Papendal. Die Sprint-Weltmeisterin ist bei der EM in Berlin die Favoritin. Die Niederländerin spricht über ihre Ziele und Doping-Kontrollen

Dafne Schippers, eine der schnellsten Frauen der Welt, zweimalige Weltmeisterin, Olympia-Zweite und Europa-Rekordlerin über 200 Meter, kommt gemächlichen Schrittes zum Interview. Eigentlich waren wir erst für 15 Uhr verabredet im Sportzentrum Papendal bei Arnheim, wo sie sich auf die Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin vorbereitet hat. Doch die Doping-Kontrolleure kamen am Morgen zu Besuch, und weil der Test sich hinzog, stellte sie ihren Tagesplan um. So hat die 26-jährige Niederländerin schon früher Zeit, über Karrierepläne, ihren Ernährungs-Blog, die EM und das Thema Doping zu reden. Und über Hobbies.

Frau Schippers, wer in Ihrer Familie am schnellsten rennt, ist ja nicht schwer zu erraten. Aber wer ist der beste Kartenspieler?

Dafne Schippers: Haha, gute Frage, das haben wir noch nicht herausgefunden. Es stimmt, wir spielen gern, wann immer Zeit ist. Neuerdings vor allem Ligretto, da will jeder gewinnen. Und es gewinnt auch jeder mal.

Sie haben offenbar Ihre Familie gern um sich. Ihre Eltern begleiten Sie zu großen Wettkämpfen. Ihr Bruder ist Ihr Manager.

Schippers: Die Familie ist mir wirklich sehr wichtig, das sind die Menschen, die immer für mich da sind. Zu Hause bleibt zu Hause, egal, ob du noch ein Kind bist oder so alt wie ich jetzt. Das ist der Ort, wo ich am besten zur Ruhe komme.

Und mit Ihrer Schwester haben Sie einen Ernährungs-Blog, „Dafne likes“. Wie kam es dazu?

Schippers: Ich habe längere Zeit mit jemandem zusammengearbeitet, der ein Ernährungsprogramm für mich gemacht hat. Aber ich war nicht richtig zufrieden. Also habe ich selbst ein paar Bücher darüber gelesen, wie man sich gesund ernährt, was man vermeiden soll. Von den Ergebnissen habe ich Fotos und Rezepte bei Instagram gepostet und war überrascht, wie viele positive Reaktionen es gab. Die Leute hatten großes Interesse. Deshalb habe ich den Blog begonnen, es wurde mehr und mehr. Weil ich gar nicht so viel Zeit hatte, schlug meine Schwester vor, mir zu helfen. Inzwischen wurde sogar ein Buch daraus.

Verkauft es sich gut?

Schippers: Ja, ganz okay. Eine genaue Zahl kann ich Ihnen aber nicht sagen. Das war nicht der Beweggrund. Es macht mir einfach Spaß.

Wie populär sind Sie in den Niederlanden? Werden Sie auf der Straße angesprochen, um Autogramme gebeten?

Schippers: Ja, sehr oft. Zu Beginn meiner Karriere war das fremd für mich. Erst kannte mich niemand, dann wurde ich Weltmeisterin, und es ging gleich von null auf hundert. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.

Sind Sie so bekannt wie die Fußball-Stars? Wie die Eisschnellläufer oder Radprofis?

Schippers: Ich bin schon eine der bekanntesten Sport-Persönlichkeiten in den Niederlanden, sogar bekannter als die meisten Fußballspieler. Nahezu jeder hier kennt mich.

Welchen Sport verfolgen Sie neben Ihrem eigenen? Sind Sie Fan von Ajax Amsterdam?

Schippers: Nein, ich kenne ein paar Fußballer, aber ich verfolge das nicht intensiv. Ich sehe wirklich am liebsten bei der Leichtathletik zu. Oder bei Turnieren, egal welcher Sport. Nehmen wir eine Volleyball-WM: Dann schaue ich gern den niederländischen Teams zu.

Was bedeutet Ihnen Ihr Sport?

Schippers: In diesem Moment, ganz ehrlich? Da ist es nur harte Arbeit, ein sehr präzise durchorganisiertes Leben 24 Stunden am Tag. Du musst früh ins Bett gehen, diszipliniert essen, hart trainieren, bekommst Behandlungen. Und dazu die Wettkämpfe. Ich versuche, beim Drumherum Spaß zu haben, sehe mir gern die Städte an. Aber das Reisen macht auch müde, du musst dich erholen für die Wettkämpfe. Am Tag danach reist du heim, dann geht es mit Training weiter. So ist das Woche für Woche, monatelang. Im Sommer ist das Sportlerleben schon sehr hart.

Das klingt nicht gerade begeistert. Was ist ein glücklicher Tag für Sie?

Schippers: Wenn ich ein gutes Training hatte. Und natürlich ist es immer schön zu gewinnen. Aber besonders glücklich bin ich auch, wenn ich mich einen Tag zu Hause entspannen kann. Ich habe einen kleinen Hund, mit dem ich gern spazieren gehe. Manchmal ist es einfach wichtig für mich, meinen Fokus auf etwas anderes als die Leichtathletik zu richten.

Wie sieht Ihr Karriereplan aus? Eine olympische Goldmedaille 2020 in Tokio gewinnen und dann aufhören?

Schippers: Ich bin nicht sicher. Ich bin gerade 26 und könnte noch an zwei Olympischen Spielen teilnehmen. Jetzt konzentriere ich mich voll und ganz auf Tokio 2020, denn tatsächlich hoffe ich, dort die Goldmedaille zu gewinnen. Wenn das gelingt, wird die Entscheidung leichter, Jahr für Jahr zu entscheiden, ob ich weitermache oder nicht.

Olympiagold ist das große Ziel?

Schippers: Ja, natürlich, das ist die Medaille, die ich noch nicht habe. Aber ich kann nichts anderes tun, als mich auf mich zu konzentrieren und zu sehen, was dabei herauskommt.

Was wollen Sie in Berlin erreichen?

Schippers: Ich sehe Berlin als nächsten wichtigen Schritt nach Tokio für mich.

Wie schätzen Sie die deutschen Konkurrentinnen ein? Gina Lückenkemper, Tatjana Pinto?

Schippers: Die Deutschen haben eine sehr gute Staffel, eine ganze Reihe sehr schneller junger Frauen. Es wird spannend, mich mit ihnen zu messen. Und es gibt diese junge Britin Dina Asher-Smith, das wird eine echte Herausforderung, sie zu besiegen. Aber das ist doch gut, zu sehen, dass Europa in die Weltspitze hineinwächst.

Sie haben als Siebenkämpferin begonnen, waren als Juniorin bereits sehr erfolgreich und auch bei den Frauen, wo sie 2013 WM-Bronze gewonnen haben. Warum der Wechsel zum Sprint? Weil es dort höhere Gagen gibt?

Schippers: Ich hatte Probleme mit meinen Knien, das war der Hauptgrund. Seit ich 16 Jahre alt war, hatte ich eine Knieentzündung und immer Schmerzen, wenn ich einen Siebenkampf zu Ende bestreiten wollte. Ich konnte auch nicht Hochsprung trainieren, obwohl das nicht gerade meine beste Disziplin war. Deshalb habe ich keine Fortschritte mehr gemacht. Und andererseits hat sich mein Sprint ja ganz gut entwickelt. Der finanzielle Aspekt war und ist mir nicht wichtig.

In Berlin werden einige russische Leichtathleten, so wie schon bei der WM 2017, wieder ohne Flagge, ohne Hymne starten, als unabhängige Athleten. Ist das die richtige Entscheidung oder plädieren Sie dafür, nach dem erwiesenen Staatsdoping dort Russland komplett auszuschließen?

Schippers: Ganz ehrlich: Ich habe dazu keine feste Position. Ich verlasse mich darauf, dass die Menschen, die darüber entscheiden müssen wie Sebastian Coe (IAAF-Präsident, d.Red.) die richtige Entscheidung treffen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich in meinen Disziplinen nicht damit konfrontiert bin. Ich will mich nicht von solchen Dingen ablenken lassen, auch wenn ich weiß, dass es da große Probleme gibt, allerdings nicht nur in der Leichtathletik, sondern in verschiedenen Sportarten. Ich kann nur sagen, ich bin der größte Verfechter von sauberem Sport.

Das sehen anscheinend nicht alle so. Als Sie 2015 in Peking zum ersten Mal Weltmeisterin wurden über 200 Meter, in der Europarekord-Zeit von 21,63 Sekunden, wurden Sie sofort des Dopings verdächtigt.

Schippers: Das war sehr hart. Ich war so glücklich, es war so speziell, Weltmeisterin zu sein. Und das erste, was ich hörte, war: Das kannst du ohne Doping ja gar nicht geschafft haben. Das ist brutal, denn ich bin zu hundert Prozent sauber. Ich arbeite sehr, sehr hart für meinen Erfolg, ich investiere alles in meinen Sport, in mein Training und in mein Talent. Wenn du dann mit so einer Aussage konfrontiert wirst: Das killt dich einfach.

Sie wurden auch auf Ihre unreine Haut angesprochen. Das sei der Beweis, dass Sie Anabolika nähmen.

Schippers: Wenn Sie Fotos von mir sehen, als ich noch sehr jung war, hatte ich auch schon dieses Hautproblem. Und nicht nur ich, das ist in unserer Familie so. Das macht es für mich noch schlimmer. Es ist so einfach, Leuten einen Stempel aufzudrücken. Nach dem Motto: Sieh doch nur ihre Haut an, alles klar! Das könnten Sie dann sehr vielen Menschen unterstellen. Es ist übrigens für eine Frau in meinem Alter sowieso nicht angenehm, ein solches Hautproblem zu haben. Wenn ich es ändern könnte, würde ich es tun. Da gibt es keine Verbindung mit Doping.

Werden Sie oft kontrolliert? Wann zuletzt?

Schippers: Heute, deshalb habe ich meinen Trainingsplan umgestellt, weil ich nicht auf Anhieb eine Probe abliefern konnte. Ich werde oft kontrolliert, mindestens dreißig Mal im Jahr. Nach Peking 2015 im olympischen Jahr war es sogar mehr als fünfzig Mal. Aber es ist mir recht, wenn sie so oft kommen. Wenn sie andere Sprinter genau so oft kontrollieren...

... das geschieht aber nicht, zum Beispiel bei der starken Konkurrenz aus der Karibik und anderswo.

Schippers: (lacht) Ich weiß das nicht. Aber ich habe schon gehört, dass es da große Unterschiede geben soll, was die Art der Kontrollen und ihre Häufigkeit angeht. Wenn es wirklich so ist, finde ich das unfair. Es sollte überall gleich sein.

Man nennt Sie die Nachfolgerin der „Fliegenden Holländerin“ Fanny Blankers-Koen, die 1948 vier olympische Goldmedaillen gewonnen hat. Haben Sie sich deren Läufe mal angeschaut?

Schippers: Nein. Aber ich weiß einiges über sie. Das war damals eine ganz andere Zeit. Sie war als Mutter eine Pionierin, die den Frauensport in die Öffentlichkeit gerückt hat, der damals noch eine sehr kleine Rolle gespielt hat. Das finde ich großartig.

Es gibt in Hengelo eine Arena und ein Meeting, die nach Fanny Blankers-Koen benannt sind. Können Sie sich vorstellen, dass auch mal ein Stadion Ihren Namen trägt?

Schippers: Das hoffe ich. Warten wir’s mal ab.