Hamburg. Die Profis wollen Teile der Fan-Aufwendungen übernehmen. Dem Club drohen fünf Spiele in 15 Tagen vor dem Derby

    Manchmal gibt ein Spiel so viele Geschichten her, dass man am Tag danach gar nicht weiß, welche Geschichte man eigentlich als erstes erzählen muss. So oder ähnlich war es auch am Wochenende, als der HSV schon wieder gewonnen hatte. Khaled Narey hatte erneut getroffen. Auch Aaron Hunt. 2:1 hatte der HSV gesiegt. Allerdings nicht wie geplant am Sonnabend um 13.30 Uhr in Dresden. Sondern um 12.45 Uhr im Volkspark. Nicht gegen Dynamo. Sondern gegen sich selbst. Was für eine Geschichte!

    „Ich finde es schade, dass wir nicht gegen Dynamo gespielt haben und möglicherweise hätte man es anders planen können“, sagte Christian Titz nach dem Trainingsspielchen A-Team gegen B-Team, das der Coach als Ersatz für das am Abend zuvor kurzfristig abgesagte Zweitligaspiel in Dresden angesetzt hatte. „Ich glaube, man hätte verhindern können, dass wir und die Fans erst nach Dresden anreisen.“

    Hätte, hätte, Fahrradkette.

    In Kurzform ging die Geschichte des HSV-Wochenendes in etwa so: Zunächst hatte das sächsische Innenministerium am Freitag auf die Absage des Zweitligaspiels zwischen Dresden und dem HSV gedrängt, weil jeder zur Verfügung stehende Polizeibeamte im 78 Kilometer entfernten Chemnitz gebraucht werden würde. „Dass ein Spiel abgesagt wird, weil die Dimension möglicherweise nicht rechtzeitig bedacht wurde, ist das eine. Aber die Sicherheit der Menschen geht vor“, sagte Titz am nächsten Tag in Hamburg, während sich gleichzeitig mehrere Tausend Rechtsradikale auf den Weg ins glücklicherweise weit entfernte Chemnitz machten. Und genau das war es auch, was Titz an diesem Wochenende voller Geschichten am wenigsten verstehen wollte: „Ich finde es bedenklich, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ermordet und gejagt werden. Ich will in einem Land leben, in dem ich mich wohlfühle.“

    Titz findet deutliche Worte für die rechten Demonstranten

    Mit dem Wohlfühlen ist es aber in diesen Tagen, in denen Menschen mit dem Hitler-Gruß durch die Straßen von Chemnitz ziehen, so eine Sache. Und natürlich könnte man nun der Auffassung sein, dass Politik Politik ist und Fußballer beim Fußball bleiben sollten. Doch weil das eine (die Politik) spätestens seit diesem Wochenende auch unmittelbare Auswirkungen auf das andere (den Fußball) hatte, wollte und konnte Fußballlehrer Titz das nicht unkommentiert lassen: „Menschen sollten sich nicht wie Tiere verhalten.“

    Obwohl dem nichts hinzuzufügen ist, ging die Geschichte des abgesagten HSV-Spiels natürlich weiter. Doch zumindest bei der Frage, ob und wie die Fans kompensiert werden könnten, die auf den Reise- und Ticketkosten sitzen zu bleiben drohen, deuteten sich schnell mehrere Happy Ends an. Zum einen meldeten sich Dynamo-Anhänger via Twitter (#sogehtsächsisch), die für das noch nicht terminierte Nachholspiel kostenlose Schlafmöglichkeiten anboten. Zum anderen hatten sich die HSV-Profis entschieden, einen wesentlichen Betrag beizusteuern.

    „Die Spieler und der Trainerstab werden Geld sammeln und es der Fanbetreuung übergeben“, bestätigte Titz, nachdem er dem Mannschaftsrat (Hunt, Holtby, Moritz, Sakai, Mickel und Jung) nach der Rückkehr aus Dresden seine Idee vorgetragen hatte. Das genaue Prozedere soll in den kommenden Tagen besprochen werden. „Die Fanbetreuung kann dann entscheiden, wie das Geld eingesetzt wird, damit wir einen Teil der Kosten des einen oder anderen auffangen können“, so Titz.

    Zu Ende war die Geschichte an dieser Stelle aber noch immer nicht. Denn nachdem auch der letzte rechte Arm in Chemnitz hochgereckt war, blieb die Frage, wann man in Sachsen wieder zur Normalität zurückkehren und einen Ausweichtermin für das abgesagte Spiel präsentieren kann. „Wir hoffen, die Partie so schnell wie möglich nachholen zu können“, sagte Titz, dessen Wunsch, am Sonntag oder an diesem Montag zu spielen, von der DFL allerdings ohne Begründung abgelehnt wurde. Dem Vernehmen nach soll nun zum Anfang dieser Woche ein Nachholtermin bekannt gegeben werden, als wahrscheinlich gilt die Woche zwischen den Heimspielen gegen Heidenheim und Regensburg. Das wäre aus HSV-Sicht insofern ärgerlich, als dass man ausgerechnet vor dem Stadtderby gegen St. Pauli (30. September) in 15 Tagen fünf Spiele absolvieren müsste. „Natürlich ist das für unsere Regenerations- und Trainingsplanung nicht optimal, aber wir nehmen es jetzt so hin“, sagte Titz, der weiß, dass manch eine Geschichte eben doch wichtiger als die Geschichte eines Fußballspiels ist. Oder besser: die Geschichte keines Fußballspiels.