Berlin. Kaum jemand hat den deutschen Fußball so geprägt wie der frühere Spieler und Trainer – „Hier kann jeder sagen, was ich will“

    Bei seinen großen Triumphen sah ihm die halbe Fußballwelt zu, aber der Moment, der Otto Rehhagel vielleicht am meisten bedeutete, ereignete sich hinter verschlossenen Türen. In einem der edelsten Häuser der Hansestadt Bremen hatte sich 1988 ein exklusiver Zirkel eingefunden, darunter Trainer Rehhagel, der mit dem SV Werder soeben seine erste Meisterschaft gewonnen hatte, die Führungsriege des Clubs, DFB-Teamchef Franz Beckenbauer und SPD-Ikone Willy Brandt. Nach ein paar Stunden, so ist es verbrieft, erhob sich Altkanzler Brandt, um sich zu verabschieden: „Herr Rehhagel“, habe er gefragt, „darf ich jetzt gehen?“ Ein Ritterschlag für den Bergmannsohn und gelernten Anstreicher. Trotz der Anwesenheit von Fußball-Kaiser Beckenbauer und Staatsmann Brandt war an diesem Abend nur einer der erste Mann am Tisch: der frisch gekrönte König Otto. Nur eines hätte diesen Augenblick noch großartiger machen können, hat Rehhagel später erzählt: nämlich wenn sein Vater dabei gewesen wäre. Der aber starb schon 1950, Rehhagel junior war da erst zwölf.

    An diesem Donnerstag wird Rehhagel 80 Jahre alt und kann auf viele weitere Anekdoten zurückblicken, vor allem aber auf unvergessliche Erfolge. Allein mit Werder errang er noch vier Titel, darunter 1992 den Europapokal der Pokalsieger. Sechs Jahre später führte er Kaiserslautern als Aufsteiger zur Meisterschaft, nur um dieses Husarenstück 2004 noch mal zu toppen. Europameister mit Griechenland – ein nie für möglich gehaltener Coup.

    Wie kein Zweiter verstand es Rehhagel, aus kleinen Mitteln großen Erfolg zu erschaffen. Reinquatschen durfte ihm dabei keiner, eines seiner Erfolgsrezepte war die Ottokratie. „Hier kann jeder sagen, was ich will“, so sein Motto, in sportlichen Belangen musste er Alleinherrscher sein. Ein Credo, das nicht überall gut ankam. Bei Bayern München sträubten sich die Club-Ikonen Beckenbauer und Uli Hoeneß, ins zweite Glied zu treten, auch die vielen Stars im Team fremdelten mit Rehhagels autoritärem Stil. Die Folge: Das Engagement beim damals als FC Hollywood verschrienen Rekordmeister endete schon in der ersten Saison. Dass Rehhagel die Mannschaft bis ins Finale des Uefa-Pokals führte, ging dabei fast unter. Dort, wo man ihn gewähren ließ, entstand Großartiges. „Otto ist ein grandioser Pädagoge“, sagte Willi Lemke, der als Werder-Manager 14 Jahre mit Rehhagel zusammenarbeitete. Aus nächster Nähe erlebte er, wie der Coach sein eigenes Selbstbewusstsein auf die Spieler übertrug – als einfühlsame Vaterfigur mit feinem Gespür für Typen und die richtige Ansprache, als Mann markiger Leitsätze auch. Filous wie Mario Basler hielt er an der langen Leine, ohne dass der Rest des Teams rebellierte. „Ich habe gelernt, in die Seele der Spieler zu sehen“, sagte Rehhagel. Seine Frau Beate zog er dabei gern zurate. Meist lagen sie mit ihrer Einschätzung richtig.

    Das allein erklärt seinen Erfolg aber noch nicht. Rehhagel zeichneten viele Qualitäten aus. Einen Ruf als Taktik­genie wollte er sich nie verdienen, er wollte Erfolg, zur Not auch mit Rumpelfußball wie bei der EM 2004. Dazu bewies er immer wieder ein gutes Händchen für Talente oder Routiniers, auch verstand er es, seine Teams zu einem verschworenen Haufen zu formen.

    Eines sollte Rehhagel allerdings nicht gelingen: ein erfolgreiches Karriereende. Als ihn Hertha-Manager Michael Preetz im Abstiegskampf 2012 zur Hilfe rief, erlag der Altmeister der Verlockung eines denkwürdigen Schlusspunkts. In Berlin hatte seine Bundesligakarriere schließlich begonnen, 1963 als Spieler, pünktlich zum Premierenjahr. „Das war ein Startschuss in eine neue Dimension“, erinnerte sich Rehhagel und sah sich im Geiste am Theodor-Heuss-Platz stehen, die Siegessäule im Blick. Die bescheidenen Verhältnisse ließ er in der Hauptstadt hinter sich, wurde bei Hertha als kompromissloser Verteidiger zur Stammkraft. Und gefühlt zum „Kind der Bundesliga“.

    Die Trainer-Episode in Berlin blieb indes eine eher traurige: Fast schien es, als befänden sich der 73-Jährige und seine jungen Spieler in unterschiedlichen Universen. Mit Rilke-Zitaten erreichte er in der Kabine niemanden mehr. Das Ende ist Geschichte. Relegation in Düsseldorf. Und schließlich der Abstieg. Einer der größten Bundesliga-Trainer aller Zeiten bleibt Rehhagel trotzdem.