Bad Erlach. Die HSV-Freunde Lewis Holtby und Christoph Moritz sind sich in ihrem Leben häufig begegnet. Im Interview sprechen sie über ihre wichtigsten Fußballlehrer

    Jeden Morgen fahren Lewis Holtby und Christoph Moritz während des Trainingslagers gemeinsam mit dem Fahrrad zum Sportplatz. Die Kumpels vom Mittelrhein kennen sich seit zwölf Jahren. Zusammen spielten sie in der Jugend von Alemannia Aachen, bei Schalke 04 und in der deutschen U 21. Sie machten gemeinsam Individualtraining bei Christian Titz und sind jetzt wiedervereint beim HSV. Vor dem letzten Testspiel in Österreich bei Rapid Wien (Sa, 19 Uhr/ORF live) sprachen sie über ihre wichtigsten Trainer.

    Herr Holtby, Herr Moritz, können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung erinnern?

    Holtby: Sehr gut sogar. Es war ein kalter Abend Anfang 2006. C-Jugend bei Alemannia Aachen. Chris kam in die Kabine mit einem Trainingsanzug von seinem Heimatverein Viktoria Arnoldsweiler und saß dann in der Ecke, ziemlich schüchtern. Und dann hatte er auch noch das Champions-League-Trikot von Bayern München an. Junge, Junge.

    Moritz: Ich war zum Probetraining da. Wir sollten ein schwarzes Trikot tragen. Es war das einzige, das ich hatte. (lacht)

    Holtby: Und dann hatte er auch noch den berühmten Predator-Schuh an. Von Adidas. Ich glaube, Michael Ballack war damals sein Vorbild. Ich muss aber sagen, dass Chris fußballerisch sofort aufgefallen ist. Er hat gleich den Zidane-Trick aus seinem Repertoire geholt. Im Sommer darauf haben wir dann das erste Mal zusammen gespielt.

    Wer war denn das größere Talent?

    Moritz: Eindeutig Lewis. Er war schon in der Jugend seiner Zeit voraus. Ein Unterschiedsspieler, wie man heute sagen würde. Er hat die Trainer immer schnell überzeugt. Bei mir hat das manchmal etwas länger gedauert.

    Holtby: Da muss ich reingrätschen. Gerade Spieler wie Chris, die Bälle gewinnen, einfach spielen, sind für Kreativspieler enorm wichtig. Das hat man gesehen in der ersten Saison, als wir mit Schalke Vizemeister wurden und Champions League gespielt haben, aber auch bei Mainz unter Thomas Tuchel. Seine Qualitäten wurden manchmal nicht gewürdigt, aber er hat für alle Mannschaften eine wichtige Rolle gespielt.

    Wenn Sie sein Individualtrainer wären, woran würden Sie mit ihm arbeiten?

    Holtby: Mit dem Ball kann Chris alles. Links wie rechts. Wahrscheinlich würde ich lediglich an seiner Zweikampfhärte arbeiten. Er löst viele Situationen clever durch seine Spielintelligenz. In den ganz harten Duellen könnte er vielleicht noch etwas zulegen.

    Herr Moritz, wo würden Sie bei Lewis Holtby als Trainer ansetzen?

    Moritz: Auf seiner Position hat Lewis alle Qualitäten. Am Torabschluss mit seinem rechten Fuß könnten wir noch ein bisschen arbeiten. Das sind aber Nuancen auf einem Topniveau.

    Sie haben schon früh bei Christian Titz Individualtraining genommen. Wie kam es dazu?

    Holtby: Unsere damaligen Berater Thomas und Marcus Noack kannten Christian Titz sehr gut, waren von seiner Arbeit und Spielidee angetan. Sie haben immer wieder darauf gepocht, mit Christian zu arbeiten. Der würde uns auf eine neue Stufe bringen. Chris und ich sind 2011 vor der Vorbereitung auf Schalke das erste Mal gemeinsam nach Homburg gefahren und haben dort eine Woche verbracht. Mit zwei Einheiten jeden Tag. Da fing alles an.

    Moritz: Lewis und mich hat es schon immer angetrieben, Jahr für Jahr immer wieder besser werden zu wollen.

    Ist Titz der Grund, warum Sie mit dem HSV in der Zweiten Liga spielen?

    Holtby: Ein wesentlicher Grund. Aber ich kann mich unabhängig davon einfach wahnsinnig mit dem HSV identifizieren, auch aufgrund der vielen Ereignisse in den vergangenen vier Jahren. Ich will den Misserfolg des Abstiegs wieder ausbügeln. Und Christian hat in der kurzen Zeit gezeigt, welche Qualitäten er hat, welchen Fußball wir spielen können.

    Moritz: Bei mir steht der Spaß am Fußball über allem. Ich habe Vereine immer dann gewechselt, wenn ich das Gefühl hatte, dass der neue Trainer mir etwas geben kann. Das war auch beim HSV der Grund. Man braucht immer ein Feeling für den Trainer.

    Beim HSV schließt sich für Sie ein Kreis. 2009 haben Sie Ihr Bundesligadebüt gemeinsam für Schalke gegeben.

    Holtby: Daran können wir uns beide noch gut erinnern. Es war das erste Saisonspiel in Nürnberg. Wir haben 2:1 gewonnen. Chris war überraschend auf Anhieb in die Startelf gerückt. Wir waren vorher auf einem Zimmer und er kam gar nicht klar, dass er direkt spielen musste.

    Moritz: Da muss ich dich korrigieren. Erfahren habe ich es erst am Spieltag im Hotel. Lewis war etwas sauer, dass er nicht in der Startelf stand, auch wenn er sich gleichzeitig für mich gefreut hat. Und dann schrieb Felix Magath meinen Namen auf die Tafel.

    Holtby: Am Ende war Magath richtig sauer auf mich, oder wie war das?

    Moritz: Aber hallo. Kurz vor Schluss stand das Tor der Nürnberger leer, weil Raphael Schäfer bei einer Ecke mit vorne war. Lewis hat dann versucht, von der Mittellinie zu schießen. Magath ist komplett eskaliert.

    Holtby: Ich habe das gar nicht richtig mitbekommen. Als ich Chris nach dem Spiel fragte, ob der Trainer sauer war, meinte er nur: Nein, alles gut.

    Moritz: Ich musste die Szene etwas beruhigen. (lacht)

    Wie prägend war die Zeit unter Magath?

    Holtby: Nach ihm konnte keiner härter sein. Für uns war das körperlich und mental eine sehr prägende Schule.

    Moritz: Mental war der Druck bei Magath extrem hoch, das habe ich erst im zweiten Jahr so richtig gemerkt. Ich war irgendwann so gestresst, dass es schwer war, meine Leistung abzurufen.

    Es gibt die Geschichten, dass Magath seine Spieler in sein Büro zitiert hat, ohne dann etwas zu sagen.

    Moritz: Ich denke, jeder junge Spieler wurde von ihm mal ins Büro zitiert. Mit ein paar Jahren Abstand würde ich mich gerne mit ihm darüber unterhalten, was er sich bei einigen Maßnahmen gedacht hat und was er damit bezwecken wollte.

    Holtby: Das muss die Ernst-Happel-Schule gewesen sein. Jeder Trainer hat seine Eigenarten, die man als Spieler ­respektieren muss.

    War Magath deutlich härter als Huub Stevens, den Sie auf Schalke erlebten?

    Moritz: Huub Stevens hat es geschafft, immer alle Spieler mit ins Boot zu nehmen und dir das Gefühl zu geben, dass du wichtig bist, auch wenn du nicht spielst. Und ich habe nicht viel gespielt unter ihm.

    Holtby: Huub hatte ein gutes Gespür für Menschen und Späße. Er hat mir eine Reife mitgegeben, indem er mir Verantwortung übertragen hat. Dadurch war er ein wichtiger Trainer für mich.

    Christoph Moritz hat gesagt, dass er bei Thomas Tuchel am meisten gelernt hat. Wie sieht es bei Ihnen aus? Sie hatten Toptrainer wie Villas-Boas, Löw oder auch Tuchel.

    Holtby: Thomas Tuchel und Christian Titz stehen für mich auf einer Stufe. Unter Tuchel war ich sehr jung. Durch ihn bin ich Nationalspieler geworden, er hat mir einen neuen Einblick gegeben und mir Fußball aus einer anderen ­Perspektive gezeigt. Deswegen wird er der einflussreichste Vereinstrainer sein, den ich bislang hatte.

    Es heißt immer wieder, Tuchel sei menschlich kein einfacher Trainer.

    Holtby: Thomas Tuchel ist besessen von Perfektion. Danach strebt und lebt er. Er tut alles für den größtmöglichen Erfolg der Mannschaft.

    Moritz: Er lässt Spieler aber auch spüren, wenn er unzufrieden ist mit ihnen. Das habe ich in der Anfangszeit auch erfahren. Trotzdem ist er in dieser Phase auf mich zugekommen und hat ein Gespräch mit mir geführt, das mich enorm weitergebracht hat. Da hat er sich auch selbst geöffnet. Er hat mir aufgezeigt, dass ich auch Spaß haben muss, wenn ich gut Fußball spielen will. Manchmal braucht es einfach Zeit, um die Ideen eines neuen Trainers zu verstehen.

    Wer wird einmal der bessere Trainer?

    Holtby: Ich glaube, wir würden zusammen als Trainerteam gut funktionieren. Chris als ruhiger, nachdenklicher Typ. Ich als lauter, extrovertierter. Co-Trainer könnte ich mir gut vorstellen.

    Moritz: Je länger die Karriere dauert, umso mehr beschäftigt man sich mit dem Gedanken. Man entwickelt eine Spielidee im Kopf. Die man vielleicht mal auf eine Jugendmannschaft ummünzen könnte. Da sprechen wir auf dem Zimmer immer häufiger drüber.

    Ist Lewis Holtby als Zimmerpartner auch so hyperaktiv wie auf dem Platz?

    Moritz: Ja. Vor allem morgens. Lewis ist immer früh wach. Ich bin eher der Langschläfer. Aber ich gehe trotzdem immer wieder mit ihm auf ein Zimmer. (lacht)

    Holtby: Die Frage muss man auch mal andersherum stellen. Ich kümmere mich schließlich auch um ihn, wenn er morgens noch muffelig ist. Dann kriegt er auch mal einen Kaffee mitgebracht.

    Sie haben neulich gesagt, dass Sie schon in Aachen von den Mitspielern für verrückt erklärt worden sind.

    Moritz: Das sind wir auch heute noch. In jedem Team fassen sich die Kollegen an den Kopf, wenn wir uns wie Kinder auf das Kreisspiel freuen.

    Holtby: Wir sind einfach positiv verrückt. Wir lieben es, Fußball zu spielen. In jeder Minute. Wir können seriös sein, sind auf eine Art aber auch Kind geblieben. Wir haben immer Spaß zusammen.