die allerdings keine klassischen Stürmer sind: Reus, Werner, Müller, Julian Draxler, Julian Brandt, Leroy Sané und Kai Havertz, Serge Gnabry irgendwann auch wieder. Nach den Rücktritten von Mario Gomez und Sandro Wagner erfüllt derzeit nur der Freiburger Nils Petersen die Anforderungen einer Nummer 9.

    Die Dauerbaustelle im Sturm ist aber nicht die einzige, auch das zeigte die erste gemeinsame Woche nach Russland. Noch immer fahndet Löw nach einer dauerhaft prächtigen Lösung für die Linksverteidigerposition. Debütant Nico Schulz (Hoffenheim) war nach ersten groben Schätzungen der 237. Proband in der deutschen Versuchsanordnung unter Löw. Und weil der Bundestrainer nun Joshua Kimmich auch für die Zukunft als beste Lösung im zentralen Mittelfeld betrachtet, klafft eine ähnliche Lücke nun auch auf der rechten Abwehrseite. Kandidaten gibt es reichlich, aber jeden begleiten andere Zweifel, ausreichendes Niveau darzustellen.

    Löws Plan lautet daher: Variation. Muss gegen starke Nationen die Defensive gestärkt werden, dürfte die deutsche Schrankwand aus vier Innenverteidigern den Vorzug erhalten. Gegen schwächere, defensive Nationen ist auch Sturm und Drang gefragt. Letzteres zum Beispiel in der EM-Qualifikation von März 2019 an. „Da kann man dann eher wieder offensivere Leute hinstellen“, sagt Löw, dessen Mannschaft die Balance zwischen Offensive und Defensive gegen Peru schon wieder Besorgnis erregend abhanden kam.