Aachen. Der Bundestrainer spricht vor dem CHIO in Aachen über die Herausforderungen für die deutschen Springreiter und seine Arbeit.

Das Jahr begann für Otto Becker (59) mit einem tierischen Todesfall: Sein Erfolgspferd Dobel’s Cento starb mit fast 29 Jahren. „Zu ihm hatte ich ein ganz besonderes Verhältnis“, sagt der Bundestrainer der Springreiter vor dem Auftakt des CHIO in Aachen, des größten Reitturniers der Welt.

Hat das Verhältnis zu seinem Pferd Einfluss auf die Leistung, Herr Becker?

Otto Becker: Wenn es um Erfolg geht, ist gegenseitiges Vertrauen zwingend notwendig. Dann muss man eine Beziehung haben. Gerade in Momenten wie beim CHIO, wenn das Stadion voll ist, wenn das Flutlicht angeht, muss der Reiter immer wissen, wie das Pferd reagiert. Und das weiß man, wenn man lange zusammen ist. Es gab nichts Schöneres, als mit Cento in Aachen einzureiten. Er war sehr stämmig, aber feinfühlig wie ein Vollblüter. Er hat einfach gespürt, wann es wichtig war.

Im deutschen Reitsport bleiben die konstanten Top-Ergebnisse derzeit aus...

Becker: Wir haben verstärkt auf jüngere Leute gesetzt. Reitern wie Laura Klaphake und Maurice Tebbel gehört die Zukunft. Aber natürlich fehlen ihnen noch Konstanz und Erfahrung. Auch waren einige Pferde zuletzt verletzt. Leider können wir auf Paare, die 2016 bei Olympia in Rio erfolgreich waren, nicht mehr zurückgreifen. Ludger Beerbaum hat seine Karriere in der Mannschaft beendet, Meredith Michaels-Beerbaum hat ihr Pferd nach dem Verkauf nicht mehr, Marco Kutscher fehlt auch sein Top-Pferd. Christian Ahlmann und Daniel Deußer unterschreiben die Athletenvereinbarung nicht.

Haben Sie Verständnis dafür?

Becker: In gewissem Maße, ja. Das Vertrauen der beiden in unseren Verband ist belastet. Ich bin natürlich nicht glücklich, dass zwei der Besten nicht dabei sind.

Stoßen Sie da an Ihre Grenzen?

Becker: Ja. Zumal ich mit beiden ein sehr gutes Verhältnis habe. Aber ich verliere nicht die Hoffnung, dass sie nächstes Jahr zur Olympia-Qualifikation wieder zur Verfügung stehen. Irgendwann ist es an der Zeit, dass sie einen Schlussstrich ziehen und wir wieder Erfolge feiern.

Kann man die Arbeit des Springreit-Bundestrainers mit der des Bundestrainers im Fußball vergleichen?

Becker: Es gibt viele parallele Themen, ein gutes Team und eine gute Stimmung sind wichtig. Auch bei uns gibt ja eine Konkurrenzsituation, aber wenn dann nominiert ist, muss ein Strich gemacht werden. Man muss sich einmal zusammensetzen, alles auf den Tisch packen und bereinigen. Vielleicht ist es manchmal sogar ganz gut, wenn richtig Feuer unterm Dach ist. Gewitter reinigen die Luft. Danach müssen wieder alle für ein gemeinsames Ziel kämpfen.

Der Unterschied zu Fußballern ist ja: Sie haben es mit Erwachsenen zu tun.

Becker: Ja, das ist so. Die meisten haben einen Stall, einen eigenen Betrieb. Sie sind eigene Charaktere, die ihre Meinung haben und viel erlebt haben.

Wie sehen Ihre Aufgaben konkret aus?

Becker: Man ist schon 24 Stunden im Einsatz. Aber mir macht das nichts aus – ich bin in der elterlichen Gaststätte groß geworden, da gab es auch kein Wochenende. Im Jahr bin ich an 40 Wochenenden unterwegs, meine Arbeit findet größtenteils auf Turnieren statt um zu sehen, wie mit den Pferden gearbeitet wird

Worauf schauen Sie vor allem?

Becker: Auf alles. Man merkt schnell, dass die Pferde, die ein Reiter hat, oft ähnlich springen. Jeder Reiter hat einen gewissen Stil. Der eine ist ein bisschen feiner, der andere kämpft mehr. Natürlich sind die Pferde alle unterschiedlich – ein guter Reiter geht auf sie ein.

Ihre größten Herausforderungen?

Becker: Dass der Reitsport noch globaler geworden ist. Es gibt an einem Wochenende zwei, drei Top-Turniere. Da den Überblick zu behalten, wird immer schwieriger. Dadurch wird die Saisonplanung auch für die Reiter immer schwieriger. Es gibt weltweit immer mehr Reiter auf allerhöchstem Niveau.

Wann wurde Ihnen das bewusst?

Becker: Während der WM 2006 in Aachen ritten auf einmal ein Ukrainer null Fehler, ein Japaner null, einer aus Saudi-Arabien null. Den reiterlichen Vorsprung haben wir verloren. Weltweit kaufen Reiter Top-Pferde, lassen sich ausbilden – von vielen Deutschen und anderen Europäern übrigens. Top-Reiter haben wir. Nur die Top-Pferde fehlen. Doch wir wollen in Ruhe arbeiten, gute Reiter und gute Pferde ausbilden und uns auf die Höhepunkte konzentrieren. (pg/meme)