Ganz Hamburg fiebert dem Saisonstart gegen Holstein Kiel entgegen. Tatsächlich beginnt an diesem Freitag die wichtigste Spielzeit der HSV-Historie – und das Ende scheint alternativlos: der Aufstieg

    Bernd Lauritzen war dabei, als der HSV am 31. August 1963 erstmals in Hamburg Bundesliga bieten konnte. 32.000 Zuschauer waren am zweiten Spieltag in den Volkspark gekommen, um das erste Heimspiel der Rothosen gegen den 1. FC Saarbrücken zu sehen. Und wie der Rest im Stadion verfolgte auch der Schleswig-Holsteiner aus Halstenbek-Krupunder zunächst mit Schrecken, wie ein Mann namens Dieter Krafczyk Saarbrücken schnell mit zwei Toren in Führung schoss. Und wie der HSV nach 90 begeisternden Minuten noch als 4:2-Sieger vom Platz ging. „Das Spiel hat mich gepackt. Seitdem habe ich kaum ein HSV-Spiel verpasst“, sagt Lauritzen, der auch 1980 beim historischen 5:1-Sieg gegen Real Madrid und beim Europapokaltriumph in Athen 1983 vor Ort war.

    Wenn der HSV an diesem Freitagabend (20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) erstmals in seiner langen Clubgeschichte gegen Holstein Kiel ein Zweitligaspiel bestreitet, wird Lauritzen nicht im Volkspark sein. Doch bevor man auf falsche Gedanken kommt, erklärt der 71-Jährige schnell, dass seine Abstinenz nichts mit dem ersten Abstieg der Clubgeschichte zu tun hat. „Selbstverständlich habe ich mir auch für diese Spielzeit eine Dauerkarte gekauft. Ausgerechnet jetzt bin ich allerdings gesundheitliche ein wenig angeschlagen. Aber ich werde die Partie im Fernsehen verfolgen“, sagt Lauritzen, der ein gutes Gefühl für den Saisonstart hat: „Seit langer Zeit habe ich erstmals den Eindruck, dass im Club sehr viel mehr richtig als falsch gemacht wird. Ich bin sehr optimistisch, dass uns der direkte Wiederaufstieg gelingen wird.“

    Lauritzen ist nicht der einzige Optimist in Hamburg. Mitte dieser Woche gab der HSV bekannt, dass der Club seit dem Abstieg 7500 neue Mitglieder gewinnen konnte. 84.237 Anhänger dürfen jetzt von sich behaupten, dass sie beim HSV mittendrin statt nur dabei sind. Es gibt 1017 offizielle Fanclubs, 25.000 Dauerkarten wurden an den Mann (und Frau) gebracht, und der Auftakt gegen Kiel ist seit Wochen ausverkauft.

    „Ich freue mich total auf das Spiel“, sagt Trainer Christian Titz am Tag vor dem Zweitligastart. Der Fußballlehrer sitzt entspannt auf dem Podium im ersten Stock des Volksparkstadions. Titz lächelt. „Die Euphorie ist super. Es werden ja gerade sämtliche Rekorde beim Kartenverkauf gebrochen.“ Titz gilt als einer der Hauptgründe, warum sich die Stimmung von zu Tode betrübt in himmelhoch jauchzend gewandelt hat. „Er ist der erste Trainer, der nicht nur langen Hafer praktizieren lässt“, sagt Lauritzen. „Unter Titz spielt der HSV so schönen Fußball wie lange nicht mehr.“

    Noch wichtiger ist, dass der HSV auch so erfolgreichen Fußball wie lange nicht mehr spielt. Denn bei aller Euphorie über die Zweite Liga wissen die Verantwortlichen auch, dass sich der Club nur eine Stippvisite im Fußball-Unterhaus erlauben kann. Mit Gehältern, die zusammengerechnet die 30 Millionen Euro überschreiten, gönnt sich der HSV trotz Kraftanstrengungen in der Zweiten Liga noch immer einen Erste-Liga-Kader. Pierre-Michel Lasogga, der gegen Kiel wohl nur auf der Ersatzbank Platz nehmen wird, dürfte mit einem Festgehalt von 3,4 Millionen Euro der am besten verdienende Fußballer aller Zeiten in der Zweiten Liga sein.

    Das Problem an der Sache: Eigentlich kann sich der seit Jahren finanziell angeschlagene Club diesen monetären Aufwand nicht leisten. Sollte der HSV aber am 19. Mai des nächsten Jahres in die Bundesliga zurückkehren, wird kaum jemand über zu hohe Ausgaben mosern. Der Ausflug in die Zweite Liga würde als einjähriger Betriebsunfall in die Annalen eingehen, und vielleicht würden ein paar siegreiche Spiele dem in den vergangenen Jahren zum Chaosclub mutierten Traditionsverein sogar guttun. Doch was, wenn das Projekt Wiederaufstieg nicht gelingt?

    Verein spart an allen Ecken, um den Kader zu finanzieren

    Laut aussprechen will das Worst-Case-Szenario beim HSV niemand. Doch zur schmerzhaften Post-Abstiegs-Wahrheit gehört eben auch, dass der direkte Wiederaufstieg im besten Merkel-Sinn alternativlos scheint. Ein zweites Jahr in der Zweiten Liga kann sich der HSV ganz einfach nicht erlauben.

    Schon jetzt gehen die Verantwortlichen all in, wie man beim Poker sagen würde. Damit kein Mitarbeiter der Geschäftsstelle entlassen werden muss und potenzielle Erstligaspieler wie Lewis Holtby, Aaron Hunt oder Fiete Arp auch in der Zweiten Liga an Bord bleiben, wurde an allen anderen Ecken und Enden gespart wie noch nie zuvor. Im Kleinen wie im Großen. Eine dringend benötigte Mixed-Zone-Aufhübschung für 90.000 Euro lehnte der Vorstand ab, auch das 300.000 Euro teure Clubmagazin „HSVLive“ steht auf dem Prüfstand. Das UKE bekommt in der Zweiten Liga 300.000 Euro weniger. Und sogar die Fußballer dürfen nicht mehr nach jedem Spiel ihr Trikot einfach so mit ihren Gegenspielern aus Sandhausen, Aue und Heidenheim tauschen. Jeder Profi erhält für jeden der drei Trikotsätze fünf Trikots, die er im Laufe des Jahres verschenken darf. Jedes weitere Jersey wird vom Gehalt abgezogen.

    Die Topverdiener Albin Ekdal und Filip Kostic sollen verkauft, ein Low-Budget-Abwehrspieler gekauft werden. Gegen Kiel dürften mit David Bates (21), Khaled Narey (24), Jairo Samperio (25) drei der fünf Neuzugänge in der Startelf stehen, von denen lediglich der Ex-Fürther Narey Ablöse (1,7 Millionen Euro) gekostet hat. „Die neuen Jungs bringen frischen Wind rein“, sagt Lauritzen, der bei der Generalprobe am vergangenen Sonnabend gegen AS Monaco im Stadion dabei war. 3:1 hatte der HSV den französischen Vizemeister besiegt und die Jubel-Trubel-Heiterkeits-Stimmung noch einmal zusätzlich angeheizt. Die immer treuen Anhänger dankten es auf ihre Art und Weise. Den Stadionevergreen „Sechsmal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger, immer Erste Liga. HSV“, dichteten sie kurzerhand um: „Sechsmal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger, ein Jahr Zweite Liga. HSV.“