Nischni Nowgorod. Für die junge Mannschaft geht es im WM-Viertelfinale gegen das defensivstarke Uruguay auch darum, Trainer Deschamps zu widerlegen

    Seine Lieblingsthese hat Didier Deschamps schon vor der WM formuliert, und auch nach den bisherigen Erfolgen wie dem furiosen 4:3 gegen Argentinien im Achtelfinale wiederholt er sie fast täglich. Eigentlich zu jung sei seine französische Mannschaft, sagt der Trainer, zu unerfahren und erst in zwei bis vier Jahren zur vollen Schaffenskraft gereift. Als „Lehrlinge“ bezeichnet der Welt- und Europameister von 1998 und 2000 seine Spieler sogar. Deschamps, 49 Jahre alt und seit 2012 im Amt, sagt: „Die Hälfte meiner Spieler hat noch keine WM gespielt. Diese Erfahrung fehlt uns, andere Mannschaften wie Brasilien sind uns in dem Punkt voraus. Darin sehe ich ein Problem.“

    Sollten die lernenden Les Bleus allerdings an diesem Freitag (16 Uhr, ZDF) in Nischni Nowgorod das WM-Viertelfinale gegen die kompakte und listige Einheit aus Uruguay für sich entscheiden und damit erstmals seit 2006 ins Halbfinale einziehen, müsste Des­champs seine These wohl langsam überdenken oder zumindest unter Verschluss halten. Denn dann wären es nur noch zwei Schritte bis zum Titelgewinn.

    Seine Mannschaft weist tatsächlich den jüngsten Altersdurchschnitt (aktueller Stand: 26,1 Jahre) aller Viertelfinalisten auf, wenn auch nur um ein paar Tage vor der englischen (ebenfalls 26,1). Andererseits zeugen die bisherigen Auftritte von einer gewissen Reife, die Anlass zu mehr Optimismus geben könnte, den Deschamps aber vielleicht aus pädagogischen und psychologischen Erwägungen nicht zeigen möchte. Auch um seinen Lehrlingen keinen zusätzlichen Erwartungsdruck aufzubürden. Die Zwischenbilanz jedoch liest sich wie jene übergeordnete Bewertung, die Verbandschef Noël Le Graët schon vor der WM vornahm: „Deschamps ist einer, dem alles gelingt. Unter ihm sind wir wieder eine Fußballnation geworden. Er arbeitet viel und gut, Les Bleus machen kontinuierlich Fortschritte.“

    So ähnlich kam auch der bisherige Turnierverlauf daher. Nicht berauschend, aber kontrolliert erwarb der EM-Zweite von 2016 die Zulassung fürs Achtelfinale durch die Siege gegen Aus­tralien (2:1), Peru (1:0) und das 0:0 gegen Dänemark mit einer B-Elf. Gegen Argentinien wirkte es dann, als habe das junge Team nur darauf gewartet, wie eine Naturgewalt über den zweimaligen Weltmeister hereinzubrechen, der es gewagt hatte, die Schleusen in der Defensive ein bisschen weit zu öffnen.

    Das ist von Uruguay kaum zu erwarten, zumal Stürmer Edinson Cavani wegen eines Wadenödems auszufallen droht und damit noch mehr Defensivdenken angesagt sein wird. Schon jetzt stellen die Südamerikaner jene Mannschaft, die als einzige neben Belgien alle vier WM-Spiele nach 90 Minuten gewinnen konnte und als einzige neben Brasilien erst ein Gegentor hinnehmen musste. „Sie werden versuchen, uns ihr Spiel aufzuzwingen“, sagt Stürmer Antoine Griezmann. „Wir müssen ruhig bleiben, ihre Abwehr öffnen.“

    Wie knifflig das trotz des schnellen Kylian Mbappé werden könnte, weiß Griezmann aus seinem Verein Atlético Madrid. Dort trugen Uruguays Innenverteidiger-Duo Diego Godín, nebenbei Patenonkel von Griezmanns Tochter, und José Giménez maßgeblich dazu bei, dass Real Madrids Stadtrivale die Liga vor den Königlichen auf Platz zwei und mit der mit Abstand besten Defensive abschloss (22 Gegentore in 38 Spielen).

    Erschwerend kommt hinzu, dass Frankreich auf den erfahrenen Mittelfeldspieler Blaise Matuidi (31) wegen einer Gelbsperre verzichten muss und dafür womöglich auf Corentin Tolisso (22) vom FC Bayern setzt. Und ebenso, dass sie – dem WM-Trend folgend – bevorzugt mit rasanten Gegenstößen angreifen, statt selbst das Spiel zu machen.

    Von Uruguay, ebenso auf Konter spezialisiert, werden sie aber die Rolle der Gestalter zugeschoben bekommen. Auch wegen dieser Konstellation wird sich zeigen, ob Deschamps’ junge Mannschaft in diesem Schwergewichtskampf wirklich schon über genug Reife verfügt. Nebenbei spielt sie auch gegen Frankreichs Gesamtbilanz von nur einem Sieg in acht Spielen gegen Uruguay an – und keinem in vier Versuchen bei großen Turnieren. Diese Negativserie haben allerdings ihre Vorgänger zu verantworten. Die Älteren.

    Frankreich: 1 Lloris – 2 Pavard, 4 Varane, 5 Umtiti, 21 Hernández – 12 Tolisso, 13 Kanté, 6 Pogba – 7 Griezmann – 10 Mbappé, 9 Giroud. Uruguay: 1 Muslera – 22 Cáceres, 2 Giménez, 3 Godín, 17 Laxalt – 8 Nandez, 6 Bentancur,
    14 Torreira, 15 Vecino – 9 Suárez, 11 Stuani. Schiedsrichter: Nestor Pitana (Argentinien)