Hamburg. Heute duellieren sich erstmals nach knapp zehn Jahren wieder der HSV und Arminia Bielefeld in einem Pflichtspiel. Ein Blick zurück nach vorn

    Christian Titz sagte am Tag vor dem Heimspiel gegen Arminia Bielefeld (Mo, 20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) Dinge, die ein Trainer am Tag vor einem Spiel eben so sagt. Man müsse höllisch aufpassen, warnte der HSV-Coach, Bielefeld habe seine Zweitligatauglichkeit im vergangenen Jahr recht anschaulich unter Beweis gestellt. Die Mannschaft stehe kompakt, habe gute Kopfballspieler und eine überaus gesunde Zweikampfhärte. „Wir müssen mit großem Respekt in dieses Spiel gehen“, so Titz, der Ähn­liches in den kommenden Wochen wohl auch über Dynamo Dresden, Heidenheim oder Regensburg sagen dürfte. Der allgemein anerkannte Fachbegriff für derartige Lobhudeleien unmittelbar im Vorfeld eines Spieltags: Vorgeplänkel.

    Anders als gegen Dresden, Heidenheim oder Regensburg gehörte zum Bielefeld-Vorgeplänkel aber auch, dass knapp zehn Jahre nach dem letzten Pflichtspiel und sechs Jahre nach dem letzten Freundschaftsspiel gegeneinander die Frage nach dem angeblich so besonderen Verhältnis zwischen dem HSV und der Arminia gestellt wurde. „Ich finde es gut, dass der Fußball Menschen aus zwei unterschiedlichen Städten zusammenbringt“, sagte Titz, der auch zum Thema Fanfreundschaft seine Hausaufgaben gemacht hatte: „Gerade habe ich gelesen, dass unsere Anhänger und die aus Bielefeld sogar mal auf einer gemeinsamen Fanreise in Ungarn waren. So eine Kraft hat doch nur der Fußball.“

    Nun denn. Um drei Punkte dürfte es an diesem Montagabend natürlich trotzdem gehen. Und dennoch darf man wohl wirklich von einem Freundschaftsspiel sprechen. Schon seit den 70er-Jahren pflegen die Anhänger des HSV und die Fans der Arminia ein freundschaftliches Verhältnis. Der Ursprung soll ein Fußballturnier 1974 gewesen sein, an dem nur Clubs mit den Farben Blau, Weiß und Schwarz teilnehmen durften. 1979 wurde das Verhältnis noch einmal zusätzlich emotionalisiert, als der HSV am vorletzten Spieltag durch ein 0:0 in Bielefeld deutscher Meister wurde – und man mit beiden Fanlagern den Titel gemeinsam feierte. „Schwarz, Weiß, Blau ... Arminia und der HSV!“, lautet seitdem der gemeinsame Schlachtruf.

    Lange her, das alles. Damals leisteten sich Hamburger Fans eine ganze Reihe von aushäusigen Verhältnissen. Mit den Anhängern vom 1. FC Nürnberg gab es in den Siebzigern und Achtzigern eine heißblütige Affäre, genauso mit den Fans vom KSC, VfB Stuttgart und Eintracht Frankfurt. Von echter Liebe konnte man sogar bis in die Neunziger Jahre beim BVB sprechen, ehe diese Leidenschaft mehr und mehr abkühlte. Eine ernst zu nehmende Liaison, die bis heute andauert, pflegen HSV-Anhänger noch mit den Fans von Hannover 96, mit Glasgow-Rangers-Supportern – und eben mit den Arminen aus Bielefeld.

    HSV und Bielefeld haben auch eine Hooligan-Vorgeschichte

    Dass es aber vor allem auch Hooligans aus beiden Clubs waren, die sich lange Zeit ganz blendend verstanden, wird heutzutage gerne mal unter den Tisch fallen gelassen. Gemeinsam mit Hannoveranern wurde einst die schlagkräftige „Nordallianz“ gebildet, die später auch unter den Namen „Achse“ für wenig freundschaftliche Gefühle sorgte. Zuletzt machte diese unschöne Hooligan-Verbindung 2009 Schlagzeilen, als gemeinsam auf dem Bielefelder Hauptbahnhof gewütet wurde.

    Aber es geht selbstverständlich auch anders: So wurde im Januar 2012 ein echtes Freundschaftsspiel zwischen der Arminia, damals Abstiegskandidat in der Dritten Liga, und dem HSV ausgetragen, das von beiden Supportersclubs organisiert wurde und dessen Erlöse voll und ganz den damals noch klammeren Bielefeldern zugutekamen.

    Zeiten ändern sich. Der einstige Bundesligadino und der damalige Drittligist spielen nun gemeinsam in der Zweiten Liga, und klamm sind längst die Hamburger und nicht mehr die Bielefelder. Zum ersten Pflichtspielaufein­andertreffen seit knapp zehn Jahren hat die Marketingabteilung des chronisch finanzschwachen HSV nun sogar einen speziellen Fanschal in den gemeinsamen Farben herausgebracht. 14,95 Euro soll die für alle zur Schau gestellte Fanfreundschaft kosten.

    Ob man nun will oder nicht, Fußball muss dann allerdings auch noch gespielt werden. Und anders als bei den Themen Gegner („sehr stark“) und Freundschaft („sehr toll“) gab sich Titz beim Thema Aufstellung sehr zurückhaltend. Hinten hat er die Qual der Wahl zwischen dem relativ großen Schotten David Bates und dem ziemlich groß gewachsenen Schweizer Léo Lacroix, ganz vorne muss er sich zwischen dem genesenen Aaron Hunt, der natürlich auch im Mittelfeld spielen könnte, Fiete Arp und Pierre-Michel Lasogga entscheiden.

    Doppeltorschütze Lasogga hatte beim 5:3-Sieg im Erstrunden-Pokalspiel gegen Erndtebrück am vorvergangenen Wochenende zwei gute Argumente geliefert – und kann im mutmaßlichen Freundschaftsspiel gegen Bielefeld sogar die Freundschaftskarte ausspielen. Schließlich pflegt der Stürmer noch immer beste Kontakte zum Ex-Hamburger Sven Schipplock. „Schippo und ich hatten eine sehr schöne Zeit zusammen. Wir haben uns menschlich sehr gut verstanden“, philosophierte Lasogga. „Ich hoffe nur, dass Schippo jetzt nicht mit dem Toreschießen ausgerechnet gegen uns anfängt.“

    Allzu groß dürfte die Gefahr allerdings nicht sein. Nicht aufgrund von Schipp­locks Freundschaft nach Hamburg, sondern eher, weil der Stürmer an diesem Montag voraussichtlich nur von der Bank aus beginnen wird. Ein Schicksal, das auch Kumpel Lasogga – trotz seiner beiden so wichtigen Pokaltreffer – droht.

    Nach 11:48 Minuten hatte Trainer Titz am Sonntag genug gesagt. Nur das noch: Er freue sich wirklich auf die Partie und auf die ganz besondere Atmosphäre an diesem Zweitliga-Montagabend. Knapp 47.000 Zuschauer werden erwartet. Oder dem Anlass entsprechend ausgedrückt: Knapp 47.000 Freunde wollen kommen. In diesem Sinne: Auf die Freundschaft.