Drochtersen. Ein „Jahrhundertspiel“ im Landkreis Stade: Der Regionalligist empfängt im DFB-Pokal den FC Bayern München und plant ein echtes Dorffest

    Rigo Gooßen beweist gleich zu Beginn des Gesprächs seinen trockenen Humor. Als der Präsident und Mäzen der SV Drochtersen/Assel vor dem Jahrhundertspiel in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den FC Bayern München (heute 15.30 Uhr, Kehdinger Stadion) darauf angesprochen wird, dass in der 11.500-Seelen-Gemeinde Drochtersen unter der Woche noch keine Euphorie zu spüren war, antwortet Gooßen schelmisch. „Ab und zu müssen wir hier im Dorf auch mal ein bisschen arbeiten. Wir können ja nicht nur jubelnd durch die Gegend rennen“, sagt Gooßen und grinst. „Aber seit einigen Tagen steigt die Vorfreude natürlich mit jeder Minute.“

    Wer in Drochtersen genauer hinschaut, erkennt diese Vorfreude an vielen Ecken. An der örtlichen Kirche etwa hat Pastor Bernhard Pippirs ein Plakat aufgehängt. „Wir glauben an Wunder. Wir vertrauen auf Gott. Wir sind D/A“, steht darauf. Auch Mike Eckhoff ist schon im Bayern-Fieber. Der Bürgermeister ist dieser Tage häufig mit seinem Fanschal anzutreffen. „Das Spiel ist in aller Munde. Alle Bürger fiebern darauf hin. Selbst bei den Ratssitzungen ist es ein Thema“, sagt Eckhoff.

    Einer, der weiß, wie man die Bayern schlägt, ist Andreas Heinsohn. Der Pressebeauftragte und frühere Keeper des Vereins spielte am 8. März 1987 in einer Kehdinger Auswahl, die den FC Bayern in einem Freundschaftsspiel mit 5:3 blamierte. „Mittlerweile liegen aber Welten zwischen den Profis und den Amateuren. Wir haben keine Chance“, sagt er. Wer durch Drochtersen spaziert und mit den Bewohnern spricht, hört daher unabhängig vom möglichen Ausgang immer wieder von der Freude auf „ein richtig schönes Dorffest gegen die Bayern“. Drochtersens Trainer Lars Uder muss schmunzeln. „Darauf hat Bayerns Trainer Niko Kovac ja bereits reagiert. Er hat gesagt, unser Dorffest interessiere ihn nicht. Er will nach Berlin.“

    18.000 Kartenanfragen kamen von den Bayern-Fans

    Beim niedersächsischen Regionalligisten Drochtersen/Assel, der ansonsten beschaulichen Nummer eins im Großraum Stade, sind die Dimensionen eben andere. Dass die Bayern in das Kehdinger Stadion kommen, obwohl die 2015 in die Regionalliga Nord aufgestiegenen „Drosseln“ bei 18.000 Kartenanfragen aus München mindestens das Millerntor hätten füllen können, ist ein Nachweis ländlicher Bodenständigkeit. „Wir wollen ein friedliches Fußballfest feiern, an das wir uns im Dorf noch jahrelang freudig erinnern werden“, sagt Gooßen.

    7800 Fans – darunter 1650 Anhänger der Münchener – werden durch die aufgestellten Zusatztribünen im Kehdinger Stadion ihren Platz finden. Bevorzugt behandelt wurden bei der Kartenvergabe die 500 Dauerkarteninhaber (je zwei Karten), die 600 Mitglieder (je drei), die Sponsoren und die Angehörigen und Freunde der Spieler. Legt man die Eintrittspreise der schnell vergriffenen Tickets zugrunde (25 Euro Stehplatz/52 Euro Sitzplatz), so verzichtet der Verein auf Zuschauereinnahmen von mindestens 500.000 Euro.

    „Dieses Ereignis in unserer Heimat ist wichtiger als Geld“, erklärt Gooßen. Fußballromantiker feiern ihn dafür. Hoffen darf Gooßen dafür finanziell auf die Bayern. Normalerweise schenkt der bajuwarische Fußball-Gigant den Amateurclubs seine Hälfte der Zuschauereinnahmen. Käme es so, könnten mit dem Antrittsgeld des DFB von 120.000 Euro aus dem TV-Topf insgesamt gut 250.000 Euro beim Verein insgesamt hängen bleiben. „Ein Großteil unseres Jahresetats wird auf jeden Fall abgedeckt sein“, so Gooßen.

    Bevor die Bayern Drochtersen etwas schenken, erfüllten die Niedersachsen aber erst einmal einen Wunsch des Favoriten. Bayern erhält die Heim- und die Auswärtskabine, Drochtersen zieht sich in der ans Stadion angrenzenden Halle um. „Steht so in den DFB-Statuten. Ging nicht anders“, so Gooßen erneut spaßend. Und im Ernst: „Die Bayern reisen mit vielen Leuten und großer Ausrüstung an. Da wir sehr kleine Kabinen haben, haben sie uns höflich um die Überlassung unserer Kabine gebeten. Dem haben wir gerne entsprochen.“

    Die Jungs von Trainer Lars Uder, die sich in dieser Woche mit einem Teamausflug zum Stand-up-Paddling auf Arjen Robben, Frank Ribery, Robert Lewandowski & Co. einschworen, werden also von der Halle direkt auf das Feld stürmen. Doch was hat die sehr zweikampfstark agierende Mannschaft, die in ihren drei Regionalliga-Spielzeiten auf den Tabellenplätzen vier, neun und zwölf landete, dort zu bieten?

    Drochtersens Trainer scoutete die Bayern beim HSV-Spiel

    Gooßen hält einen Sieg für ausgeschlossen, obwohl Drochtersen fast auf den Tag genau vor zwei Jahren am 20. August 2016 gegen Borussia Mönchengladbach einen großen Kampf lieferte, nur 0:1 verlor. „Weniger Gegentore kriegen als der HSV“, gibt Innenverteidiger Sören Behrmann als Ziel an – und bezieht sich dabei auf die zuletzt schon traditionellen Klatschen (2:9 und zweimal 0:8), die sich die Hamburger in der Bundesliga einfingen. Behrmann ist der Kapitän des Teams und von Beruf Verkäufer in einem Autohaus in Stade.

    Tatsächlich diente der HSV vor zwei Tagen im Volksparkstadion als positives Vorbild. Drochtersens Coach Uder schaute sich das 1:4 der Hamburger gegen die Bayern im Volksparkstadion an. Anschauungsunterricht, wie die Bayern zu knacken sind, bot eine starke erste HSV-Hälfte mit dem schön herausgespielten 1:0 von Khaled Narey als Krönung. Kann Drochtersen Ähnliches leisten? Abwehrspieler Meikel Klee sieht es ganz pragmatisch: „Würden wir nicht an ein Wunder glauben, bräuchten wir ja gar nicht anzutreten.“