Berlin. Hochsprung-Europameister Mateusz Przybylko hat das Zeug zum Star. Er ist selbstbewusst und extrovertiert

    Wie gut, dass manche Dinge in seiner Jugend nicht so geklappt haben wie geplant. Etwa die Sache mit der Fußball-Karriere. Hätte er doch wie seine Brüder Kacper und Jakub oder sein Vater Mariusz Fußballprofi werden können, „aber das viele Laufen war nichts für mich“. Als er sich stattdessen wie seine Mutter Wioletta für die Leichtathletik entschieden und die Norm für die U-18-WM geschafft hatte, fragte sein Vater erst beim polnischen Verband nach, ob der seinen Sohn nicht nominieren wolle. Niemand meldete sich, dafür der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV). „Und jetzt stehe ich hier als stolzer Deutscher“, sagt Mateusz Przybylko. Und als stolzer Hochsprung-Europameister.

    Der Erfolg und seine unverkrampfte Art machen den 26-Jährigen zu einer der strahlendsten Figuren der Titelkämpfe im Berliner Olympiastadion, vielleicht sogar schon bald zu einem der neuen Anführer im deutschen Team, die nach dem Abschied von Robert Harting gesucht werden. Neben Sprinterin Gina Lückenkemper und Speerwerfer Thomas Röhler bietet er sich dafür an. Zwar tun sich manche schwer mit seinem Namen, denen kann aber geholfen werden: „Einfach kräftig niesen und bülko sagen, dann haben Sie es“, sagt er dann fröhlich. Am liebsten wird er sowieso Matze genannt. Wie von seinem Hochsprung-Kollegen Eike Onnen, der bei der EM vor zwei Jahren in Amsterdam noch Dritter geworden war, diesmal aber früh ausschied. „Matze“, sagt der, „macht sich keine großen Gedanken. Er glaubt einfach immer, dass es schon gut wird.“

    Da muss der Athlet des TSV Bayer Leverkusen widersprechen. „Ich war so nervös. Ich wollte ja hier nicht, wie man so schön sagt, verkacken.“ Den Gewinn einer Medaille hatte er forsch angekündigt. Dann kam doch das Fracksausen. Er sah Mitte der Woche bei ein paar Vorkämpfen zu, gemeinsam mit rund 15.000 Zuschauern, um sich ein Bild von der Stimmung zu machen. „Da habe ich eine Gänsehaut nach der anderen bekommen wegen der Atmosphäre im Stadion“, erzählt er „Ich dachte, oh Gott, wie soll ich das nur am Sonnabend aushalten?“ Es gelang ihm sehr gut, kann man sagen, obwohl sogar 60.000 Fans Augenzeuge waren beim bisher besten Wettkampf seines Lebens. Jede Höhe bis 2,35 Meter meisterte er gleich im ersten Versuch – besser ging’s nicht. Bisher zumindest.

    Denn es sind drei Ziele, die sich Mateusz Przybylko gesetzt hat. Seine erste internationale Medaille hat er Anfang des Jahres gewonnen, Bronze bei der Hallen-WM. „Ich war super glücklich, nur konnte ich da keine Ehrenrunde mit der deutschen Fahne drehen, und das will doch jeder Sportler.“ Das hat er nun in Berlin ausgiebig nachgeholt nach dem Gewinn seiner ersten Goldmedaille. Nächstes Ziel abgehakt. Anschließend hatte er kaum noch Stimme und kaum noch Luft: „Das Laufen ist immer noch nicht so mein Ding.“

    Der gebürtige Bielefelder ist erst der zweite deutsche Hochsprung-Europameister nach Dietmar Mögenburg (1982). „Ich freue mich sehr für ihn“, sagt sein Vorgänger. „Er ist ein lieber Kerl. Und vor allem kann er das Publikum begeistern.“ Als drittes Ziel will Przybylko nun die 2,37 Meter überbieten, den deutschen Rekord von Carlo Thränhardt, aufgestellt am 2. September 1984 in Rieti/Italien. Am Sonnabend riss er die 2,38 noch, „aber ich hab sie drin, oder?“

    DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska gefällt genau diese positive Einstellung des Hochspringers: „Einer wie Matze tut jeder Mannschaft gut. Er setzt sich hohe Ziele wie jetzt den deutschen Rekord und ist immer optimistisch.“ Mateusz Przybylko sieht auch nicht nur sich selbst. Weil quasi zeitgleich mit ihm Weitspringerin Malaika Mihambo EM-Gold gewann, zuvor Marie-Laurence Jungfleisch mit Bronze im Hoch-, Fabian Heinle mit Silber im Weit- und Kristin Gierisch ebenfalls mit Silber im Dreisprung zum Medaillenregen beigetragen hatten, stellt er lässig fest: „Wir waren immer eine Werfernation. Aber jetzt kommen die Springer aus ihren Ecken. Ich denke, wir haben die EM gerockt. Und ich hab eine ganz geile Show geboten.“

    Durch den ersten großen Titel hat seine Karriere vielleicht den entscheidenden Kick bekommen. „Wenn ich in jedem Wettkampf so cool bleibe, kann ich auch jeden Wettkampf gewinnen“, sagt er selbstbewusst. „Ich gehöre jetzt zu den Namen wie Carlo Thränhardt. Aber ich bin der Przybylko.“

    Zwei Wochen Urlaub im Oktober auf Bali mit seiner Freundin, findet er, hat er sich nun echt verdient. Wird schon klappen.