Moskau. 2:1-Sieg nach Verlängerung über England. Kroaten erreichen zum ersten Mal das Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft

    Mario Mandzukic (32) riss die Augen weit auf und baute sich vor der kroatischen Fankurve auf. Seine Teamkollegen kamen angerannt, einer nach dem anderen. Bald lag einer auf dem anderen in einer riesigen Jubeltraube. Der ehemalige Bundesligastürmer hatte elf Minuten vor Ende der Verlängerung des WM-Halbfinales gegen England das Tor zum 2:1 erzielt. Kroatien stand kurz davor, Geschichte zu schreiben. Ein paar Minuten später war es tatsächlich so weit. Das nur 4,2 Millionen Einwohner große und erst 27 Jahre alte Land steht erstmals im Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft – am Sonntag gegen Frankreich. Es ist ein kleines Wunder, aber dieses 2:1 (1:1, 0:1) nach Verlängerung im Moskauer Luschniki-Stadion, es war letztlich verdient.

    Was hatte Kroatien in diesem Turnier nicht schon alles erlebt. Argentinien demontiert, zwei Elfmeterschießen überstanden. Gestern schien es lange, als würde der Geheimfavorit dafür Tribut zollen müssen. Die Mannschaft von Zlatko Dalic wirkte müde und fahrig. Doch mit einer famosen Energieleistung glich sie in der zweiten Halbzeit die Partie noch aus – die so perfekt für England begonnen hatte.

    Denn gleich in der vierten Minute wurde ein wachsendes Versprechen eingelöst. Er hat einen Fuß wie David Beckham – das hieß es schon länger über Kieran Trippier. In der Tat erzählte der vor dem Turnier außerhalb Englands weitgehend unbekannte Außenverteidiger von Tottenham Hotspur dieser Tage noch einmal, dass er schon zu Juniorenzeiten stundenlang die Flanken- und Freistoßtechnik des ehemaligen Superstars zu imitieren versuchte. Jetzt müsste er halt nur mal einen wichtigen Freistoß versenken: Auch das hieß es dann über Kieran Trippier. Kick it like Beckham – der 27-Jährige suchte sich den besten Moment dafür aus, nach einem Foul von Luka Modric an Delle Alli traf er aus rund 20 Metern in den Winkel.

    Die Szene schien sich in die Euphoriewelle einzufügen, die ganz England seit Tagen ritt. Wo der amerikanische Sänger Justin Timberlake bei einem Konzert in London lieber seiner Vorgruppe freigab, um stattdessen das Spiel übertragen zu lassen, wo eine Krankenhauskette der britischen Hauptstadt die Menschen per Twitter aufforderte, doch wenigstens zu essen, bevor sie sich beim Fußball die üblichen Unmengen Alkohol zur Gemüte führen – da hatten auch mehr Fans als bisher den zuvor gescheuten Weg nach Russland gefunden. Sie sangen lange – bis zu Mandzukics Tor.

    Englands Fehler war es wohl letztlich, aus der kroatischen Verwirrung nach dem frühen Rückstand kein weiteres Kapital zu schlagen. Verteidiger Harry Maguire köpfte vorbei (14.), Harry Kane traf erst nur den Körper von Danijel Subacic, danach den Pfosten, wurde aber sowieso – fälschlicherweise – wegen Abseits zurückgepfiffen (30.), Jesse Lingard schlenzte aus exzellenter Position freistehend vorbei (36.). Und ab Beginn der zweiten Halbzeit war es dann ein anderes Fußballspiel.

    Kroatien entfachte mit jeder Minute mehr Druck. Einen Schuss von Ivan Perisic blockte Kyle Walker noch mit dem Gemächt, doch beim selben Duell kurz später hatte er das Nachsehen. Nach einer Flanke von Sime Vrsaljko schlich sich Perisic vom langen Pfosten zwischen die englischen Verteidiger. Walker bückte sich mit dem Kopf nach unten, um zu klären, doch der kroatische Angreifer bekam seinen – hohen – Fuß schneller an den Ball (68.). Die Szene bewegte sich am Rande des gefährlichen Spiels, wurde aber nicht abgepfiffen.

    Kroatiens Ausgleich wäre beinahe vier Minuten später von der Führung veredelt worden. Doch nach einem englischen Abwehrfehler traf erneut Perisic aus halblinker Position nur den Pfosten. Es war jetzt ein mitreißendes Halbfinale, geführt mit offenem Visier von beiden Teams. Lingards Hereingabe von rechts strich knapp am Tor vorbei (77.), Mandzukic scheiterte am sicheren Pickford (83.), und als der in der nächsten Szene eine Faustabwehr vermasselte, schoss Perisic über das Tor.

    Die erste Hälfte der Verlängerung brachte eine Großchance auf beiden Seiten. Erst klärte Vrsaljko einen Kopfball von John Stones auf der Linie (99.). Auf der anderen Seite verhinderte Pickford durch einen todesmutigen Einsatz gegen Mandzukic ein ebenso sicheres Tor, nachdem Perisic geflankt hatte (105.). Nach dem neuerlichen Seitenwechsel schoss Marcelo Brozovic am kurzen Pfosten vorbei, doch dann brachte Perisic nach einer missglückten Abwehraktion von Walker den Ball in den Strafraum. Und dort stand Mandzukic. Mit einem Schuss ins lange Eck ließ er Pickford keine Abwehrchance. Es lief die 109. Minute, und es war der Schuss in Kroatiens Glück.

    Kroatien: Subasic – Vrsaljko, Lovren, Vida, Strinic (95. Pivaric) – Rakitic, Brozovic – Rebic, Modric (119. Bardelj), Perisic (101. Kramaric) – Mandzukic (115. Corluka). England: Pickford – Walker (112. Vardy), Stones, Maguire – Trippier, Alli, Henderson (97. Dier), Lingard, A. Young (91. D. Rose) – Sterling (74. Rashford), Kane. Tore: 0:1 Trippier (5.), 1:1 Perisic (68.), 2:1 Mandzukic (109.). Zuschauer: 78.011 (ausverkauft). Schiedsrichter: Cakir (Türkei). Gelb: Rebic, Mandzukic – Walker.