Berlin. Arthur Abele wurde Zehnkampf-Europameister, weil ihm ein Teamkollege half

    Der neue König, er muss sich noch etwas gedulden. Arthur Abeles Krönung zum neuen Europameister der Zehnkämpfer findet erst einen Tag später als geplant statt. Weil die Europäische Meile am Breitscheidplatz, der Ort der Siegerehrung, am Donnerstag wegen einer Unwetterwarnung frühzeitig geschlossen werden musste, wurden eben auch die Medaillenzeremonien verschoben. Also bekommt Abele seine Goldmedaille erst an diesem Freitag – eine Verzögerung, die der Zehnkämpfer verschmerzen wird.

    Denn mit dem Warten kennt sich der 32-Jährige aus. Warten auf die Diagnose, Warten auf die Reha, Warten auf den Wiedereinstieg ins Training, Warten auf konstante Leistungen. Abele hat in seiner Karriere schon viel Zeit damit verbracht zu warten. Dass die Liste seiner Comebacks deutlich länger ist als die seiner sportlichen Erfolge, erzählt viel über den Verlauf seiner komplizierten Zehnkampf-Laufbahn.

    Aber aufzugeben, das hatte sich der Sportsoldat verboten. Immer wieder. Nach seinen Hüftproblemen, nach dem Leisten- und Nabelbruch, nach einer Schambeinentzündung, dem Ermüdungsbruch im Fuß, dem Achillessehnenriss und nach der halbseitigen Gesichtslähmung im Dezember durch eine Virusinfektion des vergangenen Jahres. „Ich dachte, es ist ein Schlaganfall“, erzählte er. Mit viel Cortison und Durchhalteparolen kämpfte er sich zurück. Rückschläge sind seine Motivation.

    Und dank dieses unbändigen Kampfgeistes muss Abele auf eines nun nicht mehr warten: auf den größten Titel seiner Karriere. „Wahnsinn, irre. Ey, wie viele Anläufe, wie viele Niederschläge, wie viele Rückschläge, Arschtritte, wie viele Trainingseinheiten und Reha-Maßnahmen. Unfassbar. Das geht auf keine Kuhhaut. Unglaublich, was für eine Genugtuung, weil man weiß, man hat es endlich geschafft“, sagte Abele am Mittwochabend. Mit einer Krone auf dem Kopf, einer Deutschlandfahne um die Schultern und immer wieder mit Tränen in den Augen.

    Dieser Abele, der neue Europameister, der die erste deutsche Goldmedaille bei dieser Veranstaltung gewann, er ließ seinen Emotionen nach zwei Wettkampftagen mit Höhen und Tiefen, Überraschungen und Niederschlägen freien Lauf. Als der französische Topfavorit Kevin Mayer nach drei ungültigen Weitsprüngen ausstieg, da „wusste ich, jetzt ist deine Zeit. Jetzt musst du zusehen, dass du das hier kontrolliert zusammenkriegst, und dann könnte es dein Moment werden.“ Und es wurde sein Moment – ein absoluter Gänsehautmoment.

    Doch der gebürtige Mutlanger wusste auch, dass er das nicht allein geschafft hatte, dass die Goldmedaille mit einer kleinen Ecke auch seinem Teamkollegen Mathias Brugger (26) gehört. Abeles Trainingspartner quälte sich trotz dreier Fehlversuche im Weitsprung und Schmerzen im Knie in den Kugel- und Hochsprung-Wettkampf, über die 400 Meter und sogar noch über die 110 Meter Hürden. „Er hat einfach gesagt, ich mache das für dich Arthur, ich mache noch einmal ein bisschen Druck, damit du schön aktiv bleibst und die Birne nicht einfach abschaltest. Das hat super funktioniert.“

    Vor allem auf der anstrengenden Stadionrunde zum Abschluss des ersten Tages war Bruggers beachtliche Unterstützung für Abele Gold wert. „Ich bin drei Hundertstel über meiner Bestleistung gelaufen – und die steht von 2008. Das ist zehn Jahre her. Und das war einfach nur geil“, sagte der Schwabe und freute sich in der Erinnerung an dieses Rennen gleich noch mal darüber. „Wir wollten eigentlich noch im Ulm-Express die 1500 Meter durchballern“, ergänzte er dann. „Das hat leider nicht geklappt.“

    Dafür hätte es beinahe mit einer zweiten deutschen Medaille geklappt, auch dank Abele. „Ich wollte eigentlich den Niklas noch ein bisschen ziehen. Wenn der Weißrusse nicht so gut gelaufen wär, hätte es vielleicht noch für Bronze gereicht“, sagte er. Doch Teamkollege und U-20-Europameister Niklas Kaul fehlten am Ende nur 70 Punkte zum dritten Rang.

    Die Geschichte von der Zehnkampf-Familie, der große Zusammenhalt unter den Mehrkämpfern, es ist kein Marketinggerede. Abeles Mitstreiter sind mehr als nur das Gefolge des neuen Königs. Sie sind ihm ebenbürtig – nur eben ohne Krone. „Wir sind ein Team, sind eine Einheit. Auch mit den internationalen Athleten. Wahnsinn, diese Einheit, das Pushen untereinander“, sagte Abele. Er habe Tränen in den Augen gehabt, als Brugger aussteigen musste. „Das tut einfach so weh, weil wir gesagt haben, hey, wir ziehen das Ding hier durch“, sagte Abele.

    Er zog es allein durch – für seinen Trainingspartner und für sich, um sich zu beweisen, dass er nach einer solch langen Leidenszeit trotzdem zu Großem fähig ist. Auch in diesem Moment bricht seine Stimme wieder.

    Das Gefühl, endlich belohnt worden zu sein, wird Abele wohl noch länger überwältigen. Sicherlich auch am Freitagabend, wenn er auf dem Breitscheidplatz endlich seine Goldmedaille bekommt. Denn gewartet hat Abele nun lange genug.