Hamburg. Sandra Schwedler, Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli, spricht über das Ziel, weiter ohne externen Investor im Profifußball mitzuhalten

    Seit Ende 2014 ist ­Sandra Schwedler (38) Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli. In der Öffentlichkeit äußert sie sich – im Gegensatz zu Amtskollegen anderer Clubs – fast nie zur Vereinspolitik. Jetzt gab sie dem Abendblatt ein ausführliches Interview. Darin spricht sie über den Spagat zwischen Kommerz und Fannähe, Auswüchse im internationalen Fußballgeschäft und die nächsten Wahlen.

    Frau Schwedler, wie bewerten Sie Ihre bisherige Amtszeit, die im Dezember vorerst zu Ende geht?

    Sandra Schwedler: Es war und ist eine spannende und lehrreiche Zeit. Wir sind gestartet, als die Profis auf Tabellenplatz 17 standen. Fünf von sieben Aufsichtsratsmitgliedern waren neu, auch das komplette Präsidium war mit fünf Leuten neu besetzt. Wir mussten uns als Gremium finden und die Zusammenarbeit mit dem Präsidium kennenlernen. Wir haben das aber gut gemeistert. Wir haben in der Zeit auch viele neue Wege der Zusammenarbeit etabliert, um den Verein besser zu machen.

    Was für neue Wege waren das konkret?

    Es geht darum, wie frühzeitig der Aufsichtsrat in Initiativen und Entscheidungen des Präsidiums eingebunden wird. Erhält der Aufsichtsrat erst, wenn alles fertig ist, eine Entscheidungsvorlage, sagt dann Ja oder Nein und beendet mit einem Schlag vielleicht eine Arbeit von drei Monaten? Wir haben uns entschieden, dass der Aufsichtsrat früh mit in die Entwicklung und Entscheidungsfindung hineingeht. In einem partnerschaftlichen Verhältnis wollen wir Projekte eng begleiten und beraten, um am Ende auch besser entscheiden zu können.

    Wie sehr berührt es Ihre Arbeit, wenn Sie sich immer wieder mit dem Abstieg in die Dritte Liga beschäftigen müssen?

    Natürlich machen wir uns da Gedanken, auch wenn die sportliche Leitung nicht in unseren Aufgabenbereich fällt. Wir kontrollieren und begleiten das Präsidium. Wir haben aber im Aufsichtsrat mehr über die Dritte Liga und die finanziellen Gesichtspunkte geredet als über andere Themen oder gar die Erste Liga. Aber das Szenario ist ja nicht eingetreten. Das mag auch ein Verdienst der Ruhe gewesen sein, die wir bewahrt haben. Wir haben nicht aktionistisch gehandelt, sind nicht über jeden Stock gesprungen, den man uns hingehalten hat.

    Das große Ziel der Vereinsführung ist die Eigenständigkeit. Das Merchandising ist mit finanziellem Aufwand zurück in den Verein geholt worden, jetzt soll die Eigenvermarktung folgen, wobei die Trennung von der Agentur U! Sports auch einiges kosten wird. Ist das Ziel der Eigenständigkeit es wert, eine Millionensumme zu investieren und diese beim Profiteam zu sparen?

    Es gibt hier kein Entweder-oder, es ist ein Sowohl-als-auch. Wir haben ja unserem Sportchef Uwe Stöver nicht gesagt, „du hast x Millionen Euro weniger zur Verfügung, weil wir jetzt Eigenvermarktung machen“. Das Projekt der Eigenvermarktung muss sich selbst finanzieren. Es darf keine Gelder aus dem sportlichen Bereich kosten. Das wäre hirnrissig und zu kurzfristig gedacht.

    Wie schwierig ist grundsätzlich der vom Verein versuchte Spagat zwischen Kommerz und Fannähe, ohne dabei unglaubwürdig zu werden?

    Ich weiß nicht, ob das so schwierig ist. Manchmal muss man alte Denkmuster durchbrechen. Wir wollen erfolgreich professionellen Fußball spielen. Dafür braucht man Geld. Wir möchten aber unseren Stadionnamen nicht verkaufen und bestimmte andere Dinge nicht tun, zum Beispiel möchten wir keinen Investor haben, der Anteile von uns kauft. Wir möchten Sponsoren als Partner haben. Wir müssen anders denken und neue Wege gehen, um neue Geldquellen zu finden, die zu uns passen.

    Präsidium und Aufsichtsrat entstammen in der Mehrheit St. Paulis Fanszene. Wenn es dennoch Diskussionen zwischen beiden Gremien gibt, worum geht es dann meistens?

    Wir diskutieren sogar häufig und leidenschaftlich, aber nie um sportliche Entscheidungen wie die Kaderplanung, weil das außerhalb der Aufgaben des Aufsichtsrats liegt. Das heißt aber nicht, dass wir dort Entscheidungen uns nicht erklären lassen oder auch mal hinterfragen. Unsere Diskussionsthemen sind die vielen Pläne, die wir alle haben, und die Frage, in welches Projekt wir als Nächstes Energie hineinstecken. Aber es gibt nicht den einen Streitpunkt, über den wir immer wieder aneinandergeraten.

    Als langjähriger Fan haben Sie doch eine kompetente Meinung zum Sportlichen.

    Natürlich habe ich die – genauso wie alle anderen, die regelmäßig ins Stadion gehen. Diese Meinung äußere ich aber als Fan, als Privatperson, nicht als Aufsichtsratsvorsitzende. Ich gebe zu, dass es nicht immer leicht ist, das zu trennen.

    Nach unseren Informationen gab es jetzt den Vorstoß aus dem Präsidium, für die anstehende Saison etwas mehr ins Risiko zu gehen und rund zwei Millionen Euro mehr als zunächst geplant ins Profiteam zu investieren, um es gezielt verstärken zu können. Der Aufsichtsrat soll dies abgelehnt haben.

    Es gibt im Moment keine offizielle Ablehnung von irgendwelchen beantragten Etaterhöhungen. Grundsätzlich können wir in ein kalkuliertes Risiko gehen. Aber es geht immer darum, wie eine zusätzliche Investition refinanziert wird.

    Gibt es in der aktuellen Gemengelage des Profifußballs eine Chance für St. Pauli, eine größere Rolle als jetzt spielen zu können?

    Es ist ja unser großes Ziel zu beweisen, dass eine andere Art Profifußball möglich ist, dass man nicht unbedingt auf Investoren zurückgreifen muss. Wir glauben an den Vereinsgedanken und die gesellschaftliche Verantwortung, die ein Verein mit sich bringt. Wir glauben auch daran, dass wir keine Kapitalgesellschaft sein müssen, um Profifußball zu spielen. Nicht nur der Profibereich und das Nachwuchsleistungszentrum, sondern auch die sporttreibenden Abteilungen, die Fans, die Mitglieder, der Stadtteil und die Mitarbeiter – all das macht den FC St. Pauli aus. Es würde bei uns nicht funktionieren, wenn ein Investor die Mehrheit hätte und bestimmen könnte. Bereits heute ist es erschreckend zu sehen, wie viel Geld schon in unterklassige Vereine wie etwa Uerdingen und 1860 München gesteckt wird und wurde, ohne dass die 50+1-Regel offiziell gefallen ist. Wir wissen, dass von unten einiges kommt. Wir müssen, wie gesagt, neue Wege gehen, um uns langfristig abzusichern. Dabei kommt uns entgegen, dass wir auch dank des vorherigen Präsidiums auf wirtschaftlich sehr gesunden Beinen stehen. So können wir etwa die Fananleihe problemlos zurückzahlen.

    Wie sehen Sie die internationale Entwicklung im Fußball, beispielsweise die explosionsartige Steigerung von Ablösesummen?

    Die ungleiche Verteilung der Gelder auf internationaler Ebene, zum Beispiel in der Champions League, setzt sich bei uns in den Profiligen fort. Wir versuchen ja, mit einzelnen Initiativen dagegen etwas zu machen. Aber das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich sehe es extrem kritisch, wenn die Clubs der englischen Liga Kapitalgesellschaften sind, die ihren Sitz nicht mehr in England, sondern in Steueroasen wie Delaware oder Cayman Islands haben. Das ist total irre. Fußball kann so viel an gesellschaftlicher Verantwortung übernehmen. Aber das wird nicht mehr funktionieren, wenn alle Clubs Kapitalgesellschaften sind und die Investoren an solchen Themen kein oder wenig Interesse haben, weil es keine Rendite bringt.

    Im Dezember wird der Aufsichtsrat neu gewählt. Werden Sie wieder antreten?

    Es sind ja noch ein paar Monate hin. Aber wenn jetzt Wahlen wären, würde ich wieder kandidieren.