Berlin. Deutsche Leichtathleten holen mehr Medaillen als 2016. Kritik am Fernbleiben der Politiker

    Es waren emotionale Bilder, die aus dem Berliner Olympiastadion in die Welt gingen. Ein hemmungslos weinender Arthur Abele, der König der Zehnkämpfer. Speerwurf-Europameister Thomas Röhler, der in den Wassergraben hüpfte. Gina Lückenkemper, die die 100 Meter gleich zweimal unter elf Sekunden lief und das Publikum begeisterte.

    „Wir haben im Stadion genau das bekommen, was wir uns gewünscht haben – das Gänsehautfeeling“, sagte Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Dafür sorgten die Athleten mit herausragenden Leistungen und die halbe Million Zuschauer, die dem Spektakel im Stadion und auf dem Breitscheidplatz eine würdige Kulisse boten.

    Und das Ergebnis kann sich aus deutscher Sicht sehen lassen. Stolze 19 Medaillen konnten die Athleten sammeln, zwei mehr als vor zwei Jahren in Amsterdam. Dass dies das Ziel des DLV war, sagte vorher niemand. „Wir wollten keinen Druck aufbauen“, sagte Idriss Gonschinska, Leitender Direktor Sport im DLV.

    Der Plan ging auf. Das deutsche Team jubelte im Werfen, Springen und Laufen. „Die Vielfalt dieses Sports haben wir in dieser Woche gesehen, und das ist bei vielen Menschen angekommen“, sagte Kessing. Nur bei einer nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte die Wettkämpfe vor ihrer Haustür nicht. Auch Sportminister Horst Seehofer und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sogar die Schirmherrschaft der EM innehatte, suchte man vergeblich.

    Weder Kanzlerin Merkel noch Sportminister Seehofer kamen

    Schon am Sonnabend hatte Kugel-Vizeeuropameisterin Christina Schwanitz die Abwesenheit der Kanzlerin kritisiert. „Nach Rio kann sie fliegen und ist mehrere Tage nicht auf Arbeit. Im Fußball geht’s“, sagte Schwanitz im „Aktuellen Sportstudio“. Auch Diskuswerferin Shanice Craft hätte sich über diese „schöne Wertschätzung“ gefreut. „Aber im Endeffekt waren so viele Menschen im Stadion, die wirklich sehen wollten, was wir machen, und das ist viel mehr wert“, sagte sie. Nicht nur die Menschen im Stadion wollten sehen, was sich in Berlin tut. „Die Zuschauerquoten, die Marktanteile im TV sprechen dafür, dass die Leichtathletik in dieser Woche einen neuen Schub bekommen hat“, sagte Kessing. Verantwortlich dafür waren vor allem die Erfolge der deutschen Athleten. Denn das Prinzip des Zuschauerinteresses ist klar: keine deutschen Medaillen, keine guten Einschaltquoten.

    Das weiß auch der DLV. Und investierte viel, um seine Athleten bestmöglich vorzubereiten. „Wir haben bewusst auch einige unpopuläre Entscheidungen getroffen und uns auf die Tage hier fokussiert. Vieles davon ist aufgegangen. Natürlich gab es auch die eine oder andere Entwicklung, die wir uns anders vorgestellt hatten“, sagte Gonschinska.

    Ein Beispiel sind die deutschen Sprinter. Sie liefen wie schon in den Jahren zuvor nur hinterher. Mit Ausnahme von Vizeeuropameisterin Lückenkemper gingen alle leer aus. Nur wenn auch noch Hürden auf der Bahn standen, klappte es mit den Medaillen.

    „Unser Motto war, dass die Athleten performen können, wenn es darauf ankommt“, sagte Gonschinska. Schon im Frühjahr wurden einige Sportler nominiert, wenn sie mit Leistungen überzeugten. So lief es nicht bei allen auf einen kräfteraubenden Kampf um die Normen hinaus. Die Folge: Sechs Medaillen wurden dank Saisonbestleistungen gewonnen. Auch die Talente Lisa-Marie Kwayie (21) und Kevin Kranz (20) lassen hoffen, dass die deutschen Sprinter irgendwann wieder konkurrenzfähig sind. Zudem wird bis auf Diskuswerfer Robert Harting kaum einer seine Karriere beenden. So werden sie sich nun mit der Zwischenstation der WM in Katar im nächsten Jahr auf Tokio 2020 vorbereiten.