Berlin. Nationalmannschaftsdirektor muss sich wegen des öffentlichen Nachtretens gegen Mesut Özil verantworten

    Waren die Sätze von Oliver Bierhoff über Mesut Özil unbedacht? Waren sie berechnend? Oder geht es hier um Feigheit? Fest steht, dass seine Aussagen dazu beitragen könnten, dass der 50-Jährige seinen Job als Nationalmannschaftsdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verliert. Ohnehin stellt er sich bei der WM-Analyse auch selbst infrage, wie er am Freitag im ZDF sagte.

    Neun Tage nach dem desaströsen WM-Aus hat Bierhoff in einem Interview mit der „Welt“ Özil wegen der Erdogan-Affäre eine Mitschuld am peinlichen Scheitern in Russland gegeben. „Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet“, sagte Bierhoff. Unbedacht? Das ist bei einem Medienprofi wie Bierhoff und einem bei solchen Interviews üblichen Autorisierungsprozedere schwer vorstellbar. Schlimmer noch wird es eine Antwort später: „Die Menschen haben ein gutes Gespür für eine homogene Mannschaft, für Leidenschaft und Freude – und für den Stolz eines Spielers“, sagte Bierhoff dort. „Sie sehen, ob ein Spieler stolz ist, für die Nationalmannschaft zu spielen. Das müssen wir wieder vermitteln.“

    Bierhoff sind Ressentiments gegen andersstämmige Nationalspieler eigentlich zuwider. Und dennoch zahlen seine Sätze, ob gewollt oder nicht, auf eine ohnehin schon erhitzte Stimmung gegen Özil ein. Sie deuten an, dass der Deutsch-Türke nicht mit Stolz für sein Geburtsland aufgelaufen sein könnte.

    Das ist Wasser auf die Mühlen jener, die Özil aus latentem Rassismus angreifen. Feige kann man die Aussagen finden, weil sich Bierhoff hinter einem Spieler versteckt, der mit seinem Foto mit dem türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan zwar einen fatalen Fehler begangen hat, aber keinesfalls der Schuldige an einem kollektiven Versagen in Russland war. Dass Bierhoff im selben Interview sagte, es gehe nicht darum, „einzelne Spieler an den Pranger zu stellen“, ist ein Hohn. Genau das hat er getan. Doch die Frage ist: warum? Bierhoff weiß, dass es nach dem WM-Aus und der geschlossenen Entscheidung des DFB-Präsidiums für ein Weitermachen mit Bundestrainer Joachim Löw nun um seine Person geht. Seit der Strukturreform des Verbandes im Januar ist Bierhoff nicht mehr Nationalmannschaftsmanager, sondern -direktor. Er hat nun viel mehr Einfluss. Aber in seiner Verantwortung liegt auch das Abschneiden der Nationalelf.

    In Russland geriet Bierhoff in die Kritik: Bis heute weiß Löw nicht, warum sein ausdrücklicher Wunsch, das WM-Quartier in Sotschi aufzuschlagen und nicht in Watutinki, von Bierhoff nicht umgesetzt wurde. Zudem trägt Bierhoff eine Mitschuld am fatalen Krisenmanagement bei der Erdogan-Affäre. Mit einer Basta-Mentalität wollte er sie beenden und befeuerte die Debatte umso mehr. Insofern scheinen seine Aussagen nun berechnend. Sie wirken, als wolle sich Bierhoff retten, indem er Özil opfert und damit signalisiert: Ein „Weiter so“ wird es nicht geben. Denn wie soll der 29-Jährige nach diesen Äußerungen je wieder für die Nationalelf spielen?

    Auf Nachfrage wollte sich DFB-Präsident Reinhard Grindel nicht zu Bierhoffs Interview äußern. Es sei Aufgabe der sportlichen Leitung, die WM-Kata­strophe aufzuarbeiten, sagte er kürzlich. Und im Präsidium schaut man sich genau an, wie Bierhoff das tut. Eine Rückendeckung, die dieser nun Özil verwehrte, gewährt Grindel ihm offenbar auch nicht. Zu einer anständigen Aufarbeitung hätte es gehört, intern nach Gründen zu suchen. Und wenn man dann immer noch zu dem Schluss kommt, dass Özil der Elf durch sein Schweigen so geschadet habe, dass er untragbar sei, dann hätte man ihn zum Rücktritt bewegen können oder ihn nicht mehr nominieren dürfen. Bierhoff ist dem jetzt mit dem Nachtreten gegen Özil zuvorgekommen – und das in einer Weise, welche die Frage aufwirft, ob er nach 14 Jahren beim DFB noch der richtige Mann ist, den deutschen Fußball wieder in eine bessere Zukunft zu führen.

    Bierhoff entschuldigt sich im ZDF für seine Aussage

    Am Freitagabend ruderte Bierhoff im ZDF zurück: „Es tut mir leid, ich habe mich da falsch ausgedrückt“, sagte er. Drei Leute hätten die Passage gelesen, allen drei sei beim Redigieren des Interviews diese missverständliche Formulierung durchgerutscht. Er habe gemeint, stellte Bierhoff jetzt klar, dass man wenn, dann aus sportlichen Gründen hätte auf Özil verzichten können, „und nicht wegen des Fotos“. Klar sei, „Mesut wird auch in Zukunft genauso sportlich beurteilt wie jeder andere Spieler der Mannschaft auch“. Bierhoff sagte zudem: „Wir müssen uns aber diesem Thema auch in Zukunft stellen.“ Die Frage ist nur, ob zu dieser Zukunft auch Oliver Bierhoff gehört.