Hamburg. Nach den schweren Verletzungen von Jung und Papadopoulos muss Neuzugang David Bates schneller als geplant Verantwortung übernehmen – auch bei der Saisoneröffnung gegen AS Monaco. Das Porträt eines etwas anderen Karrieristen

    Wenn HSV-Neuzugang David Bates durch die Tür kommt, dann ertappt man sich selbst bei dem Gedanken: Schotte! 1,93 Meter groß, die Schultern breit, die Haare feuerrot. Und wenn dieser Bates auch noch anfängt, ein ex­trem schwer verständliches Englisch zu sprechen, dann ist endgültig alles klar: Scotsman! „Ich spreche langsam“, verspricht Bates, der seine guten Vorsätze allerdings genauso schnell vergisst, wie er im Rest des Gesprächs spricht. Irgendwann gewöhnt man sich aber an dieses schottisch-englische Sprachwirrwarr, was gut ist, weil dieser Bates nicht nur schnell redet. Sondern vor allem, weil er auch viel zu sagen hat.

    Wenn der HSV an diesem Sonnabend im Rahmen des Volksparkfests mit dem anschließenden Spiel gegen den AS Monaco seine Neuzugänge den Fans präsentiert (ab 14 Uhr), dann gilt vor allem David Bates als die große Unbekannte unter den Neuen. „David ist ein Spieler, der unter dem Radar lief“, sagt Kaderplaner Johannes Spors. Und Trainer Christian Titz gibt ganz offen zu: „David kommt ja eher aus der Kick-and-Rush-Dynastie. So einen Transfer wie den machen wir eigentlich nicht.“

    Haben sie aber doch. Zum Glück. Denn nachdem Gideon Jung und Kyriakos Papadopoulos jeweils mit Knorpelschaden im Knie für ein halbes Jahr ausfallen, ist der ursprünglich als Innenverteidiger Nummer vier eingeplante Bates plötzlich in der ersten Elf gesetzt. „Wir haben schnell gemerkt, dass David einen unglaublichen Willen hat, sich weiterzuentwickeln“, lobt Trainer Titz. „Er hat die Aggressivität und das gute Zweikampfverhalten, will sich aber auch fußballerisch unbedingt verbessern.“

    Wer noch besser verstehen will, warum der HSV Bates als Investition in die Zukunft sieht, der muss zunächst einmal in die Vergangenheit schauen. Ziemlich genau fünf Jahre ist es her, als der junge Schotte den ersten Vertrag seines Lebens unterschrieb. Eine „Apprentice­ship“, eine Lehre. „Ich war 16 Jahre alt, als ich bei Raith Rovers unterschrieben habe“, sagt Bates, der versichert, auch das Kleingedruckte gelesen zu haben. Denn neben dem Gehalt (100 Pfund die Woche) ist in diesem Vertrag vor allem geregelt, dass man zwei Jahre lang die Schuhe der älteren Spieler putzt, das Stadion sauber hält und manch eine Arbeit verrichtet, die man hierzulande auch als „Kinderarbeit“ bezeichnen könnte. „Das war schon in Ordnung“, relativiert Bates. „Es war eine verdammt gute Schule fürs Leben.“

    Eine Schule für den Fußball, oder besser: eines dieser Fußballinternate, hat Bates dagegen nie von innen gesehen. Das ist vor allem deshalb ungewöhnlich, weil angehende Fußballprofis heutzutage spätestens ab dem 15. Lebensjahr in irgendeinem Nachwuchsleistungszentrum gezüchtet werden. „David hat genau wie ich über den zweiten Bildungsweg Fußballkarriere gemacht“, sagt Trainer Titz anerkennend. „Das merkt man dem Jungen auch an. Man hat einen ganz klaren Kopf, weiß, dass es am Anfang schwierig sein könnte, aber man steigert sich dann da rein.“

    Bates weiß, wovon Titz spricht. „Am ersten Trainingstag hier in Hamburg habe ich mich ein bisschen verloren gefühlt. Ich habe die ganzen Übungen vom Trainer gar nicht verstanden. Aber in den Wochen darauf habe ich mich schnell an alles gewöhnt. Ich musste eben erst einmal lernen, welchen Fußball der Trainer bevorzugt.“

    Und Bates lernte schnell. Erst mit 14 Jahren schulte der frühere Sturmhüne zum Abwehrmann um. Zwei Jahre später lieh Zweitligist Raith Rovers den Teenager zum Viertligisten FC East Stirlingshire aus. Dienstags und donnerstags Training, am Wochenende Spiel. „Fußball wurde nicht viel gespielt, aber es war sehr physisch“, sagt Bates.

    Zurück bei den Raith Rovers wurde der Youngster direkt wieder verliehen. Diesmal an Brechin City, dritte schottische Liga. 7431 Einwohner, ein kleines Dorf irgendwo an der Fernstraße A 90, die Edinburgh mit Thurso verbindet. „Ich denke schon, dass ich einen etwas ungewöhnlichen Karriereweg für die heutige Zeit hatte. Aber gerade meine Leih-Transfers in die dritte und vierte schottische Liga haben mich darin bestärkt, es unbedingt als Fußballprofi zu schaffen“, sagt Bates. Dabei war professioneller Fußball in Brechin weit weg.

    Beim HSV ist der professionelle Fußball direkt vor der Haustür. In der Alexander-Otto-Akademie im Campus gibt es 16 Zimmer für Toptalente, von denen aktuell 13 belegt sind. Neben den Trainern und Physiotherapeuten kümmerns sich Pädagogen, Fahrer und Köche um das Wohl der kommenden Stars. In dieser Saison haben es insgesamt 14 Talente aus dem eigenen Nachwuchs in den vorläufigen Profikader geschafft. Und eben Quereinsteiger Bates.

    „Als man mir vom Interesse aus Hamburg erzählt hat, musste ich nicht eine Sekunde nachdenken“, sagt Bates, der zuvor schon den Sprung von den Raith Rovers zu den Glasgow Rangers geschafft hatte. „Der HSV ist ein riesiger Club in Deutschland“, schwärmt er. Auf Englisch: „A massive club.“

    Spors lächelt. „Bates ist mir in meiner täglichen Recherche aufgefallen, weil er als sehr junger Spieler in einem sehr wichtigen Spiel für die Glasgow Rangers gegen Celtic Glasgow reinkam und eine sehr positive Resonanz erhalten hat. Sowohl bei den Daten als auch in der öffentlichen Kritik.“ Spors ist der Mann, der den Zufall beim HSV minimieren soll. Und der nun vom Zufall Bates berichtet: „Bates war eine Auffälligkeit.“ Er sei dann schnell nach Glasgow geflogen, habe sich Bates live angeschaut und ihn persönlich getroffen. „Ich habe sehr viel und sehr oft mit Johannes Spors gesprochen. Mir war klar, dass ich den Schritt machen musste“, sagt Bates. „Ich bin keiner, der gerne in der Komfortzone bleibt.“

    Seine Komfortzone ist nun in knapp zwei Flugstunden zu erreichen. Beinahe täglich fliegt ein Billigflieger von Hamburg nach Edinburgh, was gerade mal 30 Kilometer von seinem Zuhause in Dunfermline entfernt ist. „Ich bin ganz normal aufgewachsen. Familie war mir immer wichtig. Deswegen ist es nicht ganz einfach für mich, so weit von meiner Familie entfernt zu leben“, sagt Bates. „Aber sie kommen oft zu Besuch.“

    Am kommenden Freitag zum Beispiel. Beim Saisonauftakt gegen Holstein Kiel. Und auch für das Lokalderby gegen den FC St. Pauli musste Bates bereits Familienkarten organisieren.

    Sein Debüt im Volkspark feiert er aber schon an diesem Sonnabend (16 Uhr) gegen Monaco. „Ein Traum wird wahr“, sagt der Schotte. Oder ein kleines Fußballmärchen, sagen andere.