Nürnberg. Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften Jetzt mit bis zu 130 Teilnehmern zur EM im August in Berlin

    Das fehlte gerade noch. Am Sonnabend kurz vor Mitternacht erreichte Idriss Gonschinska die Nachricht, Christina Schwanitz habe einen Auto­unfall gehabt. „Das war für uns alle ein Schock“, gab der Leitende Direktor Sport des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) zu. Die Kugelstoßerin ist nicht nur eine der beliebtesten deutschen Sportlerinnen, sondern auch eine der größten Gold-Hoffnungen für die Europameisterschaften vom 7. bis zum 12. August in Berlin. Darum herrschte riesige Erleichterung, als die 32-Jährige am nächsten Morgen Entwarnung gab: „Nur ein paar Prellungen und Schleudertrauma.“

    Es passte irgendwie zu diesen deutschen Meisterschaften, bei denen die Gastgeber Schwung aufnehmen wollten für die kontinentalen Wettkämpfe in zwei Wochen. In Nürnberg wurde ungewöhnlich viel Drama geboten. Der Diskus-Krimi um den 33-jährigen Robert Harting etwa, der im entscheidenden Wettkampf noch einmal die jüngere Konkurrenz in Schach hielt und als Dritter mit 63,92 Metern einen der drei EM-Plätze ergatterte. Sieger war sein Bruder Christoph mit sehr starken 66,98 Metern. Am Sonntag sank die Stimmung in der Familie dagegen wieder, denn Roberts Ehefrau Julia wird in ihrer Heimatstadt nicht dabei sein, sie verpasste die EM als Fünfte im Diskus-Wettbewerb der Frauen. Oder die Disqualifikation von Hürden-Europameisterin Cindy Roleder im Vorlauf: Pamela Dutkiewicz nutzte den Freiraum zu ihrem zweiten Titelgewinn in Folge in der europä­ischen Topzeit von 12,69 Sekunden.

    Während die neue Stabhochsprung-Meisterin Jacqueline Ovtchere (4,45 Meter) bei ihrem letzten Versuch so unglücklich landete, dass sie aus der Arena geführt werden musste, kehrte Speerwurf-Weltmeister Johannes Vetter nach seiner Oberschenkelverletzung zurück. Von seiner WM-Form ist er nach seinen Oberschenkelproblemen nur noch eine Kleinigkeit entfernt, wurde Dritter mit starken 87,83 Metern. Er hatte sogar im Vorfeld gesagt: „Wenn die EM nicht in Berlin wäre, würde ich meine Saison beenden.“ Jetzt ist er wieder sehr optimistisch. Und zum Glück gibt es ja auch mit Olympiasieger Thomas Röhler und Andreas Hofmann zwei weitere 90-Meter-Werfer. Hofmann wurde mit 89,55 Metern erstmals Meister vor Röhler (88,09) und ist jetzt auch in Berlin Favorit.

    Dort werden rund 1600 Athleten am Start sein. Gonschinska hat angekündigt, dass bis zu 130 davon Deutsche sein werden. Es wird das größte DLV-Aufgebot bei einer EM aller Zeiten. „Wir wollen möglichst vielen die Gelegenheit geben, sich vor dem eigenen Publikum zu präsentieren“, sagt DLV-Präsident Jürgen Kessing, „und dann möglichst Topleistungen zu bringen, viele Finalplatzierungen, viele Medaillen.“ So viele wie vor zwei Jahren in Amsterdam? Dort waren es 16, davon fünf goldene. „Das wünscht man sich, aber das kann man im Sport nicht verordnen. Wir haben jedenfalls einige sehr hoffnungsvolle junge Typen, die in ihrer Entwicklung noch am Anfang stehen.“

    Der Dreispringer Max Heß, in Amsterdam noch überraschend Europameister, macht derzeit nicht den Eindruck, als könne er erneut zu Medaillengewinnen beitragen. Er gab am Sonntag wegen einer leichten Verletzung nach vier Versuchen auf – als Fünfter, mit der für ihn schwachen Weite von 15,72 Metern, eineinhalb Meter unter seiner Bestweite. Einer der jungen neuen Typen könnte dagegen Kevin Kranz werden. Die Siegeszeit von 10,25 Sekunden über 100 Meter war bei den schlechten äußeren Bedingungen gut, vor allem, weil er sie im Finale zeigte.

    Als wollte sie zeigen, dass sie wieder ganz die Alte ist, bestritt Gesa Krause ihr einsames Rennen, lief von der ersten Runde an nur gegen die Uhr. Sie gewann unangefochten in 9:34,60 Minuten. „Ich bin sehr glücklich über diesen vierten Meistertitel, aber die Zeit ist noch nicht zufriedenstellend“, sagte sie trotz Saisonbestleistung gegen Ende einer komplizierten Saison. Vergangenes Jahr ist sie noch fast 23 Sekunden schneller gelaufen. „Ich träume davon, in Berlin meinen Titel zu verteidigen, da habe ich noch viel Arbeit vor mir.“ Das gilt ebenso für die monatelang verletzte Konstanze Klosterhalfen, die sich bei ihrem Comeback allerdings über 1500 Meter in 4:06,34 Sekunden den Titel knapp vor Diana Sujew erkämpfte.

    Die größte Gold-Anwärterin ist allerdings neben den Speerwerfern immer noch Christina Schwanitz. Sie soll heute noch einmal medizinisch untersucht werden. Das hat ihr der DLV verordnet. Weitere Ausfälle kämen so kurz vor der EM zur Unzeit.