Glasgow. Florian Wellbrock bescherte dem deutschen Team bei der EM die zweite Goldmedaille. Der 20-Jährige siegte über 1500 Meter Freistil.

Das Empfangskomitee war diesmal sehr viel kleiner als 22 Stunden zuvor, als eine 20-köpfige Delegation deutscher Trainer und Schwimmer ihre gemischte Freistilstaffel nach deren Goldlauf enthusiastisch empfangen hatte. Jetzt standen im Tollcross International Swimming Centre nur Chefbundestrainer Henning Lambertz und Freiwasserspezialist Rob Muffels in einer Ecke – und Sarah Köhler. Die 24-Jährige aus der Heidelberger Trainingsgruppe wartete sehnsüchtig auf Florian Wellbrock, der wenige Minuten zuvor über 1500 Meter mit einer sagenhaften Zeit Europameister geworden war.

Mit seiner Marke von 14:36,15 Minuten unterbot er den eigenen, schon sehr guten deutschen Rekord von Anfang April um viereinhalb Sekunden. Zum sechs Jahre alten Weltrekord des chinesischen Riesen Sun Yang fehlten Wellbrock nur fünf Sekunden. Sarah Köhler hatte also allen Grund, ihrem Freund mit beschwingten Schritten entgegenzulaufen und um den Hals zu fallen. Es folgte eine lange, innige Umarmung, ein Kuss auf den Mund – und dann sprach der 20-Jährige Goldjunge über das Rennen, das Chefcoach Lambertz wahlweise als „phänomenal“ oder „galaktisch“ bezeichnete.

Wellbrock spürte "Schmerzen wie noch nie"

Wellbrock selbst war da deutlich cooler. Mit tiefenentspannter Miene erzählte der gebürtige Bremer, wie er die ersten 1000 Meter („So weit das auf diesem Niveau geht“) kraftsparend geschwommen sei. Wie er sich, als keine Attacke seiner härtesten Widersacher Michailo Romantschuk aus der Ukraine und dem italienischen Olympiasieger Gregorio Paltrinieri erfolgte, ein Stück weit abgesetzt und den Vorsprung schließlich bis ins Ziel gebracht habe. Und wie er auf den letzten Metern „Schmerzen wie noch nie in meinem Leben“ gespürt habe.

„Bei so einem Event persönliche Bestzeit zu schwimmen – das zeigt, dass ich in den letzten Monaten alles richtig gemacht habe“, sagte der zähe Wassermann vom SC Magdeburg selbstbewusst und warnte die Konkurrenz über 800 Meter Kraul, die er in Glasgow noch schwimmen wird: „Das macht mich noch mal stärker. Aber die anderen auch – die haben jetzt Frust im Bauch, und ich hab‘ ein gutes Gefühl.“ Danach ging’s zur Siegerehrung, wo die deutsche Hymne in einer ungewohnt schnellen Version abgespielt wurde und der Hallensprecher feststellte, dass die Aussprache des Namens Wellbrock für einen Briten doch eine sehr angenehme Aufgabe ist.

Well done, lautete die DSV-Botschaft nach dem zweiten EM-Erfolg in Schottland. Und während zwischendurch Wellbrocks Mannschaftskollegen Franziska Hentke über 200 Meter Schmetterling und Philip Heintz über 200 Meter Lagen souverän als jeweils Halbfinalschnellste in den Showdown am Montag geschwommen waren – gefolgt von Christian Diener und Jan-Philip Glania (beide 100 Meter Rücken) sowie Isabel Gose (200 Meter Freistil) – verpasste die 4x200-Meter-Freistilstaffel zum Abschluss des Tages die erhoffte vierte Medaille.

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In der Besetzung mit Damian Wierling, Henning Mühlleitner, Poul Zellmann und Jacob Heidtmann schlug das deutsche Quartett als Vierte an, vier Sekunden hinter dem britischen Siegerteam. Der ersehnte Edelmetallzuwachs wurde also um einen Tag verschoben, vor allem in Richtung Hentke und Heintz. Den Samstagabend hatten die beiden Medaillenkandidaten gemeinsam verbracht – vor dem Fernseher im Teamhotel. Das Duo wollte frisch sein für die eigenen Vorläufe am nächsten Morgen. Deshalb das entspannte Nebeneinander vor der Flimmerkiste, beim völlig unerwarteten Triumph der Mixed-Staffel war es mit der Ruhe allerdings vorbei.

Positive Bewertung des EM-Starts von Trainer Lambertz

„Die Staffelleute haben einen überragenden Job gemacht – und so etwas überträgt sich auch“, betonte Heintz. Die Entscheidung des DSV, die harten Normen extra für die EM bei den Mannschaftswettbewerben aufzuweichen, um bei den umfangreichen TV-Übertragungen aus Glasgow möglichst an jedem Finaltag eine schwarz-rot-goldene Staffel präsentieren zu können, hat in diesem Fall schon mal gefruchtet. Ein wenig Imagepflege kann dem Verband, dessen Beckenschwimmer von den letzten beiden Olympia-Aufführungen in London und Rio mit jeweils null Medaillen heimkehrten, ja auch nicht schaden.

Die unerwartet schwache Leistung der gefühlten Goldkandidatin Sarah Köhler, die am Samstag über 800 Meter Freistil auf Rang vier anschlug, bezog Lambertz in seine positive Bewertung des EM-Starts bewusst mit ein. „Wir haben alle auf eine Medaille von ihr gehofft. Das hat leider nicht geklappt – aber direkt danach hat das Team gezeigt, dass wir eine Lücke schließen können. Und wir nicht wie früher sagen: Okay, das war jetzt nichts, dann gehen wir eben leer nach Hause“, erläuterte der 47-Jährige.

Ähnlich entschlossen griff auch Philip Heintz, rund um die WM im Vorjahr in Budapest einer von Lambertz‘ schärfsten Kritikern, zur frisch gefüllten Euphoriespritze. „Die Stimmung ist sehr entspannt. Ich weiß nicht, ob das mein Verdienst ist – Hauptsache, die Probleme sind gelöst“, erklärte der 27-jährige Heidelberger. „So macht es jedenfalls Spaß, zu schwimmen.“