St. Petersburg.

    Den Spruch vom Bolzplatz kennt jeder. Drei Ecken, ein Elfer. Wenn beim anarchischen Spielchen kein Tor gelingen wollte, konnte immer noch der Alternativplan greifen. Gegenspieler anschießen, Ball ins Aus holpern lassen – und nach drei Ecken den Strafstoß verwandeln. Wer die WM 2018 beobachtet, fühlt die Kindheit zwischen Hinterhof und Wäschestangen aufleben. Nur dass es in Russland heißt: Ecke, Freistoß, Elfmeter.

    Von den 161 WM-Treffern vor dem großen und kleinen Finale resultieren bislang weit mehr als ein Drittel aus ruhenden Bällen. Vor vier Jahren in Brasilien waren es nur 38 von 171 Treffern, eine Quote von 22 Prozent. Eine exakte Zahl konnte und wollte die Fifa allerdings nicht nennen, als die Fifa-Studiengruppe ihre Erkenntnisse zum Turnier vorstellte. Die hohe Zahl an Treffern nach Standardsituationen sei auf die große „Detailversessenheit“ zurückzuführen, hieß es allgemein, zudem ist die Zahl der Elfmetertore (von zwölf auf 21) signifikant gestiegen. Jedes siebte WM-Tor kam vom Punkt zustande, weil aus dem Kontrollraum in Moskau gleich vier Videoassistenten den Strafraum überwachten.

    Für ein Standardtor legt die Fifa neuerdings ganz strenge Maßstäbe an: Die vom Belgier Nacer Chadli getretene Ecke, die der Brasilianer Fernandinho mit dem Schädel ins eigene Tor lenkte, taucht in dieser Kategorie ebenso wenig auf wie der von Marco Reus angetippte Freistoß, woraufhin Toni Kroos die Kugel ins Netz der Schweden hämmerte. Was der schottische Experte Andy Roxburgh verraten konnte: Jede 30. Ecke wurde bei der WM zu einem Tor verwertet (Champions League nur jede 45.).

    Bereits 2014 hatte die Studiengruppe konstatiert: „Die Bedeutung der Standards hat sich unglaublich vergrößert, und jedes Team nutzt sie als wertvolles Angriffstool.“ Wie sagte Kroatiens Nationaltrainer Zlatko Dalic: „Es ist egal, wie du triffst – was zählt ist, dass du triffst.“ In der ersten Gruppenphase fiel jedes zweite Tor nach einem ruhenden Ball. Danach flaute der Trend ein wenig ab, die Viertel- und Halbfinals gerieten endgültig zum Plädoyer einstudierter Eckball- und Freistoß-Varianten. Den inoffiziellen Titel als „Standard-Weltmeister“ sicherte sich England: Den „Three Lions“ gelangen so neun von zwölf Toren. Rekord. Vier nach Ecken, drei nach Elfmetern, zwei nach Freistößen.