Berlin. 1996 begeisterte Frank Busemann mit Zehnkampf-Silber bei Olympia. Der 43-Jährige über den Stellenwert der Leichtathletik und Doping-Vorwürfe.

Der zweite Koffer wartete schon auf ihn. Gerade erst ist Frank Busemann aus dem Familienurlaub in Dänemark zurück in seine Heimat Dortmund gekehrt, da geht es schon wieder weiter. Nächste Station: Berlin. Der 43 Jahre alte Olympia-Zweite im Zehnkampf von 1996 ist als Experte für die ARD bei der Leichtathletik-EM ab Montag im Einsatz. Vorher ließen ihm seine Kinder ein paar Minuten Ruhe für ein Gespräch.

Herr Busemann, was erwarten Sie von der Europameisterschaft in Berlin?

Frank Busemann: Eine Europameisterschaft hat ja immer den Makel, der kleine Bruder von WM oder Olympia zu sein. Doch in diesem Fall wird das anders, das wird keine typische EM, sondern eine Nummer größer.

Inwiefern?

Im Stadion wird es noch lauter als eh zuvor – es wurden ja auch unglaublich viele Tickets verkauft. Außerdem bin ich gespannt, wie zum Beispiel die Kugelstoß-Qualifikation am Breitscheidplatz angenommen wird. Ich wünsche mir für diese EM so sehr, dass es so wird wie die WM 1993 in Stuttgart.

Warum?

Weil dort eine unheimliche Fairness zu spüren war. Jeder Sportler, egal welcher Nation, wurde gefeiert – das hat mir sehr imponiert. Nur die Briten haben es 2017 mit der WM in London geschafft, nochmal einen neuen Maßstab zu setzen. Die sind einfach sportbegeistert. Ich würde mir für die Sportler wünschen, dass das Publikum in Berlin genauso reagiert.

Was halten Sie von dem Konzept der gemeinsamen Europameisterschaften in Glasgow und Berlin?

Als ehemaliger Zehnkämpfer sage ich natürlich: An die Leichtathletik-EM kommt sowieso keiner ran (lacht). Aber ernsthaft: Es hat ja den Charakter von kleinen Olympischen Spielen, vielleicht ist das ein schöner Anreiz für die Zuschauer. Der Wintersport hat es ja mit kompakten Wochenenden sehr erfolgreich vorgemacht. Wir werden sehen, wie es ankommen wird. Sicher ist, dass wir alle an einem Strang ziehen müssen, um gegen den Fußball ein bisschen ankommen zu können. Die Zeiten haben sich eben verändert, also müssen auch wir etwas verändern.

Sie haben 1996 mit dem Gewinn Ihrer Silbermedaille bei Olympia in Atlanta für große emotionale Sportmomente gesorgt. Werden Sie noch oft darauf angesprochen?

Ja, es ist verrückt. Es ist mittlerweile länger her, als ich damals alt war. Aber neulich war da wieder so ein Moment: Ich stand am Joghurt-Regal im Supermarkt und merkte, wie mich ein Mann scannte. Irgendwann kam er auf mich zu und sagte: „Sie sind doch Frank Busemann, wissen Sie eigentlich, was Sie uns damals für eine Freude bereitet haben?“ Da war ich schon ergriffen.

Wie erklären Sie es sich, dass Ihr Erfolg die Menschen damals so begeistert hat?

Ich konnte es gar nicht glauben. Für mich war das zwar ein toller Wettkampf, aber ich bin ja nur Zweiter geworden. Erst am Telefon sagte dann meine Freundin zu mir: „Nur Zweiter? Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist!“ (lacht) Bei mir kam vieles zusammen: Die Disziplin mit großer Tradition, die Zeitzone, die gut war, um den Wettkampf im Fernsehen zu verfolgen und eine Geschichte mit Happy End.

Wie stehen denn die Chancen ihrer Zehnkampf-Nachfolger in Berlin?

Ich denke, an dem französischen Weltmeister Kevin Mayer kommt keiner vorbei. Er kann sich derzeit nur selber schlagen. Arthur Abele könnte ein Kandidat für Platz zwei oder drei sein. Er stand sich 2016 in Rio mental selbst im Weg. Das Problem hat er jetzt aber hoffentlich im Griff. Schade ist natürlich, dass der WM-Dritte Kai Kazmirek kurzfristig absagen musste. Er ist immer ein Mann für eine EM-Medaille. Der Nachrücker Niklas Kaul wird ihn würdig vertreten. Edelmetall kommt noch zu früh, aber als Juniorenweltmeister ist er ein Mann für die Zukunft – wenn er gesund bleibt.

Warum ist Kevin Mayer derzeit so unerreichbar?

Zunächst ist er immer gesund geblieben. Er hat mit 21 Jahren schon herausragende Leistung gezeigt, ist dann aber ein paar Jahre auf dem Niveau herumgedümpelt. Irgendwann ist dann der Knoten geplatzt, seine Leistungen sind explodiert, und er ist im Konzert der Großen angekommen. Er ist unglaublich sicher, hat auch seine Schwäche im Werfen überwunden. Er ist ein Athlet, der für etwas steht. Ich kann mir auch vorstellen, dass er die Marke von 9000 Punkten schaffen kann.

Wenn Sie den Vergleich ziehen zwischen Ihrer aktiven Zeit als Leichtathlet und heute: Was hat sich besonders verändert?

Früher gab es mehr Gesichter, Athleten, die Ikonen waren. Lars Riedel, Heike Drechsler, Dieter Baumann – die kannte einfach jeder. Heute ist es viel schwieriger, einen solchen Bekanntheitsgrad zu erlangen, weil alles schnelllebiger geworden ist. Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit ist durch Social Media oder YouTube viel größer.

Was muss ein Sportler mitbringen, um da zu bestehen?

Usain Bolt hat es bisher als einziger Leichtathlet geschafft, zu einer globalen Marke zu werden. Und ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Dafür braucht es aber auch immer eine Geschichte, die hinter einer starken Leistung steht. Robert Harting war auf nationaler Ebene so einer – auch wenn er nicht gerade als Schwiegermamas Liebling aufgetreten ist.

Sind fehlende Gesichter ein Problem der Leichtathletik?

Mit ihnen steht und fällt die internationale Beliebtheit des Sports. Überall auf der Welt tragen Kinder Ronaldo-Trikots, weil sie ihm nacheifern. Das kriegt die Leichtathletik so nicht mehr hin. Zumal der Sport noch immer ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

Sie meinen Doping.

Genau. Als Justin Gatlin vergangenes Jahr Sprint-Weltmeister wurde, habe ich noch nie ein so schockiertes Stadion gesehen. In der Leichtathletik wird niemand ausgebuht, aber den Schock hat man gespürt. Da gewinnt einer, der zuvor schon wegen Dopings gesperrt wurde. Ich habe früher gedacht, unter dem Dopingskandal wird eine ganze Generation leiden. Nun ist es allerdings schon die zweite oder dritte Generation, die noch immer damit belastet ist.

Wie reagieren Sie auf Leute, die Doping verharmlosen?

Doping darf nie normal werden. Ich bin wirklich für jeden Witz zu haben, aber bei Scherzen zum Thema Doping ist Schluss. Es darf nicht bagatellisiert werden. Doping ist und bleibt scheiße.

Glauben Sie trotzdem, dass es noch saubere Athleten geben wird?

Ich habe schon oft gesagt, dass ich für niemanden meine Hand ins Feuer legen würde. Aber ich glaube mittlerweile, dass so Typen wie Robert Harting sauber sind.

Was macht Sie da sicher?

Das, was er gesagt und auch getan hat. Persönliche Gespräche mit ihm. So sehr kann man die Leute nicht verarschen. Es ist ein Gefühl, dass ich ihm glaube. Ich kann zwar keinem verübeln, dass er zweifelt, aber mich macht das noch immer traurig. Doping macht einen so schönen Sport kaputt.