kasan. Mit 2:1 zieht Belgien ins WM-Halbfinale ein und schickt Rekordweltmeister Brasilien nach Hause. Das Favoritensterben in Kasan geht weiter

    Es war kurz vor 23 Uhr Ortszeit, als die Kasan-Arena am Freitagabend endgültig ihren Ehrenplatz in der Fußballgeschichte untermauert hatte. Denn nachdem bereits Deutschland (gegen Südkorea) und Argentinien (gegen Frankreich) in dem extra für die WM neugebauten Stadion ausgeschieden waren, traf es mit Brasilien nun auch noch den absoluten Topfavoriten des Turniers. Mit 1:2 (0:2) musste sich der fünfmalige Weltmeister den Roten Teufeln aus Belgien geschlagen geben, die auch lange nach dem Abpfiff ihr Glück gar nicht richtig fassen konnten. „Unglaublich, unglaublich“, jubelte Belgiens Trainer Roberto Martinez: „Das ist etwas ganz Besonderes, diese Jungs verdienen es, in der Heimat als etwas ganz Besonderes gefeiert zu werden.“

    Dabei hatten die Brasilianer von Trainer Tite in Kasan zunächst keine Zweifel aufkommen lassen, dass man in Russland zu Großem bestimmt sei. Neymar (erster Hackentrick nach 326 Sekunden, erstes Mal mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden nach 332 Sekunden) und Co. ließen den zunächst völlig überrumpelt wirkenden Belgiern in der Anfangsphase kaum Luft zum Atmen. Einziger Vorwurf: Weder Thiago Silva (an den linken Pfosten) noch Paulinho konnten die Anfangsoffensive durch ein Tor veredeln.

    Nach 13 Minuten trafen die Brasilianer dann aber doch – allerdings ins falsche Tor. Eine Ecke Nacer Chadlis bugsierte Fernandinho mit der Schulter ins eigene Tor. Ausgerechnet Fernandinho muss es an dieser Stelle wohl heißen. Denn der Star von Manchester City durfte nur deshalb von Anfang an spielen, weil Mittelfeldstabilisator Casemiro gelbgesperrt fehlte. Ohne Staubsauger Casemiro überließen die Südamerikaner den Belgiern fortan bereitwillig das Mittelfeld.

    Besonders der frühere Bundesligaprofi Kevin De Bruyne musste zwischendurch ungläubig die Augen reiben, wie viel Platz die Brasilianer dem High-Speed-Fußballer gewährten. „Entscheidend waren die acht defensiven Leute, so konnten wir drei vorne wirbeln“, sagte De Bruyne und meinte sich, Stürmer Romelu Lukaku und Eden Hazard: „Die erste Halbzeit war nahezu perfekt.“

    Und so dauerte es nur eine gute halbe Stunde, ehe das Überfallkommando der Diables Rouges erneut Ernst machte – wenn auch in völlig vertauschten Rollen. Denn diesmal war es 90-Kilogramm-Koloss Lukaku, der leichtfüßig durch das Mittelfeld spazierte und den Ball butterweich auf De Bruyne passte. Der frühere Wolfsburger und Bremer zögerte keine Sekunde und schloss teuflisch ins linke untere Eck ab. 0:2 nach 31 Minuten – wer hätte das gedacht?

    Und Neymar? Der hatte seinen ersten Auftritt kurz nach dem Wiederanpfiff, als er in den Strafraum der Belgier dribbelte – und dann das machte, was er bei dieser Weltmeisterschaft am häufigsten machte: schauspielern. Nicht einmal 120 Sekunden später war es Gabriel Jesus, den es Strafraum ebenfalls zu Fall brachte. Der entscheidende Unterschied: Diesmal war es ein klares Foul. Doch trotz Rücksprache mit Videorichter Daniele Orsato aus Italien entschied sich der serbische Schiedsrichter Milorad Mazic unverständlicherweise gegen einen Strafstoß (55.).

    Doch noch einmal spannend wurde es erst, als der frühere Leverkusener Renato Augusto auf 1:2 verkürzte (76.). Es war die Initialzündung für eine berauschende Schlussphase, die jeden, aber wirklich jeden der 42.873 Zuschauer von den Sitzen riss. Doch Belgiens Torwart Thibaut Courtois blieb über 95 Minuten tadellos und so war die nächste Überraschung perfekt. Mit Brasilien verabschiedete sich das letzte Team außerhalb Europas. Adeus, Brasil!

    Belgien darf sich darauf freuen, am Dienstag den nächsten WM-Favoriten massiv zu ärgern. Zweimal traf der kleine Bruder bei WM-Turnieren bislang auf den großen Bruder Frankreich – und zweimal (1986 und 1938) siegte La France. 1986 sogar in einem Halbfinale. Die Kampfansage kam von De Bruyne: „Wir sind in den Top Vier, aber jeder will dieses Finale spielen.“

    Brasilien: Alisson – Fagner, Thiago Silva, Miranda, Marcelo – Fernandinho – Paulinho(73. Renato Augusto), Coutinho – Willian (46. Firmino), Neymar – Gabriel Jesus (58. Douglas Costa). Belgien: Courtois – Alderweireld, Kompany, Vertonghen – Meunier, Fellaini, Witsel, Chadli (83. Vermaelen) – De Bruyne – Lukaku(87. Tielemans), Eden Hazard. Tore: 0:1 Fernandinho (13., Eigentor), 0:2 De Bruyne (31.), 1:2 Renato Augusto (76.). Zuschauer: 42.873 (ausverkauft). Schiedsrichter: Mazic (Serbien). Gelb: Fernandinho, Fagner – Alderweireld, Meunier (2). Statistik: Torschüsse: 27:8; Ecken: 8:4; Ballbesitz: 56:44 Prozent: gewonnene Zweikämpfe: 64:86.