London. Die ehemalige Nummer eins der Tenniswelt muss sich in Wimbledon steigern, will sie Naomi Osaka besiegen

    Katzen, heißt es, haben sieben Leben. Wäre Angelique Kerber eine Katze und das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon eine ganze Lebensspanne, dann hätte die deutsche Nummer eins am Donnerstag schon drei Leben verbraucht. Das nackte Ergebnis ihres Zweitrundenspiels gegen Claire Liu (USA) – ein 3:6, 6:2, 6:4-Sieg nach 114 Spielminuten – klang einfacher als die Partie war. Und so saß am Nachmittag eine Weltranglistenzehnte im Main Interview Room des All England Lawn Tennis Clubs, die eher Erleichterung als Zufriedenheit ausstrahlte.

    „Ich habe sicherlich nicht meine beste Leistung gezeigt. Ich bin schwer ins Match gekommen, habe lange meinen Rhythmus nicht gefunden und muss am Ende glücklich sein, dass ich gewonnen habe“, sagte die 30 Jahre alte Kielerin. Besonders bedenklich war, dass Kerber zu kaum einer Phase der Partie das Selbstbewusstsein und die Überzeugung ausstrahlte, die man von einer ehemaligen Nummer eins der Welt im Duell mit der 18 Jahre alten Ranglisten-237. erwarten dürfte.

    Die mutigere, aggressivere Spielerin war über weite Strecken Liu, die im vergangenen Jahr die Juniorinnenkonkurrenz in Wimbledon gewonnen hatte. „Sie hatte nichts zu verlieren, hat sehr mutig und aggressiv gespielt. Ich kannte sie nicht, das macht es oft schwierig. Wenn sie so weitermacht, wird sie eine große Zukunft vor sich haben“, sagte Kerber.

    Ihre negative Körpersprache, die Mitte des zweiten Durchgangs in einem lauten „Heute klappt nichts, nichts, nichts!“-Ausruf gipfelte, gefiel auch ihrem Trainer nicht. Kerber selbst fand, dass der Wutausbruch der Wendepunkt der Partie war. „Ich bin ein emotionaler Mensch. Manchmal muss ich das einfach rauslassen, und ich glaube, dass mich das heute ins Match zurückgebracht hat“, sagte sie. „Sie muss lernen, das besser unter Kontrolle zu haben“, sagte dagegen Wim Fissette. Der Belgier, der zu dieser Saison das Amt des Chefcoaches von Torben Beltz übernommen hatte, war nur mit der kämpferischen Leistung zufrieden. „Spielerisch war es nicht das, was wir erwartet hatten. Sie wird sich erheblich steigern müssen, aber wir wissen auch, dass sie das kann“, sagte er.

    Tatsächlich, das muss die zweimalige Grand-Slam-Siegerin, wartet in Runde drei am Sonnabend doch die für ihr Powertennis bekannte Japanerin Naomi Osaka (20/Nr. 18 der Welt), der sie im vergangenen Jahr bei den US Open in Runde eins in zwei Sätzen unterlegen war, sie anschließend aber auf der Asien-Tour zweimal hatte besiegen können. „Ich habe alle drei Matches noch im Kopf, aber das war 2017, und das ist abgehakt. Das erste Duell bei den US Open war vergleichbar mit dem heute, damals kannte ich sie auch nicht. Jetzt schon, und ich weiß, dass ich gegen sie aggressiver spielen muss als heute, weil sie selbst auch sehr aggressiv ist. Aber ich freue mich auf unser erstes Rasenduell“, sagte Kerber.

    Dass dieses Jahr bereits sechs Spielerinnen aus den Top Ten die zweite Runde nicht überstanden, darunter Titelverteidigerin Garbiñe Muguruza (24/Nr.3), spielt für sie keine Rolle: „Natürlich bekomme ich das mit. Aber ich versuche, nicht allzu viel links und rechts zu schauen, sondern mich auf mein Spiel zu konzentrieren.“ Das Favoritensterben eröffnet auch der zweiten Reihe unerwartete Chancen, was Julia Görges ins Spiel bringt. Die 29-Jährige aus Bad Oldesloe hatte sich Mittwochabend mit 6:2, 3:6, 6:2 gegen die Weißrussin Wera Lapko (19/Nr. 82) erstmals seit 2012 in die dritte Wimbledon-Runde gekämpft, wo heute (Sky live) die Tschechin Barbora Strycova (32/Nr. 23) wartet.

    Julia Görges greift ausder zweiten Reihe an

    „Ich habe hier in den vergangenen Jahren kein Feuerwerk abgebrannt, deshalb bin ich glücklich, in Runde drei zu stehen“, sagte die Weltranglisten-13., die sich seit diesem Jahr endlich auch auf Rasen wohlfühlt. Der Grund dafür? „Ich glaube jetzt, dass ich eine gute Rasenspielerin sein kann.“ Gegen Strycova muss sie das erneut zeigen.