Hamburg. Das Team vom Millerntor bleibt mindestens bis heute Abend Zweitliga-Spitzenreiter. Nur Glück und Zufall ist das nicht

    Freude und Erleichterung, aber längst keine Euphorie – das ist die Stimmungslage bei Spielern und Trainern des FC St. Pauli nach den beiden Siegen zum Auftakt der neuen Zweitligasaison. „Die Tabelle ist nach zwei Spieltagen ein Muster ohne Wert“, sagte am Tag nach dem 2:0-Heimsieg gegen Darmstadt 98 Cheftrainer Markus Kauczinski. Zu diesem frühen Zeitpunkt sei es noch egal, ob man Erster oder Zehnter sei. Am Sonntag hielt St. Paulis Tabellenführung aber noch, weil Holstein Kiel nur 1:1 gegen Heidenheim spielte. Nur Köln und Union Berlin, die an diesem Montag aufeinandertreffen, können die St. Paulianer verdrängen.

    „Mehr können wir uns über die Leistung freuen, die die Mannschaft gezeigt hat“, sagte Kauczinski. Damit hatte er zweifellos recht. Zu erwarten war der erfolgreiche Saisonstart angesichts des Auftaktprogramms keineswegs. Der stark eingeschätzte Aufsteiger Magdeburg und die zuvor zwölf Spiele ungeschlagenen Darmstädter waren zwar keine hochklassigen, aber doch unangenehme Gegner. Sechs wichtige Gründe bildeten jetzt aber die Basis dafür, dass St. Pauli beide Spiele gewann und so erfolgreich wie seit 2009/2010 nicht mehr in eine Zweitligasaison startete.


    Teamgeist: Die Mannschaft hat es geschafft, ihren Spirit aus der Schlussphase der vergangenen Saison in die neue Spielzeit mitzunehmen. Es ist auffällig, wie sich die Profis auf dem Spielfeld immer wieder gegenseitig anfeuern und nach gelungenen Aktionen, selbst wenn es nur eine Grätsche war, loben und abklatschen. Besonders lebt dies Neuzugang Marvin Knoll vor. „Er hat das im Naturell, aber nicht nur er geht voran“, sagt Trainer Kauczinski dazu. „Jeder trägt auf seine Art und Weise dazu bei. Wenn Mats Möller Daehli sprintet oder wie Christopher Avevor in die Zweikämpfe geht – das reißt genauso mit.“


    Interne Konkurrenz:
    Aus dem Profikader sind derzeit nur Jan-Philipp Kalla und Marc Hornschuh längerfristig verletzt. Entsprechend hart ist der Kampf um die Startelf-Plätze und um die sieben weiteren Plätze für den 18er-Kader eines Spiels. „Ich habe den Jungs schon gesagt, dass im Training manchmal auch schon ein durchschnittlicher Tag nicht reicht, um im Team zu bleiben“, berichtet Kauczinski. Daher kam jetzt Richard Neudecker (siehe Text unten) für Waldemar Sobota in die Startelf gegen Darmstadt. Als Letzterer eingewechselt wurde, zeigte er sich sehr engagiert und scheiterte mit einem gefährlichen Torschuss an der Latte. Die interne Konkurrenz sorgt auch für Härtefälle. So ist im Moment Kapitän Bernd Nehrig nur Reservist, und Stürmer Aziz Bouhaddouz schaffte es weder in Magdeburg noch gegen Darmstadt in den Kader.

    Fitness:„Wir haben in beiden Spielen gezeigt, dass wir fit sind“, sagt Trainer Kauczinski. „In der Vorbereitung haben wir in diesem Punkt viel investiert. Dazu gehört auch, dass wir beobachten können, ob wir einmal einen Spieler herausnehmen müssen. Es geht darum, richtig zu belasten und auch mal nicht zu belasten“, sagt er weiter und spielt damit auf das System „Polar Pro Team“ an, mit dessen Hilfe alle Spieler beim Training und bei den Matches technisch überwacht werden. „Wenn man sieht, dass der Aufwand belohnt wird, ist es doppelt positiv“, sagt Kauczinski.


    Automatismen:
    Bei St. Paulis Anhängern fand die defensive Transferpolitik von Sportchef Uwe Stöver keinesfalls nur Zustimmung. Nur Marvin Knoll und Henk Veerman kamen als Zugänge. Dafür wurden zahlreiche Spieler gebunden, deren Verträge Ende Juni ausgelaufen waren. „Einen Spieler, der da ist, kennt man besser, als einen, den man neu holt. Neue Spieler bedeuten nicht, dass alles besser wird“, sagt Stöver. Mit Knoll verpflichtete er aber einen Akteur, der sich auf Anhieb in das eingespielte Team eingefügt hat. Viele Automatismen funktionieren daher unter den Akteuren, die zum Großteil schon seit Jahren zusammenspielen, besser als bei Teams mit mehr Zugängen.


    Spielkonzept:
    Eine stabile Defensive, an der sich auch die offensiv ausgerichteten Spieler beteiligen müssen, bildet die Grundlage von Kauczinskis Konzept. Im Angriff sollen die eher kleinen, ballsicheren Spieler möglichst flach nach vorn kombinieren. „Ein Schlüssel ist aber auch unser Gegenpressing“, sagt Mittelfeldspieler Christopher Buchtmann. Immer wenn im Angriff der Ball verloren geht, wird der Ballführende umgehend von mehreren Spielern unter Druck gesetzt.

    Gegner: Bei allem Respekt vor St. Paulis Leistung in den ersten beiden Punktspielen darf nicht übersehen werden, dass Magdeburg und Darmstadt sicherlich keine Topteams der Liga sind. Bei aller Willenskraft präsentierte sich Aufsteiger Magdeburg vor allem spielerisch limitiert. Gegen Darmstadt zeigte sich, dass es sich schon auszahlt, offensiv Geduld zu bewahren und sich defensiv keine Blößen zu geben. Die beiden kommenden Gegner in der Zweiten Liga, die als Aufstiegsanwärter gehandelten Union Berlin und 1. FC Köln, werden von einem anderen Kaliber und daher ein echter Gradmesser sein, wie stark der FC St. Pauli tatsächlich ist.