Berlin. Zwei Einwürfe leiten die 1:4-Niederlage beim neuen Zweitliga-Tabellenführer ein. Trainer Kauczinski kritisiert: „Wir haben naiv verteidigt“

    Die Weisheit des Tages lieferte Urs Fischer. „Einwürfe gehören auch zu den ruhenden Bällen, und da waren wir heute sehr effektiv“, sagte der Trainer des 1. FC Union Berlin nach dem 4:1 (2:0)-Sieg gegen den FC St. Pauli, der mit dieser herben Niederlage die Tabellenführung in der Zweiten Liga verlor. Schlimmer noch: Es war nach dem Aus im Pokal neun Tage zuvor beim Drittligisten SV Wehen Wiesbaden (2:3 nach Verlängerung) das zweite verlorene Spiel nacheinander. Sieben Gegentore aus diesen beiden Partien sind ein Alarmsignal.

    Unions Trainer hatte damit die beiden Szenen angesprochen, die das Spiel zweier bis dahin eher auf Sicherheit ausgerichteter Mannschaften entschieden. Ein weiter Einwurf von der linken Seite wurde von St. Paulis Abwehr nicht geklärt, sodass über Umwege Berlins Grischa Prömel der Ball vor den Fuß fiel und der aus kurzer Distanz das 1:0 (44. Minute) für Union erzielte.

    Doch damit nicht genug: In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit zeigten die Berliner, dass St. Paulis Abwehr auch von der anderen Seite zu bezwingen ist. Nach Christopher Trimmels Einwurf von rechts kam der Ball im Strafraum irgendwie zum ehemaligen St. Paulianer Akaki Gogia, der dann ebenfalls Torwart Robin Himmelmann bezwang – 2:0 (45. +2).

    In beiden Fällen war Unions Stürmer Sebastian Andersson im Strafraum maßgeblich daran beteiligt, dass es brenzlig wurde. Der zur neuen Saison von Absteiger 1. FC Kaiserslautern gewechselte Schwede krönte in der zweiten Halbzeit noch seinen Tag mit zwei eigenen Treffern nach Kontern. Vom Spielerprofil her wäre Andersson auch ein Kandidat für den FC St. Pauli als Verstärkung für den Sturm gewesen. Am Sonntag zeigte er einmal mehr, dass er dem Team gutgetan hätte.

    „So darf man sich in der Abwehr nicht verhalten. Wir sind da einfach nicht konsequent gewesen und bekommen den Ball nicht aus dem Strafraum. Dabei haben wir vor dem Spiel noch angesprochen, dass sie mit langen Einwürfen arbeiten“, brachte es St. Paulis Mittelfeldspieler Christopher Buchtmann auf den Punkt. „Bis dahin haben wir ganz ordentlich gespielt. Solch ein Spiel muss man bis zur 70. Minute offen halten und dann auf seine Chance lauern.“ Dieser Plan aber war schon zur Halbzeit Makulatur.

    Auch St. Paulis Trainer Markus Kauczinski hatte später die beiden Einwürfe als entscheidende Momente ausgemacht. „Wir haben in diesen Situationen naiv verteidigt und den Ball im Strafraum nicht geklärt“, prangerte er an. In beiden Fällen waren gleich mehrere Defensivspieler an diesen misslungenen Aktionen beteiligt. Schmerzlich vermisst wurde dabei der verletzt fehlende Christopher Avevor, der in Wiesbaden eine Prellung des Schienbeinköpfchens erlitten und in den ersten Spielen der Saison jeweils starke Vorstellungen gezeigt hatte.

    Um ihn zu ersetzen, hatte Kau­czinski Marvin Knoll aus dem defensiven Mittelfeld auf die Innenverteidiger-Position beordert. Aber auch der bisher starke Sommerneuzugang aus Regensburg sah bei den beiden Einwürfen nicht glücklich aus, weil er jeweils den Torschützen nicht energisch genug beschattete und störte.

    Zudem fehlte Knoll als Aufbau­spieler und Antreiber im Mittelfeld,
    von Bernd Nehrig konnte er hier nicht adäquat ersetzt werden. Dazu hatten Knolls Freistöße an diesem Tag auch nicht ganz die gewohnte Gefährlichkeit.

    Obwohl Andersson früh in der zweiten Halbzeit das 3:0 für Union erzielte, gab es doch noch einen kleinen Funken Hoffnung, als Neuzugang Henk Veerman für St. Pauli traf. Zu jenem Zeitpunkt schien es plötzlich möglich, die Berliner doch noch einmal zittern zu lassen. Schließlich waren inklusive Nachspielzeit noch gut 20 Minuten zu spielen. Und tatsächlich hatte Buchtmann eine Chance zum Anschlusstreffer, doch diesmal parierte Unions Torwart Rafal Giekewicz. Als Andersson in der 88. Minute aber noch das 4:1 für Union erzielte, stand St. Paulis herbe Niederlage und der Sturz vom ersten Tabellenplatz fest. Im Stadion an der Alten Försterei wurde das Team vom Millerntor quasi zu Kleinholz zerlegt.

    Veermans Tor aber war ein Indiz dafür, dass der 27-Jährige für St. Pauli und seine Anhänger noch für Freude sorgen kann. Trotz seiner Körperlänge von 2,01 Metern kann er gut mit dem Ball umgehen, wie er nicht nur bei seinem Torschuss aus der Drehung zeigte. Sicherlich hatte er auch das Glück dabei, dass der Ball noch abgefälscht wurde und damit unhaltbar war. Doch genau dies kann immer passieren, wenn denn wenigstens auf das Tor geschossen wird. Dies geschah aufseiten St. Paulis in diesem Spiel wieder einmal viel zu spät. Die leichte optische Feldüberlegenheit in der ersten Halbzeit mit einigen hübschen, aber zumeist nicht wirklich torgefährlichen Ballstafetten, war im Endeffekt wertlos.

    „Es muss nicht nach drei Ligaspielen alles hinterfragt werden“, versuchte Buchtmann die unbestreitbar negative Entwicklung zu relativieren und blickte trotzig bereits auf die nächste schwere Aufgabe am kommenden Sonntag gegen den Bundesliga-Absteiger und mit Union gemeinsamen, neuen Tabellenführer 1. FC Köln. „Zu Hause sind wir ungeschlagen. Gegen Köln müssen wir eine Reaktion zeigen und versuchen, das Stadion abzureißen“, sagte Buchtmann. Einwürfe besser zu verteidigen, wäre schon ein kleiner Fortschritt.