Hamburg. Weltmeister von 2014 äußert sich zum Treffen mit Erdogan, kritisiert den DFB, Präsident Grindel, Sponsor Mercedes und seine Schule

    Das Schweigen hatte zwei Monate lang gedauert. Als Mesut Özil es beendete, blieb vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und seiner Führung nicht wesentlich mehr als eine Ruine übrig. Der Mittelfeldspieler mit den türkischen Wurzeln, der im Mai wegen eines gemeinsamen Fotos mit dem umstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in die Kritik geraten war, zog am Sonntagabend die Konsequenzen aus den vergangenen Wochen. Der 29-Jährige gab im Internet über seine Social-Media-Plattformen seinen Rücktritt bekannt – und begründete diesen Schritt mit dem Umgang durch DFB-Präsident Reinhard Grindel.

    „Die Art und Weise, wie ich vom DFB und vielen anderen behandelt wurde, führt dazu, dass ich nicht weiter das Trikot der Nationalmannschaft tragen möchte. Ich fühle mich ungewollt und habe das Gefühl, dass alles, was ich seit meinem Debüt 2009 erreicht habe, vergessen ist“, schrieb Özil im letzten von drei Teilen, die er zwischen 12.53 Uhr und 20.03 Uhr absetzen ließ.

    Eine Trilogie der Enttäuschung. Eine Abrechnung. Mit Sponsoren, Medien, mit dem DFB, sogar mit der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, die er als Jugendlicher besuchte, in der er plötzlich aber nicht mehr gern gesehen war. Aber vor allem rechnete er mit Grindel ab. „Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, solange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre“, schrieb er und ging Grindel frontal an: „Ich will nicht länger als Sündenbock für seine Inkompetenz und Unfähigkeit stehen, seinen Job ordentlich zu machen. Ich weiß, dass er mich aus dem Team haben wollte nach dem Foto.“

    Allein Bundestrainer Joachim Löw und Nationalmannschafts­direktor Oliver Bierhoff hätten Özil in der Zeit zur Seite gestanden. „In den Augen von Grindel und seinen Anhängern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen. Aber ich werde als Einwanderer wahrgenommen, wenn wir verlieren. Obwohl ich in Deutschland meine Steuern zahle, deutsche Schulen unterstütze und mit Deutschland 2014 Weltmeister geworden bin, bin ich offenbar kein vollwertig akzeptiertes Mitglied dieser Gesellschaft. Ich werde als andersartig behandelt.“

    Ein Vorwurf, der den Verband hart trifft, weil er stets und immer damit wirbt, multikulturell zu sein und für eine gelungene Integration zu stehen. „Gibt es Kriterien, um als Deutscher wahrgenommen zu werden, die ich nicht erfülle?“, fragt Özil, geboren in Gelsenkirchen, zur Schule gegangen in Gelsenkirchen. Warum habe es bei den Weggefährten Lukas Podolski und Miroslav Klose, beide geboren in Polen, nie Zweifel an ihrer Identifikation gegeben? „Liegt es an der Türkei? Liegt es daran, dass ich Muslim bin?“

    Härtere Geschütze konnte Özil kaum auffahren. „An Sie gerichtet, Herr Grindel: Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht von Ihren Handlungen“, schrieb Özil weiter und verwies auf Grindels politische Tätigkeit in der Vergangenheit. Darauf, dass er 2004 als CDU-Mitglied des Parlaments Multikulturismus als Mythos und Lüge bezeichnet habe, dass er gegen die doppelte Staatsbürgerschaft votiert habe, dass er die islamische Kultur als bereits zu weit ausgebreitet in deutschen Städten bezeichnet habe.

    „Menschen mit diskriminierendem Gedankengut sollten nicht im größten Sportverband der Welt arbeiten dürfen“, schrieb Özil, der auch von zahlreichen anderen Anfeindungen berichtete wie der Auseinandersetzung mit einem Fan nach dem WM-Vorrundenspiel in Sotschi gegen Schweden (2:1). „Özil, verpiss dich du sch...ß Türkensau“, habe der Mann gerufen. All das stehe für ein Deutschland der Vergangenheit, „ein Deutschland, auf das ich nicht stolz bin“.

    Medial sah sich Özil einer Kampagne ausgesetzt. „Diverse deutsche Zeitungen“, schrieb er, nutzen meinen Hintergrund „als rechte Propaganda“. Das Foto bereut Özil nicht. Erdogan kenne er seit vielen Jahren, es gibt viele Fotos von den beiden. Es sei dabei „nicht um Politik oder um Wahlen“ gegangen, „sondern darum, das höchste Amt des Landes meiner Familie zu respektieren. Was auch immer das Ergebnis der letzten Wahlen gewesen wäre oder der Wahlen davor, ich hätte das Bild trotzdem gemacht.“

    Partner und Sponsoren seien von ihm abgerückt. Özil nennt Mercedes nicht direkt beim Namen, konkretisiert aber so, dass keine Zweifel bleiben. Er sei aus der Kampagne genommen worden, weil das Unternehmen nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden wollte. „Ironisch“ nennt Özil das, weil es sich um jene Firma handele, die „unautorisierte Software“ gebrauche, „die das Risiko für den Kunden und die Umwelt erhöhe. Während ich kritisiert und vom DFB aufgefordert wurde, meine Handlungen zu erklären, gab es keine offizielle und öffentliche Aufforderung an den DFB-Sponsor. Was sagt der DFB zu alldem?“

    Bis zum Sonntagabend: nichts. Aber eine Replik wird folgen.

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