Berlin. Über 3000-Meter-Hindernis lief Gesa Felicitas Krause zu Gold. Nun könnte sie ein neues Gesicht der deutschen Leichtathletik werden.

Um ein Haar wäre es wieder passiert. Ein Sturz. Doch so folgenschwer wie im vergangenen Jahr, als Gesa Felicitas Krause im WM-Finale zu Fall gekommen und mit großer Willensstärke Neunte geworden war, wäre er diesmal nicht gewesen. Denn die 26-Jährige befand sich schon in den letzten Zügen ihrer Ehrenrunde durch das Berliner Olympiastadion. Gerade hatte die Leichtathletin ihren EM-Titel über 3000-Meter-Hindernis verteidigt. Nun wollte sie endlich ihre Freunde in den Arm nehmen. Doch als sie über die Bande stieg übersah sie eine TV-Kamera. Ein Zusammenprall, ein kurzer Schock. Aber: Nichts passiert, alles gut.

Für die Hindernisläuferin aus Trier hatte sich am letzten Abend der Heim-EM ein Traum erfüllt. Unbedingt hatte sie Gold gewollt. Bei der Siegerehrung schloss sie später die Augen. Woran sie dachte? „Ich wollte alles in meinem Kopf verewigen“, sagt Krause. „Das sind die Momente, an die man denkt, wenn wieder harte Trainingsphasen anstehen. Ich wollte alles so intensiv wie möglich wahrnehmen.“

"Das Publikum hat mich gepusht"

Dass sie diesen Moment mit 42.350 Zuschauern teilen musste, war für die Sportsoldatin kein Problem. Im Gegenteil: „Das war besonders schön. Das Publikum hat mich so gepusht. Jeder einzelne hatte einen kleinen Anteil daran, dass ich diese Leistung bringen konnte.“ Das Olympiastadion, sagt sie, habe etwas Magisches. Verzaubert hatte aber vor allem sie.

Krause strahlt mit ihrem wachen, freundlichen Blick so viel Positives, so viel Zuversicht aus. Dabei hatte sie sich selbst gehörig unter Druck gesetzt. Die Saison war für die WM-Dritte von 2015 trotz des Gewinns der deutschen Meisterschaft nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Für ihr großes Ziel, eine Olympiamedaille 2020 in Tokio, hatte sie ihr Trainingspensum verändert. Die Belastung war größer als gedacht. „Doch das sind wichtige Erfahrungen“, sagt Krause. Sie und ihr Trainer Wolfgang Heinig korrigierten den Plan. In Berlin ging der auf. Heinig bezeichnete die Vorstellung seiner Athletin als „eine Meisterleistung“.

Entscheidung in der letzten Runde

In der letzten Runde, kurz vor dem Wassergraben hatte Krause zum entscheidenden Überholmanöver angesetzt, mit einer Zeit von 9:19,80 Minuten ließ sie Fabienne Schlumpf (Schweiz/9:22,29) und Karoline Bjerkeli Grövdal (Norwegen/9:24,46) hinter sich.

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Das Publikum feierte ausgelassen mit der zierlichen Frau, die schon so oft begeistert hatte. Mit ihren Leistungen, aber auch mit ihrer Art. Nach dem Sturz in London 2017 waren ihr noch mehr Sympathien zugeflogen. Weil sie nicht gejammert hatte, kein böses Wort über die Kenianerin Beatrice Chepkoech verloren hatte, wegen der sie zu Fall gekommen war. Sie nennt es heute „diese kleine Tragödie“, sagt das ohne Ironie, ohne Frust.

Neues Gesicht der Leichtathletik

Mit ihren Erfolgen und ihren ehrlichen Worten hat auch Gesa Felicitas Krause Potenzial, eines dieser neuen Gesichter der deutschen Leichtathletik zu werden. Jetzt, wo die Ära von Diskus-Star Robert Harting beendet ist. Zwar ist Krause nicht so laut und schillernd wie 100-Meter-Vizeeuropameisterin Gina Lückenkemper, doch auch sie weiß Menschen für sich einzunehmen. Weil sie unglaubliche Leistung abruft und weil sie Dinge verblüffend klar benennt. Ja, auch sie taugt zum Vorbild.

Erst recht, wenn sie es 2020 mit der ganz großen Konkurrenz aufnehmen kann. Dafür muss alles passen. Der Hindernis-Weltrekord liegt bei 8:44,32 Minuten. Krause hält den deutschen Rekord mit 9:11,85 Minuten. Sie ist bereit, alles für ihr Ziel zu geben. Bleibt zu hoffen, dass ihr dabei nur die Hindernisse im Weg stehen, die sie für ihren Job braucht.