London. Hamburger Tennisprofi holt bei Wiederaufnahme trotz gesundheitlicher Probleme einen 1:2-Satzrückstand auf

    Als Alexander Zverev nach dem verwandelten ersten Matchball die siegbringende Filzkugel in den blauen Nachmittagshimmel schoss, hatte das eine gewisse Symbolik. Die Helligkeit eines weiteren traumhaften Sommertages über dem Londoner Südwesten hatte zwar viel zu seinem Erfolg beigetragen, die Dunkelheit jedoch hatte Zverev bei den All England Championships in Wimbledon vor dem Zweitrundenaus bewahrt. 6:4, 5:7, 6:7 (0:7) lag Deutschlands bester Tennisprofi gegen den US-Amerikaner Taylor Fritz (20) zurück, als die Partie am Donnerstagabend gegen 20.45 Uhr Ortszeit wegen fortschreitender Dämmerung unterbrochen wurde.

    Am Freitag stellte der 21 Jahre alte Weltranglistendritte seine Klasse als Wettkämpfer unter Beweis, die ihn auch schon bei drei Fünfsatzsiegen während der French Open ausgezeichnet hatte. 6:1 und 6:2 gewann der Hamburger die Fortsetzung, buchte zum dritten Mal in Folge an der Church Road sein Ticket für die dritte Runde, die ihn an diesem Sonnabend (Sky live) mit dem Letten Ernests Gulbis (29/Nr. 138) zusammenführt.

    Zwei Hauptgründe machte Zverev nach der Partie für seinen Leistungseinbruch am Donnerstag geltend: „Ich habe seine Aufschläge in dem schlechten Licht kaum gesehen, deshalb konnte ich nicht gut returnieren und ihn nicht breaken. Außerdem hatte ich einen Magen-Darm-Virus, hatte die ganze Zeit Magenschmerzen und musste mich in der Toilettenpause nach dem zweiten Satz sogar übergeben“, sagte er. Am Freitagmorgen, nachdem er kein Frühstück zu sich nehmen konnte, habe er zwei Optionen gehabt: „Entweder, ich fühle mich schlecht, dann würde ich einen Satz spielen. Oder ich fühle mich gut, dann werden es zwei Sätze. Aufgeben war keine Option.“ Dass er sich gut fühlte, konnte dann auf Court 1 jeder Beobachter sehen.

    Es hatte niemanden überraschen dürfen, dass Fritz in der Lage ist, großartiges Tennis zu spielen. 2016 war er von der Herrentennisorganisation ATP als „Star of Tomorrow“ ausgezeichnet worden. Sein Vorgänger: Alexander Zverev. Eine langwierige Knieverletzung bremste in der vergangenen Saison seinen Aufstieg im Ranking, aktuell steht er an Position 68. Aber die Reife, die er am ­Donnerstag zeigte, kommt nicht von ungefähr. Der Kalifornier ist der jüngste Vater auf der ATP-Tour. Mit 18 machte er seiner Freundin Raquel am Rande der French Open unter dem Eiffelturm einen Heiratsantrag, im Januar 2017 kam Sohn Jordan auf die Welt.

    So einer weiß, dass es Aufreibenderes gibt als ein Tennismatch. Und trotzdem war am Freitag zu spüren, dass Fritz über seine Chance, erstmals die dritte Runde eines Grand-Slam-Turniers zu erreichen und erstmals einen Top-fünf-Spieler zu schlagen, über Nacht nachgedacht hatte. Er schlug nicht mehr so präzise auf, griff nicht mehr so mutig an, sah sich allerdings auch einem Kontrahenten ausgesetzt, der seinerseits nicht mehr zu weit hinter der Grundlinie agierte, sondern die Initiative ergriff. Wie Zverev sich aus den Drucksituationen befreite, hatte Klasse; ebenso, dass er sich von elf vergebenen Breakchancen nicht aus der Ruhe bringen ließ.

    Zverev-Gegner Gulbis istein Freund der Familie

    „Ich habe heute besser serviert und besser returniert. Der Unterschied zum vergangenen Jahr ist, dass mich ein 1:2-Satzrückstand nicht mehr panisch macht, weil ich weiß, dass ich ihn drehen kann“, sagte der dreimalige Masterssieger, der am Donnerstagabend mehrfach auf dem Court ausgerutscht war und sich über die Platzqualität auch mit dem Schiedsrichter gestritten hatte. Eine Rolle bei seinen Problemen mit dem Untergrund spielte sicherlich auch die sehr kurze Vorbereitungszeit. Nach dem bei den French Open in Paris erlittenen Muskeleinriss im Oberschenkel hatte der 1,98-Meter-Mann zwei Wochen pausiert, ehe er Mitte Juni in Halle (Westfalen) überraschend schnell zum Auftakt der Rasensaison zurückkehrte. Nach seinem Erstrundenaus dort trainierte er bis zum Wimbledon-Start auf Gras.

    Sein erstes Aufeinandertreffen mit Gulbis wird an diesem Sonnabendnachmittag eine Art Familienduell. „Er hat vor einigen Jahren in Hamburg mit meinem Bruder Mischa trainiert und in der Zeit bei uns in unserem Haus in Lemsahl gelebt. Daher kennen wir uns sehr gut. Ernests ist ein sehr netter Mensch, dem ich nur das Beste wünsche. Morgen allerdings werde ich alles geben, um das Match zu gewinnen“, sagte er.

    Während Zverev nun das Achtelfinale ins Visier nimmt, musste Philipp Kohlschreiber seine Hoffnungen auf die Wiederholung seines Viertelfinaleinzuges von 2012 begraben. Der 34 Jahre alte Augsburger, Nummer 27 der Welt, unterlag nach 2:07 Stunden dem Südafrikaner Kevin Anderson (32/Nr. 8) mit 3:6, 5:7, 5:7. Ebenfalls glatt in drei Sätzen verlor Jan-Lennard Struff (28/Nr. 64) gegen Titelverteidiger Roger Federer. Der Schweizer, Weltranglistenzweiter, machte in nur 94 Minuten beim 6:3, 7:5, 6:2 kurzen Prozess. Dagegen steht Julia Görges (29/Bad Oldesloe) erstmals in Wimbledon im Achtelfinale, die Weltranglisten-13. bezwang die Tschechin Barbora Strycova (32/Nr. 23) 7:6 (7:3), 3:6, 10:8 und spielt am Montag gegen Donna Vekic (22/Nr. 55). Die Kroatin wird von Torben Beltz trainiert, der bis 2017 Angelique Kerber betreute. Die Kielerin (30/Nr. 10) trifft in ihrem Drittrundenmatch am Sonnabend (zweites Spiel nach 14 Uhr) auf Naomi Osaka (Japan/20/Nr. 18).