Hamburg. Die Hamburgerin Anne Patzwald über die Bedeutung von Rollstuhlbasketball. Deutsche Damen in Halbfinale ausgeschieden

    Die Enttäuschung bei den deutschen Rollstuhlbasketballerinnen war riesig. Anne Patz­wald (29), die nach einem Sportunfall vor zehn Jahren querschnittsgelähmt ist, war den Tränen nahe. Unbedingt wollten sie bei der Heim-Weltmeisterschaft in Wilhelmsburg ins Endspiel einziehen, doch dieser Traum ist geplatzt. Bei der 37:60 (14:35)-Niederlage im Halbfinale gegen Großbritannien scheiterten die deutschen Damen um Kapitänin Mareike Miller an der britischen Defensive und einer diesmal schwachen Wurfausbeute von 33 Prozent. Im Spiel um Platz drei treffen die Deutschen am Sonnabend (18 Uhr, Inselparkhalle) auf China, das im zweiten Halbfinale 29:54 (13:27) gegen die Niederlande verlor.

    Frau Patzwald, die Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft endet an diesem Wochenende. Wie zufrieden sind Sie mit dem Turnierverlauf, trotz des verpassten Endspiels?

    Anne Patzwald: Unser Ziel war es, Gruppensieger zu werden und so weit wie möglich zu kommen. Das haben wir erreicht, auch wenn das Halbfinale am Freitag doch sehr frustrierend war. Dennoch: Jetzt wollen wir Bronze holen,

    Und abgesehen vom sportlichen Erfolg?

    Die Aufmerksamkeit für unseren Sport ist deutlich gestiegen. Wir haben uns nach dem Aufstehen ein paarmal im Fernsehen gesehen. Das ist genial. Die Zuschauer sind auch genial. Neulich hatte ich 100 Autogrammkarten vorgeschrieben, die waren dann ganz schnell alle weg. Doch, es hat richtig Spaß gemacht, hier zu spielen.

    Ein Leser sagte uns, was Sie da machen sei Sozialarbeit und nicht wirklich Sport. Was würden Sie dem antworten?

    Was? War der Herr schon mal bei uns in der Halle? Er soll sich mal ein Spiel angucken. Und dann würde ich ihm gerne eine Probestunde anbieten, dann zeige ich ihm mal, was unser Sport so kann.

    Diese Vorurteile bestehen dennoch oft weiterhin, oder?

    Natürlich merkt man, dass ein Unterschied gemacht wird zwischen „normalem“ Sport und unserem. Wobei ich den Begriff „normal“ an dieser Stelle nicht mag. Es ist Fußgängersport oder olympischer Sport. In dem Wort paralympischer Sport ist mehr Wertschätzung als in Behindertensport. Würde irgendjemand zu einem Brillenträger sagen, Sie Ärmster sind behindert, machen Sie mal Behindertensport? Natürlich nicht.

    Beim Rollstuhlbasketball verschwimmen die Grenzen?

    Unser Sport ist sehr inklusiv. Bei uns kann in der Liga in Deutschland jeder mitspielen, der Bock darauf hat. Ich finde, dass ist coole Inklusion, das macht den Sport wertvoll. Nicht die Fußgänger erlauben uns Rollstuhlfahrern mitzuspielen, sondern es war andersherum.

    Glauben Sie, die WM war nachhaltige Werbung für den Sport?

    Ich hoffe das. Die meisten Menschen in meinem Umfeld finden den Sport großartig. Meine Arbeitskollegen waren oft bei den WM-Spielen oder schauten sich die Livestreams an. Meine Judokameraden von früher haben mir geschrieben und verfolgen die WM. Es ist super, dass es weitere Kreise zieht.

    Apropos Berufskollegen – Sie arbeiten auch mit Menschen in der Reha?

    Ja, ich bin Ergotherapeutin. Es geht darum, dass die Patienten die größtmögliche Selbstständigkeit wiedererlangen können, die geht. Dass sie alle Tätigkeiten, die sie machen wollen, wieder ausführen können. Ob mit Hilfsmitteln oder ohne. Da geht es oft um Alltagstätigkeiten. Wie ziehe ich mich an, wie fahre ich Bus? So etwas. Es gibt ein Ergotherapiebuch, das heißt „Vom Behandeln zum Handeln“. Darum geht es, sie müssen selbst aktiv werden.

    Welche Rolle spielt der Sport dabei?

    In meiner Freizeit spiele ich gerne mit Patienten Basketball. Da sind einige dabei, die später in Vereine gegangen sind. Die mich schon in der Klinik gefragt haben, wo sie weiterspielen können. Das klappt sehr gut. Es sind auch viele Patienten und ehemalige Patienten jetzt in der Halle. Oft bleibt eine Verbindung.

    Sie sind nicht die einzige Rollstuhlsportlerin, die im BG Klinikum Hamburg arbeitet.

    Nein. Die Klinik macht es nicht ohne Eigennutz, dass sie sehr aktive Rollifahrer als Arbeitnehmer nimmt. Wir sind mindestens fünf, sechs Auch Maya Lindholm arbeitet in der Ergotherapie. Die ehemalige Nationalspielerin und jetzige Parakanutin Edina Müller ist noch da, Simone Kues, Ex-Nationalspielerin, arbeitet nach der Elternzeit wieder dort. Man will im Klinikum schon ein bisschen Vorbildcharakter haben.

    Ist Ihr Berufswunsch eigentlich nach dem Unfall entstanden?

    Jein. Ich hatte mir das tatsächlich schon als Fußgänger überlegt, habe mich aber von den Kosten abschrecken lassen. Das Schulgeld ist oft sehr hoch. Dann entstand die Situation, dass ich mich neu umschauen musste. Ich habe dabei eine Schule in Bielefeld-Eckardtsheim gefunden, die kein Schulgeld genommen hat und die auch rollstuhlgerecht war und mich sehr unterstützt hat. Ohne die Schule wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin. Das war perfekt für mich.

    Wie können Sie Job und Sportkarriere koordinieren?

    Ich habe eine 18,75-Stunden-Stelle und werde für die Nationalmannschaft freigestellt. Das ist ein Arbeitgeber, den man sich wünscht, was aber nicht die Regel ist.

    Es wird doch sicher nicht einfacher, das hohe sportliche Niveau zu halten?

    Es ist so, dass andere Länder wie Holland, Kanada oder Großbritannien deutlich mehr Förderung haben. Die Niederländerinnen trainieren das ganze Jahr zusammen. Das ist schon beeindruckend. Wir konnten in den vergangenen großen Turnieren häufig noch mithalten, aber man merkt, dass sie deutlich mehr zusammen spielen als wir.

    Training allein genügt Ihnen nicht. Es heißt, Sie mögen Extremsportarten?

    Das stimmt wohl. Ich wollte immer einen Bungeesprung machen, das hat mir meine Mutter leider verboten, als ich noch minderjährig war. Jetzt geht das nicht mehr. An den Füßen angebunden zu werden ist nicht gut für die Gelenke. Stattdessen habe ich im Herbst letzten Jahres einen Tandemfallschirmsprung gemacht. Das war schon geil. Als ich unten war, wollte ich am liebsten sofort wieder in die Luft, dann auch gerne mit Salto. Zuvor muss ich aber einen Sponsor finden. So ein Sprung ist schon sehr teuer.

    Sie haben immer viel Sport gemacht. War es deshalb selbstverständlich, dass Sie nach dem Unfall vor zehn Jahren wieder mit Sport begonnen haben?

    Ich habe den Sport sogar gebraucht. In der Reha hatte ich Höhen, aber auch Tiefen. Also habe ich ein bisschen Basketball gespielt, auch Tischtennis und Badminton. Man konnte unterschiedliche Sportarten ausprobieren. Dann bin ich nach Hause nach Gütersloh entlassen worden. Es war zunächst nicht einfach, wenn man sich wieder selbst organisieren muss und der Alltag nicht wie in der Reha durchgeplant ist. Mein Nachbar, zwei Häuser weiter, spielte Rollstuhlbasketball. Er hat mich immer mitgenommen. Ich habe dann 2012 richtig in der Oberliga angefangen.

    Und sind durchgestartet ...?

    Seit vier Jahren spiele ich jetzt in der Nationalmannschaft und seit zwei Jahren in Hamburg in der Bundesliga. Daraus hat sich aber noch viel mehr entwickelt. Im September 2017 konnte ich mit dem Job im Klinikum anfangen. Nun habe ich drei Teams, die mir sehr wichtig sind. Mein Kollegenteam bei der Arbeit, die BG Baskets und die Nationalmannschaft. Das passt alles so perfekt.

    Man sieht bei der WM in der Halle viele Menschen mit Anne-Patzwald-Trikots. Sie haben viele Fans.

    Das ist echt schön. Die Familie ist da, viele Freunde und eben auch ehemalige Patienten. Meine kleine Schwester ist voller Begeisterung in der Trommelgruppe dabei, und meine Mutter arbeitet bei der WM als Volunteer mit. Jetzt freue ich mich aber auch darauf, bald wieder meine Wohnung für mich zu haben, wenn die WM zu Ende ist.